# taz.de -- Männer in der Pflegebranche: Souveräner Umgang mit der Scham | |
> Es gibt mehr Pflegerinnen als Pfleger – wohl auch wegen alter | |
> Rollenvorstellungen. Doch immer mehr Männer beginnen eine | |
> Pflege-Ausbildung. | |
Bild: Nur wenige Männer arbeiten bisher als Pfleger – doch es zeichnet sich … | |
BERLIN taz | Wenn man danach fragen würde, ob es das Gehalt ist, die | |
Schichtarbeit, die Arbeitsbedingungen oder der Umgang mit Schamgrenzen, | |
warum es so wenige Männer in der Pflege gibt, dann hat Marco Desel eine | |
Antwort: „Allen voran ist es der Umgang mit der Schamgrenze, mit der | |
Intimität, die Männer daran hindert, einen Pflegeberuf zu ergreifen“. | |
Desel ist selbst in der Altenpflege tätig, der 44-Jährige hat die | |
Facebook-Gruppe [1][„Wir-sind-die-Pflege“] gegründet, 74.000 Mitglieder | |
tauschen sich darin aus. Männer, erzählt Desel, hätten eine Schamgrenze zu | |
überwinden, wenn sie „das erste Mal eine Frau, die ihnen ja fremd ist, | |
waschen und ankleiden müssen“. | |
Aber langsam ändere sich da was, sagt der Pfleger. In seinem Seniorenheim, | |
einem gefragten Arbeitgeber in Mülheim an der Ruhr, seien jetzt schon 70 | |
Prozent der neuen Auszubildenden Männer. Eine solche Quote ist sehr hoch. | |
Die PflegeschülerInnen wüssten, „wenn ich die Ausbildung beendet habe, | |
stehen mir alle Türen offen“, meint Desel. Das liege auch an der neuen | |
generalistischen Ausbildung, die seit Anfang 2020 gilt. Heute muss sich | |
keine PflegeschülerIn mehr schon zu Beginn der dreijährigen Ausbildung | |
entscheiden, ob er oder sie Kranken-, Kinderkranken- oder Altenpflege | |
lernen wolle. Die Grundausbildung ist zwei Jahre lang für alle gleich, | |
danach kann man sich spezialisieren oder auch nicht. „Und später gibt es | |
dann Aufstiegsmöglichkeiten, man kann die Stationsleitung machen, die | |
Pflegedienstleitung oder auch noch studieren“, zählt Desel auf. | |
## Anstieg verlangsamt | |
53.610 Auszubildende gab es Ende des Jahres 2020 in dem neuen | |
generalistischen Pflegeberuf, so die am Dienstag veröffentlichten | |
[2][Zahlen des Statistischen Bundesamtes]. 24 Prozent der Auszubildenden | |
waren Männer. Im Jahre 2009 lag der Männeranteil bei den Pflege-Azubis nur | |
bei 19 Prozent. | |
Schaut man auf die gesamten Beschäftigtenzahlen in der Altenpflege, sieht | |
es allerdings ungünstiger aus. Nach von der Linkspartei abgefragten Zahlen | |
der Bundesagentur für Arbeit ist der männliche Anteil unter den | |
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Altenpflege im Schnitt | |
nur von gut 16 Prozent im Jahre 2017 auf gut 17 Prozent im Jahre 2020 | |
gestiegen. In der Krankenpflege ist der männliche Anteil höher und liegt | |
bei über 20 Prozent. | |
In den Metropolen sind die Geschlechterverhältnisse besser. In Berlin und | |
Hamburg ist fast jede vierte Altenpflegekraft ein Mann, in Sachsen-Anhalt, | |
Brandenburg und Thüringen hingegen nicht mal jede sechste. Der Anteil der | |
Männer unter den Pflegebeschäftigten stieg zuletzt wieder etwas langsamer | |
als in den Jahren davor. Die Linkspartei spricht daher sogar von einer | |
„Vollbremsung“ in der Altenpflege. | |
Pia Zimmermann, pflegepolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, | |
erklärte, dass die „gendergerechte Pflege“, nach der Pflegekräfte möglic… | |
nur Gebrechliche desselben Geschlechts körperlich versorgen, ein wichtiges | |
„Qualitätsmerkmal“ in der Altenpflege sei. Davon sind Heime und Dienste | |
weit entfernt. Der Anteil der Männer unter den Pflegebedürftigen liegt bei | |
fast 40 Prozent, also sehr viel höher als der Anteil der männlichen | |
Pflegekräfte. | |
## Männliche Vorreiter | |
„Gendergerecht“ zu pflegen und somit Männer nur von Männern und Frauen nur | |
von Frauen körperlich versorgen zu lassen, wäre im Alltag der Heime auch | |
organisatorisch schwierig. „Das wäre schon dienstplantechnisch schwer | |
möglich“, sagt Desel. | |
Schon seit einigen Jahren beschäftigt sich auch die Forschung mit der | |
Frage, wie man [3][mehr Männer in die Care-Berufe] bekommt. Die | |
SozialwissenschaftlerInnen Elli Scambor und Marc Gärtner weisen darauf hin, | |
dass es schwierig ist für junge Männer, einen Care-Beruf in einem Alter zu | |
ergreifen, in dem gerade die Abgrenzung und das Bestehen vor jungen Frauen | |
besonders wichtig erscheinen und ein Statusverlust befürchtet wird, wenn | |
man einen „weiblichen“ Beruf ergreift. | |
Kommt mehr Technik ins Spiel – wie etwa bei Rettungsdiensten – steigt auch | |
wieder der Männeranteil. Insgesamt gehe es darum, untergeordnete Positionen | |
zu vermeiden und „eine Kohärenz zwischen Arbeit und Männlichkeit“ | |
herzustellen, schreiben die ForscherInnen. Männer in Care-Berufen könnten | |
Männerollen „erweitern“, von Stereotypen befreien und damit zum Vorreiter | |
werden. | |
Auffällig ist, dass laut Statistik 17 Prozent der Auszubildenden in dem | |
neuen generalistischen Bildungsgang 30 Jahre oder älter sind. Sechs Prozent | |
sind sogar 40 Jahre oder älter. Man kann die neue generalistische | |
Ausbildung zur Pflegefachkraft auch in Teilzeit und berufsbegleitend | |
absolvieren, sie wird inzwischen auch grundsätzlich vergütet. | |
Im Jahre 2019 begannen laut Statistik 71.300 Menschen eine Ausbildung in | |
einem Pflegeberuf. Diese Zahlen seien aber nicht mit den neuen Zahlen | |
vergleichbar, sagte auf Anfrage ein Sprecher des Statistischen Bundesamtes. | |
Im Jahre 2019 wurden auch die Auszubildenden in einjährigen Bildungsgängen | |
zu PflegehelferInnen mitgezählt. | |
27 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://de-de.facebook.com/groups/wirsinddiepflege/ | |
[2] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/07/PD21_356_212.h… | |
[3] https://www.bpb.de/apuz/care-arbeit-2020/317852/caring-masculinities-ueber-… | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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