Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Lesbische Liebe im Comic: Nackte Pferde im Bett
> Als Outings noch Skandale auslösten: Diane Obomsawins hinreißend
> gezeichnete und humorvoll erzählte Graphic Novel „Ich begehre Frauen“.
Bild: 50 Shades of Graustufen: die Graphic Novel „Ich begehre Frauen“ von D…
Zarte Häschen wickeln ihre Glieder im Liebesspiel umeinander, Bärinnen
tollen im Bett umher: Diane Obomsawins Graphic Novel „Ich begehre Frauen“
erzählt von neun Frauen und ihren Outings. Die Graphic Novel ist in
Schwarz-Weiß gehalten, wobei das eigentlich nicht ganz stimmt: Denn hier
geht es vor allem um die Grauwerte. Schwarz sind nur die Konturlinien, die
Protagonist*innen strahlen weiß, wie von einem erzählerischen Spotlight
beleuchtet, ihre Welt ist ein vielstufiges Grau. 50 shades of …
Mal sind sie hasen-, schweins- oder hundegesichtig. Der Sex, in dem fast
alle Geschichten kulminieren, wirkt freilich eher drollig, wenn sich nackte
Häschen oder Pferde im Bett wälzen. Hinreißend, dass eine der
Protagonist*innen, Mathilde, eine Pferdenärrin ist. Sie verliebt sich
stets in Frauen, die Pferdegesichter haben – im Buch haben sie die
tatsächlich. Auch Wonder Woman habe einen Pferdekörper, ein Pferdegesicht,
sagt sie, deswegen liebe sie Wonder Woman so sehr.
Später lernt sie eine Gruppe gehörloser Lesbierinnen kennen. Sie lernt
Zeichensprache, um sich mit ihnen unterhalten zu können. Sie lernt, „mit
Zeichen über meine Sexualität zu sprechen“. Und nichts anderes macht diese
Graphic Novel. Der heikle Moment des Outings wird in comichafte Zeichen
gesetzt. Die Schwere, auch die Traurigkeit, die die Protagonist*innen
erleben, ebenso wie die Freude und Neugierde auf das Entdeckte, all dies
wird von der kanadischen Autorin, auch „Obom“ genannt, in eine reizende
Bildsprache übersetzt.
Protagonistin M-H wird in einer Bar des Dufts der Frauen gewahr. Es sei
nicht der Duft von Parfüm, vielmehr ein Eigengeruch. Alle Frauen erscheinen
mit Rosenblüten als Kopf. Die Blüten sind halb geöffnet, verweisen auf
andere blumige Verlockungen. Zeitlich wirken die Geschichten der 1959
geborenen Autorin wie in den 1960er und 1970er Jahren verortet. Dafür
sprechen nicht nur die vielen Mädcheninternate, sondern auch die
Kleidungsstile der Protagonist*innen.
## Aufregend anders, eben richtig
Sie erzählen also aus einer Zeit, als Outings in Familien und Schulen
tatsächlich große Skandale auslösen konnten. Nicht dass so ein Outing heute
einfach wäre oder ohne Konsequenzen bliebe. Aber immerhin ist die Akzeptanz
für Homosexualität in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Viele Geschichten
im Umfeld des katholischen Glaubens berühren also echte Tabus, die Angst
vor Hölle oder jedenfalls der Bestrafung durch Nonnen und Eltern.
Sasha hat ihr Coming-out in der Schule. „Ich begehre Frauen!“, ruft sie
aus. In der Schule kritisch beäugt, wird Sasha an der Uni zur Attraktion.
Die Frauen wollen homosexuelle Erfahrungen sammeln. Sasha aber muss lernen,
Nein zu sagen. Schließlich ist sie keine Zoo-Attraktion. In der Geschichte
von M-H geht es auch um Verkleidungen. Sie trägt einen Smoking, der ihr ein
gänzlich neues Körpergefühl gibt. Aber wie soll sie sich verhalten? Ist sie
butch, also betont männlich? Oder femme, eine feminine Lesbe? Oder einfach
sie selbst? „Ich hatte eine kleine Identitätskrise.“
Interessant übrigens, das Thema Outing aus einer weiblichen Perspektive zu
betrachten. Die „Lesbe“ besitzt in der westlichen Gesellschaft eine
merkwürdige, doppelte Konnotation zwischen sexueller Männerfantasie und
Beleidigung. Wollte man einen roten Faden, ein verbindendes Element in
diesen Geschichten finden, dann ist es wohl der Moment der
(An-)Verwandlung, ein Aha-Erlebnis, bei dem sich alles verändert.
Nicht, weil das Ich sich verändert hat, sondern weil es die Welt plötzlich
mit anderen Augen sieht. Sehr häufig ist es ein Kuss, ob im wahren Leben
oder auf der Leinwand erblickt, der die Augen öffnet. Alles fühlt sich
aufregend anders, eben richtig an. Ein weiteres interessantes, verbindendes
Element: Die Protagonist*innen leben in weiblich dominierten Welten: in
Klosterschulen und Mädchengymnasien; sie arbeiten in Telefongesellschaften
oder anderen „weiblichen“ Berufsfeldern. Sie werden ständig mit dem Objekt
der Begierde konfrontiert. Dabei enden nicht wenige Geschichten mit Verrat.
Sie erzählen eben von ganz normalen Beziehungen.
19 Oct 2020
## AUTOREN
Marlen Hobrack
## TAGS
Buch
Erinnerungen
Buch
Ocean Vuong
USA
## ARTIKEL ZUM THEMA
Autorin über Roman „Eine echte Mutter“: „Biologisches nicht überbewerte…
Lesbische Liebe, Kinderwunsch, Familie, Biografien: Ein Gespräch mit der
belgischen Autorin Saskia de Coster über ihren Roman „Eine echte Mutter“.
Erinnnerung der Ostkultur: Ganz groß in Japan
Marko Martin legt mit „Die verdrängte Zeit“ ein überaus kenntnisreiches u…
unterhaltsames Buch über die Kultur der DDR vor. Ohne Nostalgie und Frust.
Neues Buch „Find Me“ von André Aciman: „Diese Geschichte ist keine Utopi…
Die Verfilmung von André Acimans Roman „Call Me by Your Name“ war ein
Riesenerfolg. Jetzt ist die Buchfortsetzung „Find Me“ auf Deutsch
erschienen.
Gedichte von Ocean Vuong: Lyrik auf Erden ist kurz grandios
Endlich liegt ein Gedichtband des jungen US-Schriftstellers Ocean Vuong auf
Deutsch vor: „Nachthimmel mit Austrittswunden“.
Ocean Vuong über den American Dream: „Wie bitte reden wir von Liebe?“
Ocean Vuong ist eine der spannendsten jungen Stimmen aus den USA. Der Autor
über die Kraft der Sprache und queeres Scheitern als Chance.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.