# taz.de -- Stroh als Baumaterial: Vom Acker in die Wand | |
> Brennt das nicht lichterloh? Stroh für den Hausbau zu nutzen, erscheint | |
> ökologisch, aber leichtsinnig. Experten wissen es jedoch längst besser. | |
Bild: Noch ist es eine Nische: Bauen mit Stroh in der Ökosiedlung Siebenlinden… | |
Traditionell wandert Stroh vom Feld in den Stall, wo es in der Tierhaltung | |
zu Mist mutiert. Aber es kann auch noch ein anderes Nachleben erfahren: als | |
Dämmstoff im Wohnungsbau. Derzeit werden die Getreidehalme als ökologischer | |
Baustoff entdeckt. | |
Wiederentdeckt, muss man sagen. Denn die Technik, Häuser mit Wänden aus | |
gepressten Strohballen zu errichten, ist nicht neu. Schon in den 1930er | |
Jahren wurden im US-Bundesstaat Nebraska auf diese Weise Kirchen und andere | |
Gebäude mit dem nachwachsenden Rohstoff konstruiert. Nicht aus Öko-Faible, | |
sondern weil es im weitflächigen Kornkammerland an Stein und Holz mangelte. | |
Die Bauweise geriet dann aber wieder für Jahrzehnte in Vergessenheit. Bis | |
zur Renaissance in den 70er Jahren, nun mit Umwelttouch. 2002 kam der | |
Bautrend nach Deutschland. Inzwischen wird die Zahl der [1][strohgedämmten | |
Häuser hierzulande] vom Fachverband Strohballenbau (FASBA) auf 900 bis | |
1.500 geschätzt. | |
Ein Impulsgeber für das Bauen mit Stroh ist das Agrarland Brandenburg. Die | |
Landesregierung will die Nutzung im Rahmen ihrer Bioökonomie-Strategie | |
besonders fördern, was für die beiden zuständigen Fachminister für | |
Wissenschaft und Landwirtschaft, Manja Schüle und Axel Vogel, jüngst der | |
Anlass war, eines der neuesten Strohgebäude in Wustermark (Landkreis | |
Havelland) zu besuchen. „Das nachhaltige und regionale Wirtschaften mit | |
biobasierten Ressourcen verbindet regionale Wertschöpfung mit Klima- und | |
Umweltschutz zur Bewältigung der globalen Herausforderungen“, sagte Vogel | |
in seiner Zuständigkeit als Brandenburger Klimaschutzminister. | |
## Langlebig und unschädlich | |
Der Lüneburger Architekt Dirk Scharmer hebt die Vorteile strohgedämmter | |
Gebäude im Vergleich zu anderen Bauweisen hervor. Es brauche im Baubereich | |
heute unter ökologischen Gesichtspunkten Materialien, die möglichst | |
langlebig sind und zugleich unschädlich in die Natur zurückgeführt werden | |
können. „Die allermeisten sogenannten modernen, industriellen Baustoffe | |
haben damit aber ein Problem“, erklärt Scharmer. | |
„Sie hinterlassen häufig schädliche Stoffe und erzeugen große Müll- und | |
Schuttmengen, aber Stroh tut das nicht.“ Industrielle Dämmstoffe mögen zwar | |
in der Anschaffung billiger sein, aber bei Herstellung und Entsorgung sind | |
sie problematisch und im Brandfall sogar extrem gesundheitsschädlich. | |
„Verglichen damit ist Stroh eigentlich der Mercedes unter den Dämmstoffen“, | |
fügt Scharmer an. | |
Aus Gründen der Ökologie wie auch des Wohnkomforts haben sich auch die | |
Bewohner des sozialökologischen Wohnprojekts wurzeln & wirken in Wustermark | |
für den Baustoff Stroh entschieden. „In dem zu Ballen gepressten Stroh wird | |
Kohlenstoffdioxid aus der Luft langfristig gebunden, statt wie bei anderen | |
Bauweisen zusätzlich emittiert zu werden“, erläutert die ausführende | |
Architektin Friederike Fuchs. „Der zugelassene Baustoff kommt ohne | |
chemische Zusätze aus, ist feuchtigkeitsregulierend und erreicht eine hohe | |
Dämmwirkung“, so die Bauexpertin, die sich in ihrem Architektur- und | |
Planungsbüro STROH unlimited, ebenfalls in Brandenburg angesiedelt, seit 15 | |
Jahren auf Strohgebäude spezialisiert hat. Bei dem Wohnprojekt in | |
Wustermark wurden rund 20 Tonnen Stroh aus dem nahegelegenen Staaken | |
verbaut. | |
Die fest gepressten Strohballen werden zugeschnitten und zwischen die | |
Fachwerkständer aus Holz eingepasst. Wichtig ist die Verputzung, nach innen | |
aus Lehm, der nicht einfach aufgetragen, sondern feinfühlend in die Halme | |
„einmassiert“ wird. Der längeren Trocknung wegen empfiehlt sich ein Bau im | |
Sommer. | |
## Feuer, Feuchte, Viecher | |
Und was ist mit Feuer, Feuchte, Viecher? Dies sind die drei häufigsten | |
Einwände gegen das Bauen mit Stroh. Bei fachgerechter Verbauung stelle | |
Stroh „keine größere Brandgefahr dar, verrottet nicht und wird nicht von | |
Nagetieren und Ungeziefer befallen“, fasst eine Anwenderbroschüre des FASBA | |
den bisherigen Erfahrungsstand zusammen. | |
Die geringe Entflammbarkeit vergleicht Architektin Fuchs mit dem | |
„Telefonbucheffekt“: Obwohl aus Papier, geht der Wälzer nicht gleich in | |
Flammen auf, weil die dicht aufeinanderliegenden Seiten keinen Sauerstoff | |
hineinlassen. Diese Eigenschaft hat den Strohballen im deutschen Baurecht | |
die Einstufung in die Baustoffklasse DIN 4102-B2 („normal entflammbar“) | |
verschafft. Das bedeutet: Die Wand muss einem Feuer mindestens 30 Minuten | |
lang standhalten. | |
Von weiteren Untersuchungen berichtet die studierte Architektin Eyleen | |
Göbel in ihrer [2][2019 an der Hochschule Augsburg entstandenen | |
Masterarbeit]. „Im Rahmen eines Forschungsprojektes wurde ein Kubus in | |
Holzständerbauweise mit Strohdämmung erstellt“, schildert Göbel den | |
Versuchsaufbau. „Strohproben der dort eingesetzten Dämmung wurden ins Labor | |
geschickt und auf Pestizide untersucht.“ Zudem wurden Hausstaubproben | |
entnommen und auf die im Stroh nachgewiesenen Pestizide untersucht, was | |
Rückschlüsse auf Ausdünstungen aus Strohwänden ermöglichen sollte. | |
„Das Ergebnis war erwartungsgemäß gut“, fasst Göbel den Befund zusammen. | |
Von 8 Wirkstoffen im Stroh wurde nur einer nachgewiesen (Tebuconazol) und | |
dies im „unauffälligen“ Bereich (unter 1 mg/kg). Das Ergebnis deute darauf | |
hin, dass Pflanzenschutzmittel eingesetzt würden, „die lokal an der Pflanze | |
wirken und nicht in die Pflanze eindringen“, so die Architektin, mithin | |
auch nicht in die Wanddämmung eingeschleppt werden können. | |
## Keine Lobby | |
Trotzdem ist das Bauen mit Stroh noch immer eine absolute Nische. Zwar | |
haben Leute wie Friederike Fuchs und ihre Mitstreiter vom FASBA-Verband mit | |
großem Einsatz dafür gekämpft, dass Stroh im Regelwerk der Bauverwaltung | |
inzwischen als geprüfter Baustoff anerkannt ist und überall eingesetzt | |
werden kann. Seit 2014 gibt es eine eigene Strohbaurichtlinie. Architektin | |
Fuchs sagt jedoch: „Uns fehlt eine Lobby, die diese Technik bekannter | |
macht.“ | |
Im Windschatten des aktuellen Booms bei der Errichtung von Holzgebäuden | |
könnte sich das ändern. Nicht nur, weil sich [3][beim Baustoff Holz] erste | |
Knappheiten abzeichnen. Auch weil sich unter Klimaaspekten die regionale | |
Verfügbarkeit von Stroh immer mehr als bautechnischer Pluspunkt | |
herumsprechen könnte. | |
Eine zweite Besonderheit könnte Stroh gleichfalls zum Trend machen: die | |
soziale Bauweise. Weil bisher ohnehin wenige Baubetriebe die Technik | |
beherrschen, ist STROH unlimited dazu übergegangen, die Bauherren und | |
-frauen selbst für das Bauen mit Stroh zu trainieren. Dazu werden spezielle | |
Praxisworkshops vor Ort angeboten: Auf der Baustelle wird gemeinsam mit | |
ökomotivierten Freunden gelernt. „Wir planen aber auch Kooperationen mit | |
Ausbildungsstätten in Brandenburg“, ergänzt Fuchs. | |
Auch andere „Haus-Aufgaben“ stehen für die Strohverfechter noch an. So | |
steht nicht überall regionales Getreidestroh zur Verfügung, das nicht mit | |
Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde. Es gibt in Deutschland noch kein | |
Zertifizierungssystem für nachhaltigen Getreideanbau zu Bauzwecken. | |
## Finanzielle Fragen | |
In wirtschaftlicher Hinsicht ist der Stroheinsatz nach Aussage der | |
Brandenburger Bioökonomie-Strategie „momentan teurer als andere Bauweisen“. | |
Dies liegt auch daran, dass der geringere Primärenergieaufwand für die | |
Strohbereitstellung nicht gesondert gefördert wird. Zudem kann Stroh teurer | |
werden, wenn es zunehmend in die energetische Verwertung geht – ein | |
Preistreibereffekt, der in letzter Zeit beim Holz zu beobachten war. | |
„Der Verwendung von Strohballen als Dämmstoff sind kaum Grenzen gesetzt“, | |
stellt die Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe (FNR), die zum | |
Bundeslandwirtschaftsministerium gehört, in einer aktuellen Bilanz fest. | |
Hunderte Gebäude in Deutschland und Tausende in Europa hätten dies unter | |
Beweis gestellt. Strohdämmung in Wänden, Decken und Dächern sei | |
bauaufsichtlich anerkannt. | |
Wie weit die gepressten Ballen auch als lastentragende Bauteile eingesetzt | |
werden können, wird noch experimentell erprobt. „In den nächsten Jahren“, | |
so das zuversichtliche Fazit der FNR, „kann das Bauen mit Stroh aus der | |
Nische in den Markt kommen“. | |
5 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Der-Hausbesuch/!5778304 | |
[2] https://baubiologie-magazin.de/masterarbeit-baubiologische-untersuchung-str… | |
[3] /Holzarchitektur-gegen-die-Klimakrise/!5768977 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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