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# taz.de -- Berliner Krankenhausbewegung: Mehr Personal noch vor der Wahl
> Ultimatum abgelaufen: Ab Montag wollen die Krankenhausbeschäftigten
> streiken. Sie kämpfen für Entlastung sowie für gleichen Lohn für gleiche
> Arbeit.
Bild: „Klatschen war gestern, heute ist Zahltag“ – das Motto gilt immer n…
Berlin taz | Das Ultimatum der Berliner Krankenhausbewegung ist um. 100
Tage hatten Politik und Klinikleitungen Zeit, auf die Forderungen der
Beschäftigten einzugehen – doch eine Einigung mit Vivantes und Charité
wurde nicht erzielt. „Wir wollen nicht streiken, aber wir sehen darin die
einzige Möglichkeit“, sagte Nicole Strosche, Krankenpflegerin in der
Kardiologie am Benjamin Franklin Klinikum am Dienstag auf einer
Pressekonferenz der Bewegung. Neben Kampfbereitschaft lag auch etwas
Verzweiflung in ihrer Stimme.
Für die kommende Woche hat die Gewerkschaft Verdi in allen 12 Standorten
von Charité und Vivantes Warnstreiks angekündigt. „Offensichtlich nehmen
uns die Klinikleitungen immer noch nicht ernst“, sagte Silvia Habekost,
stellvertretende Leiterin der Anästhesie im Vivantes Klinikum
Friedrichshain, der taz.
In den Verhandlungen hätten die Klinikleitungen nur auf Verzögerung gesetzt
– und die Politik habe „leere Versprechungen“ abgegeben. Habekost ist
frustriert, mit dieser Entwicklung gerechnet hat sie dennoch: „Wirklicher
Druck funktioniert nur durch Streikmaßnahmen“, sagte sie.
Am [1][12. Mai] war die Berliner Krankenhausbewegung mit einer großen
Demonstration vor dem Roten Rathaus in die Tarifauseinandersetzung
gestartet. In emotionalen Beiträgen hatten Pflegende und Beschäftigte der
Tochterunternehmen berichtet, wie sie völlig überfordert nach ihrer Schicht
in Tränen ausbrechen. Bereits zu diesem Zeitpunkt wusste die Bewegung nach
eigenen Angaben 8.397 Krankenhausbeschäftigte – also 63 Prozent der
gesamten Belegschaft und eine Mehrheit auf jeder Station – hinter sich.
[2][Es folgten Wochen der Organisierung]. Die Bewegung zog von Bezirk zu
Bezirk, überall solidarisierten sich rot-rot-grüne Politiker:innen mit
den Zielen der Beschäftigten. In jeder Station eines jeden Krankenhauses
wurden Forderungsdiskussionen geführt, die am 9. Juli im Stadion der Alten
Försterei zusammengetragen wurden. Union Berlin hatte hierfür seine
heiligen Hallen geöffnet.
## Unterstützung auf dem Papier
Die Pflegenden fordern einen „Tarifvertrag Entlastung“, der
Normalbesetzungen für jede Station definiert und einen Belastungsausgleich
vorsieht, wenn diese unterschritten werden. Die Beschäftigten der
Tochterunternehmen von Vivantes und Charité kämpfen indes um [3][gleichen
Lohn für gleiche Arbeit.] Da insbesondere Vivantes Arbeiten auf formal
unabhängige Tochterunternehmen auslagert, können diese eine Bezahlung nach
dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) umgehen.
Zumindest auf dem Papier erfährt die Bewegung auch große Unterstützung aus
der Politik. Schon im Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2016 hatte sich
rot-rot-grün darauf verständigt, dass „gute Arbeitsbedingungen für die
Pflegenden“ die „Grundlage“ einer funktionierenden Daseinsvorsorge
darstellen. Auch wollte die Koalition „unterbinden“, dass landeseigene
Unternehmen outsourcen, um die Tarifbezahlung zu umgehen.
Linke und SPD unterstützen die Bewegung mittlerweile formal per
Parteibeschluss, auch prominente Grüne haben sich solidarisiert. Auf
taz-Nachfrage, warum die Beschäftigten ihre Rechte dennoch selbst erkämpfen
müssen, verweisen die zuständigen Senatsverwaltungen auf Erfolge der
Vergangenheit. Finanzminister Matthias Kollatz (SPD) – selbst Vorsitzender
des Vivantes-Aufsichtsrats – verwies darauf, dass die Investionspauschalen
erhöht und das Vivantes-Eigenkapital aufgestockt wurde.
Die Gesundheitsverwaltung erinnerte daran, dass Anfang des Jahres die
größte Charité-Tochter – die Charité Facility Management (CFM) – in die
Tarifbindung zurückgeholt wurde. Auch habe man Charité und Vivantes zur
Aufnahme von Tarifverhandlungen verpflichtet, nur seien diese im Fall von
Vivantes eben noch nicht erfolgreich gewesen.
## Systemische Probleme
Für Habekost ist das enttäuschend. Sie sagt, die Politik könne die
Tochterunternehmen per Gesellschafteranweisung zurückführen. Dies sei auch
bei der Rückführung der Therapeut:innen in Charité und Vivantes so
vollzogen worden. 2019 wurden beide für diesen Zweck eingerichteten
Tochterunternehmen in ihre jeweiligen Mutterunternehmen zurückgeführt.
„Nicht zulässig“ sei es indes, so Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD), die
kommunalen Krankenhäuser wegen der möglicherweise durch den
Entlastungsvertrag steigenden Personalkosten Geld zuzuschießen.
„Wettbewerber würden dagegen klagen“, so Kollatz. Meike Jäger, die
zuständige Verdi-Landesfachbereichsleiterin, widerspricht. Zwar stimme es,
dass in der derzeitigen Rechtssituation kein einzelnes Krankenhaus
bevorzugt werden dürfe.
„Ein Beschluss des Senats, der wegen gewünschter erhöhter
Qualitätsstandards entstehende Personalkosten ausgleicht, wäre unseres
Erachtens aber dennoch möglich“, sagte sie. Ein weiterer „denkbarer Weg“
sei es, das Gesellschaftsrecht von Vivantes zu ändern. Wäre Vivantes formal
nicht als GmbH, sondern als Anstalt öffentlichten Rechts (AöR) verfasst,
dürften die Defizite gegenfinanziert werden, so Jäger.
Grundsätzlich zeige der Kampf der Berliner Krankenhausbeschäftigten die
Grenzen des Gesundheitssystems auf, findet Habekost. Ihr Ziel sei es
deshalb, ein „Zeichen“ zu setzen, dass [4][„Gesundheitsversorgung nicht
nach marktwirtschaftlichen Kriterien organisiert“] werden dürfe. Wohl nicht
zuletzt deshalb erfährt die Bewegung eine derart breite Unterstützung aus
der Zivilgesellschaft: Ab Freitag soll ein [5][Soli-Camp] des Bündnisses
Gesundheit statt Profite das Kreuzberger Urban-Krankenhaus belagern.
20 Aug 2021
## LINKS
[1] /Streik-in-Berliner-Krankenhaeusern/!5766326
[2] /Krankenhausbewegung-in-Berlin/!5779290
[3] /Tarifkampf-der-Krankenhausbeschaeftigten/!5786616
[4] /Pflegerin-ueber-Pflegenotstand-und-Corona/!5765838
[5] https://gesundheitohneprofite.noblogs.org/post/2021/08/10/programm-des-soli…
## AUTOREN
Timm Kühn
## TAGS
Arbeitskampf
Pflege
Krankenhäuser
Pflegekräftemangel
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Verdi
Kolumne Sie zahlt
Pflegenotstand
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