| # taz.de -- Debüt-Comic von Lina Ehrentraut: Die zwei Körper der Erzählerin | |
| > In ihrem Comic „Melek + ich“ erzählt Lina Ehrentraut eine queere | |
| > Liebesgeschichte. Dabei mischt sie einen grafischen und einen sehr | |
| > expressiven Stil. | |
| Bild: Wenn es emotional wird, wechselt Lina Ehrentraut zu Farben | |
| „Was für Musik hörst du?“, fragt Nici über einen Bartresen hinweg Melek. | |
| „Oh krass, das ist die beschissenste Frage ever“, denkt Melek. Trotzdem | |
| vertiefen die beiden jungen Frauen ihr Gespräch und verstehen sich auf | |
| Anhieb ziemlich gut. Kein Wunder, denn Nici ist Melek oder zumindest ist | |
| Melek ein Teil von Nici. | |
| In ihrem Comicdebüt „Melek + ich“ bewegt sich Lina Ehrentraut [1][zwischen | |
| Sci-Fi und Arthouse] und erzählt eine Liebesgeschichte der etwas anderen | |
| Art. Nici ist Forscherin und reist mithilfe eines selbsterbauten | |
| künstlichen Körpers – des Melek – in ein Paralleluniversum, in dem sie si… | |
| selbst begegnet. „Ich wollte in Form von Dialog und Beziehung | |
| unterschiedliche Gedanken und Konflikte mit mir selbst zeigen“, erzählt die | |
| Autorin im taz-Interview. | |
| Während Melek eine perfekt selbstoptimierte Version Nicis ist, ist | |
| Letztere chaotisch, exzessiv und nicht besonders entscheidungsfreudig. | |
| Dafür weiß Nici das Leben zu genießen, mit allem, was dazugehört: Trinken, | |
| Rauchen, Essen, am See herumlungern, Filme schauen und Sex haben. „Nici und | |
| Melek verkörpern die beiden Gegensätze, die ich in mir spüre“, sagt | |
| Ehrentraut. 1993 in Neuss geboren, hat sie an der Hochschule für Grafik und | |
| Buchkunst in Leipzig studiert. | |
| Dort habe sie vor Corona auch in diversen Bars gejobbt, ebenso wie ihre | |
| Figur Nici es tut. „Wie Nici liebe ich Karaoke und Sex, rauche und trinke | |
| gerne“, sobald sie aber an einem Projekt säße, erzählt Ehrentraut, sei sie | |
| zielstrebig, vollends vertieft und kaum mehr ansprechbar. „Ich habe das | |
| Gefühl, dass diese zweite Version meiner selbst gesellschaftlich viel | |
| besser ankommt“, sagt sie. Für sie ein gefährlicher Gedanke, da sie diese | |
| exzessive Fokussierung auf Dauer nicht glücklich mache, sondern eher | |
| zerstörerisch und ungesund wirke. | |
| ## Selbstoptimierung in einer digitalisierten Welt | |
| In „Melek + ich“ spielt Ehrentraut deshalb auch auf die in den vergangenen | |
| Jahren in sozialen Medien so präsent gewordene Selbstoptimierung an. Fragen | |
| wie „Wie können wir uns selbst lieben in einer digitalisierten Welt, in der | |
| uns die Selbstoptimierung anderer stets unsere eigenen vermeintlichen | |
| Mängel vor Augen führt?“ spielen eine zentrale Rolle. „Mag ich mich? Warum | |
| vielleicht auch nicht? Wie fühle ich mich an?“, anhand dieser Fragen nähert | |
| Ehrentraut sich selbst und schenkt uns eine Liebesgeschichte, abseits von | |
| heteronormativen Vorstellungen. | |
| Melek und Nici lieben sich, streicheln einander Brust und Schamlippen und | |
| suchen mit ihrer Zunge die der anderen. All das stellt Ehrentraut explizit | |
| dar: Mit klarem Schwarzweißstrich enttabuisiert sie so die [2][Darstellung | |
| weiblicher Körper] und zeigt sie, wie sie sind – mit Nippeln und dichtem | |
| Schamhaar. | |
| Auch in der Comicbranche fehle es, so Ehrentraut, noch an Diversität. | |
| [3][Sex aus einer FLINTA*-Perspektive] komme viel zu selten vor. „Besonders | |
| als Teenie hätte ich mir diversere Darstellungen von Sexualität gewünscht.“ | |
| Überall dort, wo Emotionalität und Genuss exzessiv werden, wechselt | |
| Ehrentrauts Stil, weg von den Comic-Strips in Schwarzweiß, hin zu | |
| ganzseitigen expressiven Malereien in knallbunten Farben. Das lockert nicht | |
| nur optisch auf, sondern lässt auch Raum, die nicht ganz pointierten | |
| Dialoge auf sich wirken zu lassen. | |
| ## Wilder Farb- und Mustermix | |
| In den Farbsequenzen kommt außerdem die gegensätzliche Kleidung der Figuren | |
| besser zur Geltung. Während Melek nur Schwarz trägt, zeigt sich der wilde | |
| Farb- und Mustermix von Nicis Kleidung erst, wenn Ehrentraut vom Fineliner | |
| zum Pinsel wechselt. Dabei ist die Kleidung Teil dessen, worauf Ehrentrauts | |
| Arbeit basiert. „Ursprünglich entstand die Geschichte zum Comic über | |
| Klamotten, die ich designt habe.“ Kleidung sei ja auch identitätsstiftend, | |
| sagt Ehrentraut. Durch die unterschiedlichen Stile sei sie auf die Idee der | |
| zwei Versionen ihrer selbst gekommen. | |
| Diese beiden Identitätsfacetten, mit denen Ehrentraut spielt, machen „Melek | |
| + ich“ zu einer wunderbar interessanten Geschichte, bei der mensch sich | |
| zwangsläufig selbst hinterfragt. Ehrentrauts Botschaft könnte also sein, | |
| dass mensch nicht der*die eine sein muss, sich stattdessen mit seinen | |
| unterschiedlichen Persönlichkeiten anfreunden, sie sogar lieben lernen | |
| kann. In einer Welt, die so ambivalent wie die unsere ist, eine tröstliche | |
| Idee. | |
| 6 Apr 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sophia Zessnik | |
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