# taz.de -- Arbeiten im Krankenhaus: „Leiharbeitskräfte verdienen mehr“ | |
> Viele Pflegende werden gerade in den Krankenhäusern gebraucht. Meike | |
> Jäger von Verdi spricht im Interview über die Zwei-Klassen-Systeme in der | |
> Pflege. | |
Bild: Auch im Krankenhaus Bethel Berlin in Lichterfelde werden Corona-Patient:i… | |
taz: Frau Jäger, Sie sind bei Verdi unter anderem zuständig für Berliner | |
Kliniken, Pflegeheime und die Arbeitsbedingungen dort. Welche Rolle spielen | |
Leiharbeitsfirmen zur Zeit auf der Intensivstation? | |
Meike Jäger: Wir wissen, dass viele Pflegekräfte abwinken und sagen, Sie | |
wollen nicht auf eine Corona-Station. Andere springen [1][in letzter Minute | |
ab]. Auch Leiharbeitnehmer:innen erkranken an Covid-19 und haben Angst. | |
Gerade jetzt zur zweiten Wellen werden ja besonders viele Pflegende auf der | |
Intensivstation gebraucht. Wie kann das Abspringen der Pflegekräfte | |
verhindert werden? | |
Die Arbeitsverträge bei den Leiharbeitsunternehmen sind unterschiedlich | |
gestaltet. Auch Leiharbeitnehmer:innen sind Beschäftigte, die Rechte haben. | |
Für die Kolleg:innen auf der Station ist das allerdings immer wieder ein | |
Thema: Die Leiharbeitenden übernehmen Dienste, die festangestellte | |
Kolleg:innen vielleicht gerne selbst machen würden. Dadurch entsteht eine | |
Art System der ersten und zweiten Klasse. | |
Sie meinen, dass die erste Klasse die Leiharbeitenden sind und die zweite | |
Klasse die Festangestellten im Krankenhaus? | |
Ja, sozusagen. Die Festangestellten arbeiten ja nach dem Dienstplan und die | |
Leiharbeiter:innen können sich aussuchen, wie sie arbeiten wollen. Es sind | |
mittlerweile sehr viele Beschäftigte für Leiharbeitsfirmen tätig. Jeder | |
kennt jemanden, der das macht und das Verständnis ist groß. Leute haben | |
häufig ihre Stunden in der Festanstellung reduziert, um sich die restlichen | |
Dienste aussuchen zu können. Das ist attraktiv. | |
Das heißt, Sie sehen vor allem Vorteile der Leiharbeit? | |
Der Markt im Gesundheitswesen hat sich ein Stück gedreht. Leiharbeit wurde | |
geschaffen, damit in erster Linie Arbeitgeber flexiblere Möglichkeiten | |
haben, Arbeitnehmer:innen abzustoßen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. | |
Aufgrund des Mangels an Fachpersonal hat sich ein Arbeitsmarkt etabliert, | |
der sich an der Verfügbarkeit von Fachkräften ausrichtet. | |
Leiharbeitsunternehmen verdienen richtig gut. Sie können fast jeden Preis | |
durchsetzen, davon profitieren auch die Leute, die dort angestellt sind. | |
Welche Gesundheitsberufe gibt es in Leiharbeitsfirmen? | |
Es gibt Leiharbeitsfirmen, die haben sich auf Pflegepersonal spezialisiert. | |
Es gibt auch Leiharbeitsunternehmen, die Laborpersonal, | |
Radiologieassistent:innen, Therapeut:innen und Physiotherapeut:innen | |
anstellen. | |
Wie viele Menschen arbeiten als Leiharbeiter:innen im Gesundheitsbereich? | |
Ich habe keine genauen Zahlen. Mir scheint der Anteil derjenigen, die einen | |
festen Arbeitsplatz in Teilzeit haben und zusätzlich bei einer | |
Lohnarbeitsfirma arbeiten, in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen | |
zu sein. | |
Wenn es Ihrer Meinung so viele Vorteile gibt, in einer Leiharbeitsfirma zu | |
arbeiten – warum gibt es dann noch Festangestellte? | |
Im Gesundheitswesen gibt es eine starke Teamorientierung, die man aufrecht | |
erhalten möchte. Man verortet sich in seinem Team, auf seiner Station. Den | |
Weg in die Leiharbeit gehen die Menschen häufig nur deshalb, weil sie die | |
Belastung im Dreischichtbetrieb nicht aushalten. | |
Können Sie etwas zur Bezahlung von Leiharbeitenden sagen? | |
Ich habe keine Zahlen, aber es scheint schon sehr attraktiv zu sein. | |
Was macht das mit der Arbeitskultur? | |
Das kann man sich ja ein bisschen vorstellen. Nehmen Sie ein Stammteam, das | |
unterbesetzt ist, in dem die Leute sowieso schon angestrengt sind. Häufige | |
Wechsel werden dann als eine zusätzliche Belastung wahrgenommen. Wenn die | |
Leiharbeitenden nachfragen müssen: „Wo finde ich was? Wie dokumentiere ich | |
das?“, ist das natürlich ein Störfaktor im laufenden Betrieb. Mit Corona | |
haben wir nun nochmal eine [2][hyperverschärfte Situation]. | |
Was bekommen Sie in dieser Hinsicht mit? | |
Insbesondere [3][auf den Intensivstation ist es die Hölle] gerade. Egal, ob | |
ich nach Berlin oder nach Brandenburg gucke: Die Leute gehen auf dem | |
Zahnfleisch. Patient:innen sterben in einem deutlich höheren Ausmaß als | |
noch in der ersten Welle. Das macht natürlich auch psychisch was mit den | |
Leuten. Corona-Infektionen nehmen auch beim Personal zu. Vermehrt sterben | |
auch Kolleg:innen, höre ich aus den Betrieben. Die eigene Angst nimmt zu. | |
Es scheint schlimm zu sein. | |
Was belastet das Krankenhauspersonal besonders? | |
Dass nun in Krankenhäusern triagiert werden muss: Welche Person kriegt | |
welche Hilfe? Das ist dann die Stufe, wo die Leute echt an die | |
Belastungsgrenzen kommen. Das ist richtig schlimm. | |
Können Sie Leiharbeitende verstehen, die in letzter Minute abspringen, weil | |
sie eine solche Situation nicht erleben möchten? | |
Ich kann das individuell nachvollziehen, aber in der Konsequenz finde ich | |
das natürlich nicht gut. Wenn jemand gebraucht wird, muss jemand | |
hingeschickt werden. Die Leiharbeitsunternehmen machen sich an vielen | |
Stellen einen schlanken Fuß: „Die Person hat kurzfristig abgesagt, Pech | |
gehabt“, heißt es. Das geht nicht, finde ich. Auch die Leiharbeitsfirmen | |
haben hier eine Verantwortung. | |
Diese sehen Sie vernachlässigt? | |
Ja. Mir haben Kolleg:innen erzählt, dass Leiharbeitsfirmen wochenlang ihre | |
eigenen Leute nicht getestet haben. Das musste das Einsatz-Krankenhaus | |
übernehmen. Die beiden öffentlichen Schwerpunktversorger, die die Hauptlast | |
momentan bei der Covid-Versorgung in Berlin tragen, Charité und Vivantes, | |
sind auf den Intensivstationen und auch bei der Labor GmbH voll an ihre | |
Grenzen gekommen. Wenn es die Anforderung gibt, dass die | |
Leiharbeitnehmer:innen getestet sind, dann müssen das meines Erachtens auch | |
die Leiharbeitsfirmen übernehmen und gewährleisten. Ich bin der Auffassung, | |
dass das Land Berlin hier klare Regeln schaffen müsste. | |
Gibt es dazu eine offizielle Forderung von Verdi? | |
Nein, bisher nicht. Wir hatten im Frühjahr einen Corona-Krankenhaus-Pakt | |
geplant. Dazu gab auch mehrere Gespräche mit der Gesundheitssenatorin, ein | |
gemeinsames Papier war fast fertig. Das Papier ist leider nicht mehr | |
zustande gekommen, weil uns alle die zweite Welle voll erwischt hat. Der | |
Umgang mit Leiharbeit war dabei allerdings kein Thema. | |
Warum nicht? | |
Das haben die Kolleg:innen zu diesem Zeitpunkt nicht als ein zentrales | |
Problem gesehen. Wichtiger waren andere Fragen: Gibt es während der | |
Corona-Pandemie einen Belastungsausgleich? Gibt es genug Schutzmaterial und | |
Masken? Da waren erstmal andere Themen auf der Tagesordnung. Ich glaube, | |
momentan ist es erstmal so, dass die Kolleg:innen alle die zweite und | |
vielleicht noch dritte Welle gut überstehen wollen. Im Januar gucken wir | |
uns das nochmal an. | |
Wie sollen die Patient:innen zur Zeit versorgt werden, wenn die | |
Leiharbeitenden nicht auf die Arbeit zur Intensivstation kommen? | |
Ich sag mal: An welcher Ecke zieht man, wenn die Bettdecke insgesamt zu | |
kurz ist? Die prekäre Personalsituation ist seit vielen Jahren Hauptthema | |
bei Verdi. Es gibt einfach zu wenig Pflegepersonal – da ist die Politik | |
gefordert, die Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass wieder Pflegekräfte | |
zurück in den Beruf kommen, nicht aussteigen und sich mehr junge Menschen | |
dafür ausbilden lassen. | |
22 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.tagesspiegel.de/berlin/in-berlins-krankenhaeusern-fehlen-pflege… | |
[2] /Pflege-im-Coronahotspot-Goerlitz/!5729143 | |
[3] /Klinik-Seelsorgerin-ueber-Corona/!5725867 | |
## AUTOREN | |
Nicole Opitz | |
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