Introduction
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# taz.de -- Pflegerin über Pflegenotstand und Corona: „Der Markt wird es nic…
> Silvia Habekost arbeitet als Pflegerin in der Anästhesie. Sie kämpft für
> mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Ein Gespräch zum „Tag der
> Pflege“.
Bild: „Wir können nur aus einer Position der Stärke Druck ausüben“, sagt…
taz: Frau Habekost, Sie haben vor einem Jahr einen Beitrag in der Analyse &
Kritik, einer Zeitschrift für Sozialtheorie, geschrieben „[1][Uns wird und
wurde nicht zugehört]“. Hat sich das geändert?
Silvia Habekost: Eigentlich nicht. Ich merke das auch bei Presseanfragen:
Da erwartet man, dass wir schildern, wie schrecklich unsere Situation ist,
dass Patienten gefährdet werden, dass Patienten sterben. Aber der Bericht
darüber, wie wir uns organisieren und dass wir in dem Fall schon auch
handelnde Personen sind und aktiv gegen diese ganzen Zustände ankämpfen …
Kann zwar sein, dass wir das erzählen, aber das senden sie dann nicht.
Sie meinen, dass das zu sehr Opferinszenierung ist?
Ja, genau. Es gab und gibt viele Aktionen wie „Pflege am Boden“. Wenn wir
gewerkschaftlich kämpfen und sagen: Hey, Leute, tretet in die Gewerkschaft
ein, organisiert euch, kommt das in einigen Bereichen nicht so gut an.
In welchen?
Vor allem bei so manchen Arbeitgebern. Es gibt sicherlich bessere und gute
Beispiele, aber die Erfahrung, die ich mache, da wird das nicht so gerne
gesehen.
Können Sie das bitte etwas genauer beschreiben?
Als wenn die Angst vor uns hätten. Kolleg:innen von mir haben auch
tatsächlich Angst. Aber da muss ich auch sagen: Tja, Leute, wir müssen uns
unserer Stärke bewusst sein.
Es ist ja ein Recht, das man hat, sich gewerkschaftlich zu organisieren.
Ja, natürlich. Aber es wird uns teilweise abgesprochen. Auch die
Meinungsäußerung. Ich habe doch das Recht, mich gewerkschaftlich zu
organisieren. Auch im Betrieb. Reden kann ich auch während meiner
Arbeitszeit. Aber ich kann natürlich auch hinterher meine Kolleg:innen
ansprechen oder in der Pause. Ich lass mir doch nicht den Mund verbieten!
Jetzt habe ich den Punkt vergessen, den ich nennen wollte …
… viele haben Angst.
Genau, viele haben Angst. Aber wir werden gebraucht! Eigentlich müssten wir
doch die Bedingungen diktieren können. Aber da wird nicht drauf gehört. Da
habe ich so ein Gefühl, Leute, ihr habt den Schuss nicht gehört. Da redet
sich die Politik raus.
Inwiefern?
Leasing im Pflegebereich ist anders als in anderen Bereichen, es ist
richtig teuer. Aber die Kolleg:innen, die das machen, die schaffen sich
ihre Bedingungen, die sie haben wollen.
Was bedeutet das, „sich Vorteile zu schaffen durch Leasing“?
Sie suchen sich die Schichten aus, machen dann frei, wann sie frei haben
wollen. Und verdienen meistens noch mehr.
Und das führt zur Abwehrhaltung.
Von der Politik wird es verteufelt, es wird von den Krankenhausleitungen
und von den Geschäftsführungen verteufelt, weil es halt teuer ist. Dann
wollen sie es am liebsten verbieten. Dann würden sie die Möglichkeit
verbieten, sich bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Leasing ist ein
Teufelskreis: Wenn keine Leasingkräfte mehr bestellt werden und
gleichzeitig keine Betten gesperrt, keine Operationen abgesagt werden,
verschlimmern sich die Arbeitsbedingungen der Stammbelegschaft noch mehr.
Und das treibt noch mehr ins Leasing.
Verständlich.
Sie schaffen es nicht, in den Betrieben die Arbeitsbedingungen zu schaffen,
wo man Leasing nicht mehr braucht. Die sagen zwar, die wollen sie in den
Betrieb zurückholen. Aber schaffen keine Anreize dafür, dass die auch
wieder zurückkommen. Sondern verteufeln uns dafür, dass wir das wirklich
ändern wollen. Und das verstehen sie nicht. Die Arbeitsbedingungen müssen
sich ändern.
Wie reagieren Politiker:innen auf Ihre Forderungen?
Frau Kalayci hat uns letztes Jahr, als wir in Verhandlungen zum
Corona-Krankenhauspakt waren, gefragt und auch vorgeworfen, warum wir das
denn nur für Vivantes und die Charité machen. Das muss man sich mal
vorstellen. Sie macht nichts. Sie lehnt unseren Volksentscheid ab, wo wir
es für alle Krankenhäuser in Berlin regeln wollten, und fragt uns, wieso
wir das denn nur für Vivantes und Charité machen.
Wie haben Sie reagiert?
So was macht mich echt sprachlos. Das sind so Ausflüchte, nichts zu machen.
Sie haben es gerade erwähnt, mit dem Volksentscheid Gesunde Krankenhäuser
sind Sie gescheitert. Nun ist daraus das Bündnis „Gesundheit statt Profite“
entstanden. Was ist diesmal anders?
Auf der juristischen Ebene sind wir gescheitert. Aber mit dem
Volksentscheid sind wir auch breiter geworden. Man sammelt nicht 50.000
Unterschriften einfach mal eben so.
Am 12. Mai wollen Sie mit Ihrer „[2][Berliner Krankenhausbewegung]“ am
Roten Rathaus eine Petition übergeben, in der Sie einen Tarifvertrag
„Entlastung“, also eine Entlastung per Tarifvertrag, und den Tarifvertrag
für den öffentlichen Dienst (TVöD) fordern. Was kann man sich darunter
vorstellen?
Das ist unser Plan to win. Die Petition ist von den Kolleg:innen von
Charité und Vivantes und Töchter, die machen so ein bisschen mehr als 40
Prozent der Krankenhausversorgung in dieser Stadt aus. Die Beschäftigten in
der Pflege und die drumherum arbeiten, sind 12.000 Beschäftigte. Nicht alle
werden gleich bezahlt. Ich bin schon lange Verdi-Mitglied und habe
gemeinsam mit anderen diese Bewegung initiiert. Wir wollen einen
Tarifvertrag für die Entlastung aller Krankenhausangestellten und TVöD für
die Töchter für Vivantes.
Was bedeutet das genau?
Das Ziel „Tarifvertrag Entlastung“ fordert verbindliche Vorgaben zur
Personalbesetzung. Und es braucht Konsequenzen: Wenn diese Vorgaben nicht
eingehalten werden, gibt es einen Tag frei. Das heißt, das Interesse vom
Arbeitgeber sinkt, weil er dann freie Tage vergeben muss. Und der TVöD für
die Töchter von Vivantes.
Also Tochterunternehmen, die eigentlich zum Krankenhaus gehören.
Genau. Angestellte, die in der Reinigung, der Wäscherei, der
Essensversorgung arbeiten. Diese ganzen Tätigkeiten haben sie halt entweder
fremdvergeben oder Tochterfirmen gegründet. Das macht dann eben auch die
gewerkschaftliche Organisierung von den Kolleg:innen schwieriger. Die
CFM, die Tochter der Charité, hat jetzt einen Tarifvertrag.
Warum TVöD?
Das ist halt ein Tarifwerk, was für ganz ganz viele Beschäftigte gilt.
Urlaubstage, Zulagen, Eingruppierung, das alles in einem extra Tarifvertrag
zu erarbeiten, das ist wirklich viel Arbeit. Deswegen kann man TVöD nehmen.
Das ist eine Leitwährung, an der sich viele Tarife orientieren.
Der Tarifvertrag Entlastung fordert auch einen anderen Personalschlüssel.
Also mehr Pfleger:innen, die weniger Patient:innen versorgen.
Im Krankenhaus kommt es zu Belastungssituationen, wenn wir nicht genügend
Leute sind. Und darauf wird keine Rücksicht genommen wird. Wenn im
Kreißsaal ein Notfall ist und man dringend Unterstützung braucht und
niemand mehr da ist – da geht es um zwei Menschenleben. Solche Situationen
kann man nicht zu oft machen.
Sie arbeiten in der Anästhesie. Was für ein Personalschlüssel ist Ihre
Wunschvorstellung?
Meine Wunschvorstellung, ja … Es gibt in diesem Sinne keine
Patientenschlüssel. Eigentlich ein Patient pro Pflegekraft. Du leitest die
Narkosen in der Einleitung ein, fährst mit den Patienten in den Saal, dann
ist die Operation, dann machen wir ihn wieder wach und fahren ihn raus.
Teilweise fangen wir schon an mit der Einleitung, wenn die OP im Saal noch
gar nicht fertig ist. Dann betreust du aber beide.
Wie kommen Sie damit zurecht?
Das sind die belastenden Situationen. Ich kann nur einen Patienten
versorgen. Und wenn es niemand anderes gibt, der das machen kann, liegt es
in der Verantwortung der Ärzte. Gerade die Situation des Einleitens und des
Ausleitens ist so ähnlich wie Start und Landung bei Flugzeugen (macht
Gleitbewegung mit den Armen). Flugzeuge fliegen auch nicht ohne Co-Piloten.
Das sind die wichtigsten und die gefährlichsten Aspekte in der Anästhesie.
Es kann halt einfach ganz viel passieren.
Wie wollen Sie ihr Ziel erreichen?
Der erste Stärketest ist, dass die Mehrheiten der Stationen und Bereichen
die Petition unterschreiben. Ich zeig ihnen das gleich (Habekost zieht
einen Schnellhefter aus ihrem Rucksack, darin sind Zettel mit Namen, neben
denen teilweise grüne Punkte kleben). Die Punkte sind die Unterschriften.
Es ist eine einzige, die bisher nicht unterschrieben hat. Die gelb
Markierten sind die Verdi-Mitglieder.
Warum ist es für die Bewegung wichtig, dass Ihre Kolleg:innen bei Verdi
eintreten?
Damit wir ernstgenommen werden. Da müssen die Hälfte aller Kolleg:innen
bei Verdi organisiert sein. Wir können nur aus einer Position der Stärke
Druck ausüben.
Das ist ein großes Ziel dafür, dass Gewerkschaften heute nicht mehr so
wichtig sind.
Wir zeigen, dass Gewerkschaften wichtig sind. Ohne unsere eigene
gewerkschaftliche Organisierung schaffen wir das nicht.
Wie viele sind in Ihrem Team bei Verdi?
Na ja, bei uns sind es ungefähr 40 Prozent.
Das war noch nicht immer so?
Ja, doch. Aber ich arbeite dran. Ob mein Team die 100 Prozent schafft, weiß
ich nicht, aber von 50 Prozent sind wir nicht so weit weg.
Warum ist Ihnen die gewerkschaftliche Arbeit so wichtig?
Viele Dinge – wie Arbeitszeit, Urlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
erscheinen uns heute so selbstverständlich. Die sind aber alle erkämpft
worden. Und gerade in den letzten Jahren gibt es Angriffe auf unsere
Rechte. Ich will aber auch keine Privilegien, sondern ich will, dass wir
solidarisch miteinander umgehen. Dafür steht Gewerkschaft und dafür steht
unsere Bewegung – in der Pflege und anderen Bereichen kämpfen wir für
Besetzungsregeln und in den Tochterfirmen für faire Löhne – im Endeffekt
soll es keine Tochterfirmen mehr geben – Arbeit im Krankenhaus funktioniert
nur im Team.
Was ich mich auch frage: Sie schreiben, dass der Markt nichts regelt. Man
könnte eigentlich meinen, dass eine linke Politik da gut gegensteuern
könnte. Jetzt haben wir einen rot-rot-grünen Senat. Würden Sie sagen, der
hat versagt?
Natürlich können sie auf Landesebene, gerade wenn es kommunale
Krankenhäuser sind, auch etwas anderes regeln. SPD und Grüne haben ja
letztendlich diese Krankenhausfinanzierung auf Bundesebene durchgesetzt.
Was heißt denn linke Politik? Und es gibt aber halt auch bisher, wenn man
die Bundesebene anguckt, nicht ein richtiges Umdenken in die Richtung. Ich
erwarte das nicht von der CDU. Aber es könnte wenigstens mal ein paar mehr
Stimmen von SPD und Grünen geben, die da mal klarer werden.
Inwiefern?
Die reden wirklich immer viel, aber es tut sich halt wirklich nichts.
Vivantes ist von der Rechtsform her eine GmbH und die sind genau den
gleichen Finanzierungsvorgaben untergeordnet wie alle anderen Krankenhäuser
dieser Rechtsform. Wenn sie Gewinne machen, müssen sie sie nicht abgeben.
Man muss immer im Hinterkopf behalten: Das sind Krankenkassenbeiträge, die
da in privaten Konzernen als Gewinne ausgeschüttet werden.
Verwaltung statt Gesundheit.
Betriebswirtschaft statt Medizin. Der Markt wird es nicht richten. Und
Profit kann nicht das Ziel von Gesundheitsunternehmen sein. Aber die
Politik hat das halt so vorgegeben. Das ist der Punkt, der mich kämpfen
lässt. Es geht hier nicht um den Menschen und die Gesundheit. Wie kann man
jedes Handeln in diesen Krankenhäusern, nicht nur in den Krankenhäusern,
aus dem finanziellen Aspekt betrachten? Das macht einen auf Dauer mürbe.
Inwiefern?
Zum Beispiel: Von der Abrechnungslogik her bekommen die Krankenhäuser mehr
Geld für den Kaiserschnitt als für eine „normale“ Entbindung. Aber eine
Frau bei der Geburt zu begleiten, ist natürlich zeit- und
personalintensiver. Aber das kann es doch nicht sein. Dass das eine Rolle
spielt. Das spielt ganz oft eine Rolle. Das erlebe ich jeden Tag.
Haben Sie ein Beispiel? Was hätte gestern nicht passieren dürfen, was
passierte?
Ein konkretes Beispiel habe ich nicht, ich will ja meinen Job nicht
verlieren. (lacht) Aber ein bisschen allgemeiner: Ich arbeite ja im OP, in
der Anästhesie. Es ist ein kostenintensiver Bereich. Natürlich müssen wir
sehen, dass wir nicht rumtrödeln. Aber man darf den Patienten nicht aus dem
Blick verlieren. Es gibt ja auch genügend Gründe, so invasive Eingriffe
durchzuführen. Aber da muss halt vom Patienten her draufgeguckt werden. Und
nicht: Brauche ich da so und so viele Operationen, um nachher keine Miesen
zu machen? Würden drei Wochen Physiotherapie vielleicht auch helfen? Aber
das wird nicht finanziert.
Was treibt Sie denn an, als Pflegerin zu arbeiten? Sie haben ja gerade
schon erzählt, wie viele Kolleg:innen gehen oder reduzieren.
Ich mache diese Arbeit gerne. Die Arbeit mit Patient:innen und meine
Leitungsfunktion. Ich bin stellvertretende Leiterin meiner Abteilung und
organisiere einfach gerne. Da ist es im Grunde auch fast egal, ob ich das
auf der Arbeit mache oder in der Freizeit. Da profitiere ich natürlich auch
davon, wenn ich politische Arbeit mache. Das mache ich schon mein Leben
lang. Ich war schon immer ein politischer Mensch, habe immer politische
Arbeit gemacht.
Sie sagen, Sie haben auch andere politische Arbeit gemacht. Welche?
Ich war nach meiner Ausbildung zwei Jahre in den USA mit Aktion
Sühnezeichen/Friedensdienste und habe dort
Zentralamerika-Solidaritätsarbeit gemacht. Als ich wieder in Berlin war,
habe ich das weitergemacht.
Wie sah diese Solidaritätsarbeit damals aus?
Na, das war ja in den achtziger Jahren. Wo die Revolution in Nicaragua
passiert und dann in El Salvador und Guatemala Bürgerkrieg war – von den
USA finanzierte Kämpfe gegen die Bevölkerung dort. Wir haben halt viel
Unterstützungsarbeit für die revolutionären Bewegungen gemacht. In meiner
Zeit in den USA haben wir die gegen die Politik dort mobilisiert und viel
Aufklärungsarbeit gemacht. Hier war ich weiter aktiv in der
Solidaritätsbewegung. Die taz war ja auch Teil davon mit der Kampagne
„Waffen für El Salvador“.
Und dann?
Dann war ich hier in einer autonomen Frauengruppe. Ich habe nebenher
Nordamerikastudien und Politik studiert und viel in Richtung Feministische
Theorie gemacht. Es ist ganz wichtig, Theorie zu haben. Das untermauert ja
auch die Praxis. Feministisch, antirassistisch, das ist für mich ein Teil
von dem, wie ich mich sehe. Dann eben auch eher in eine autonome Ecke und
nicht in eine parteipolitische Ecke. Ich bin nicht in einer Partei und
werde auch nicht in eine Partei eintreten.
Die Revolution von damals tragen Sie also heute ins Krankenhaus?
Jetzt ist eindeutig die Phase der Gesundheitspolitik. Auf einer
gewerkschaftlichen, aber auch auf einer theoretischen Ebene. Für die
anderen Themen gehe ich halt mit anderen auf die Straße, auf Demos.
Welche Demos?
Ich bin jetzt bei Unteilbar dabei. Halt solche Sachen.
Gewerkschaftsgremien, betriebliche Organisierung, Vernetzungsarbeit. Und
Theorie. Das braucht man einfach.
Was machen Sie, wenn Lohn- und Gewerkschaftsarbeit vorbei ist?
Wenn es irgendwie geht, gehe ich wandern. Ich gehe gerne schwimmen, spiele
auch Volleyball und jogge. Sport ist für mich ein wirklich wichtiger
Ausgleich. Ich fahre auch gerne Fahrrad. Das mache ich gerne im Alltag und
auch gerne im Urlaub, so Fahrradtouren. Was ich mir jetzt auch schon
angewöhnt habe, dass ich mir irgendwelche Podcast anhöre und spazieren
gehe. Also ausgedehnte Spaziergänge mache, um auch von diesem Bildschirm
wegkomme, das ist ja auch immer ganz wichtig. Und diese Podcasts sind
ziemlich gut.
Können Sie einen empfehlen?
Ich höre auf jeden Fall immer dieses Corona-Update. Ich war aber auch schon
in ein paar Podcasts drin. Hier habe ich auch ein Buch! Ich habe einen
Flyer mitgebracht. (Habekost reicht einen Zettel, auf der ein Buch beworben
wird.) So Tage könnten gerne mehr als 24 Stunden haben.
Das klingt so. Ich habe eine Frage, die voyeuristisch klingt, wir hatten
vorhin schon über die mediale Opferinszenierung der Pfleger:innen
gesprochen. Aber ich fände es falsch, es nicht zu fragen: Wie sah in der
Pandemie Ihr Alltag aus?
Zum einen war da natürlich auch sehr viel Verunsicherung. Im Grunde haben
wir die Flucht nach vorne angetreten, indem wir es genutzt haben, uns zu
organisieren. Dieser anfängliche Mangel an Schutzmaterial, das war schon
belastend.
Mit welchem Gefühl kommen Sie im Moment nach Hause?
Das ist ganz unterschiedlich. Das ist letztendlich das Reizvolle in diesem
Beruf. Dass jeder Tag anders ist. Dass fast jede Stunde anders ist und dass
vor allem jede Schicht anders ist. Manche sind halt total anstrengend.
Teilweise weil wir zu wenig sind, teilweise weil es so viel Arbeit ist und
so viele Notfälle sind. Langweilig ist mir echt selten. Eigentlich nie. Mir
ist eh nie langweilig und auf der Arbeit natürlich gar nicht. Das gehört zu
dem Beruf dazu. Natürlich gibt es Situationen, die dich dann nicht
loslassen.
Möchten Sie von so einer Situation erzählen?
Na, es gibt so Situationen, die einen ein Leben lang nicht mehr loslassen.
Das hängt dann eher von den Dingen ab, die da passieren. Das ist halt auch
das Belastende in einer Pandemie. Ich arbeite nicht auf einer
Intensivstation. Das sind dann die Beschreibungen, die man inzwischen auch
vermehrt sieht. Das ist aber eben unser Beruf. Aber wenn du an den Punkt
kommst, wo du merkst: Du kannst diese Arbeit nicht so machen, wie du sie
machen musst, um den Patient:innen gerecht zu werden, das sind dann die
Punkte, die einen wirklich zweifeln lassen. Wo man nach einer Schicht
merkt: Nee, so will ich eigentlich nicht mehr arbeiten.
Was merken Sie in der Anästhesie davon?
Die Schichten, wo ich dann merke: Ich habe Sachen gemacht, von denen ich
nicht weiß, wieso wir das mit dem Patienten so gemacht haben? Oder wo wir
halt zu viele Patient:innen gleichzeitig hatten. Du rennst und rennst
und kommst nicht dahin, wo du eigentlich hinwillst.
Was ist besonders belastend?
Wenn man davon zu viele hat und wirklich in so Grenzsituationen kommt und
merkt, der ist jetzt vielleicht nicht mehr geworden, weil zu wenig Hände da
waren. Natürlich gibt es auch Sachen, wo man im Nachhinein merkt: Da hätte
man nichts machen können. Aber so ein Gefühl zu haben, hier, ich hätte was
machen können, wenn wir mehr Leute gewesen wären, das ist halt, was einen
immer richtig beschäftigt. Und umtreibt. Was wir nicht haben wollen.
Gibt es denn Tage, an denen Sie zweifeln? Es gibt ja sehr viele
Pflegekräfte, die überlegen, nach der Pandemie den Job zu beenden.
Na, ich bin jetzt ja schon zu lange dabei. Ich will noch vier Jahre
arbeiten, dann ist Schluss. Was mich aber auch dabei hält, ist der Versuch,
gegen diese Bedingungen und gegen die Politik anzukämpfen. Ich will
Bedingungen schaffen, die dafür sorgen, dass es Nachwuchs gibt. Ich kämpfe
jetzt im Grunde nicht mehr für mich, ich kämpfe jetzt für die anderen.
9 May 2021
## LINKS
[1] https://www.akweb.de/politik/zwoelf-stunden-toeten/
[2] https://berliner-krankenhausbewegung.de/
## AUTOREN
Nicole Opitz
## TAGS
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