| # taz.de -- Autorin über Roman „Eine echte Mutter“: „Biologisches nicht … | |
| > Lesbische Liebe, Kinderwunsch, Familie, Biografien: Ein Gespräch mit der | |
| > belgischen Autorin Saskia de Coster über ihren Roman „Eine echte Mutter“. | |
| Bild: Autorin Saskia de Coster schafft mit ihrer Hauptfigur in ihrem neuen Buch… | |
| taz: Frau de Coster, „Saskia“, so heißt die Erzählerin in Ihrem Roman „… | |
| echte Mutter“. Ihre Partnerin bekommt ein Kind und so wird auch sie zur | |
| Mutter. Aber eigentlich will Saskia keine Dreierkonstellation mit Kind. Sie | |
| hat Angst, schreibt sie immer wieder. Wovor eigentlich? | |
| Saskia de Coster: Saskia lebt in einer wunderbaren, beinah symbiotischen | |
| Beziehung mit Juli. Das könnte für immer so bleiben. Jetzt aber kommt noch | |
| jemand hinzu und fordert Raum. Da verändert sich natürlich vieles. Davor | |
| hat Saskia eine riesige Furcht. Auch als das Kind, das Saul heißt, dann da | |
| ist, ist sie unsicher. Sie merkt immer stärker, dass sie von ihren eigenen | |
| Eltern nicht gelernt hat, wie man liebevoll für ein Kind sorgt. | |
| Julis und Saskias Eltern sind sehr gegensätzlich. Julis Eltern wählen | |
| rechts, lieben ihre Tochter aber vorbehaltlos. Saskias Eltern hingegen sind | |
| ihrer Tochter gegenüber skeptisch. | |
| Und das, obwohl sie katholisch sind und daher Nächstenliebe leben sollten! | |
| Doch sie haben eiserne Prinzipien, und die gehen ihnen über alles. | |
| [1][Homosexualität etwa gibt es für sie nicht]. In diesem Sinne akzeptieren | |
| sie Saskia nicht – ihr eigenes Kind! Mit der vorbehaltlosen Liebe ist es in | |
| Saskias Familie also nicht so weit her, und das hat auch Einfluss auf sie | |
| selbst. Sie zweifelt daran, ein Kind uneingeschränkt lieben zu können. | |
| Saskia heißt Saskia … | |
| … wie ich. Nein, das ist kein Zufall. Zum ersten Mal habe ich in einem | |
| Roman eine Figur geschaffen, die wirklich [2][eine Version meiner selbst] | |
| ist. Ich könnte also auch Ich sagen, wenn ich von Saskia rede. Aber ich | |
| bleibe hier mal bei Saskia. | |
| Und wie realitätsnah sind die anderen Figuren? | |
| Saskias Beziehung zu Juli und die zu ihren Eltern sind auch dem Leben | |
| abgeschaut. Und Sauls Vater ist tatsächlich mein bester Freund. Ich habe | |
| aber alle Namen verändert, denn ich kann echte Menschen als Autorin | |
| natürlich nicht „claimen“. Zudem ist jede Figur immer eine literarische | |
| Konstruktion, so sehr die Realität sie auch inspiriert haben mag. | |
| In „Eine echte Mutter“ erzählt die Autorin, wie Saskia und Juli mit ihrem | |
| etwa einjährigen Saul nach Kanada reisen. Sie wollen die Hippiefamilie | |
| Karls, des biologischen Vaters, besuchen, die auf einer geradezu | |
| paradiesischen Insel vor Vancouver lebt. Karl ist Saskias bester Freund. Er | |
| ist schwul und per Samenspende Sauls biologischer Vater geworden. | |
| Ihr Roman beginnt damit, dass Juli die Flugtickets nach Vancouver bucht. | |
| Als die beiden Mütter mit ihrem Kind auf der Insel Portes vor Vancouver | |
| ankommen, erwartet sie ein idyllisches Setting, eine große Familie und eine | |
| sorgende Großmutter. | |
| Saskia erlebt die Insel zunächst als Paradies. Das aber darf nicht so | |
| bleiben – sonst gäbe es ja keine Geschichte. Ich bin mit Freundin und Kind | |
| selbst auf dieser Insel gewesen, aber ich habe sie später literarisch stark | |
| manipuliert. In meinem Roman wurde daraus ein zunächst überwältigend | |
| schöner und dann zunehmend klaustrophobischer Ort. Ein bisschen gothic. | |
| Denn Saskia wird auf der Insel sehr heftig mit ihren eigenen Ängsten | |
| konfrontiert. | |
| Sie zeichnen Großmutter Molly als Übermutter, die ständig irgendwas backt | |
| oder kocht und die Familie zusammenhält. Ein Gegenmodell zu Saskia, die | |
| viel zweifelt, schweigt und sich zurückzieht? | |
| Ja, Molly ist die Inkarnation des Muttermythos. Sie hat auf jede Frage eine | |
| Antwort und für jedes Problem eine Lösung. Ein sehr instinktiver Mensch. So | |
| ein Muttermythos ist für viele junge Mütter bis heute ganz schön belastend. | |
| Auch mich selbst hat dieses Mutterbild enorm gestresst. Außerdem hatte ich | |
| das Gefühl, alles aufgeben zu müssen, um ganz und gar Mutter zu sein. Und | |
| das wollte ich nicht. | |
| Während Juli das Inselleben genießt, zieht sich die Erzählerin Saskia | |
| zunehmend zurück. Sie hat sporadisch Kontakt zu einer Frau in Belgien, mit | |
| der sie eine Affäre hat. Und sie bezieht eine kleine Hütte auf der Insel, | |
| in der sie allein sein und schreiben will. Der Roman besteht aus drei sich | |
| abwechselnden Textformen: der Geschichte von der Kanadareise, kurzen | |
| Dialogen zwischen Saskia und Juli abends im Bett und Saskias | |
| Tagebuchnotizen. | |
| Im niederländischen Original heißt Ihr Roman „Nachtouders“, also | |
| Nachteltern, worin auch die dunkleren Seiten der Elternschaft mitschwingen. | |
| „Eine echte Mutter“, wie finden Sie den deutschen Titel? | |
| Ich finde den deutschen Titel ziemlich „to the point“. Denn das ganze Buch | |
| ist eine einzige große Suche danach, was es bedeutet, in einer Beziehung zu | |
| seinem Kind zu stehen. Ich bin zwar nicht die biologische Mutter meines | |
| Kindes, aber ich bin seine Mutter doch ganz und gar geworden. Davon erzähle | |
| ich in meinem Roman. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit den eigenen | |
| Eltern. Und dazu gehört es auch, Vertrauen zu fassen – in sein Kind, aber | |
| auch in sich selbst als vollwertige Mutter. | |
| Mal abgesehen von persönlichen Prägungen – liegt nicht auch ein | |
| strukturelles Problem darin, in [3][einer lesbischen Beziehung] Mutter Nr. | |
| 2 zu sein? Einfach weil es ja auch eine Mutter Nr. 1 gibt. Bleibt da für | |
| die zweite Mutter nicht per definitionem nur die Nebenrolle? | |
| Das ist die Frage. Aber es ist doch so, dass ein Kind in erster Linie | |
| Eltern braucht, die es uneingeschränkt lieben. Da ist es tatsächlich egal, | |
| ob das nun [4][zwei Mütter, zwei Väter oder Mutter und Vater sind]. Zumal | |
| es in keiner Beziehung – weder einer homosexuellen noch in einer | |
| heterosexuellen – so ist, dass je einer der Partner total übereinkommt mit | |
| [5][„dem Männlichen“ oder „dem Weiblichen“]. Letztlich kommt es darauf… | |
| eine echte Bindung mit dem Kind einzugehen, und nicht, eine vermeintliche | |
| Checkliste an Erwartungen und Rollenmustern abzuarbeiten. Auch das | |
| Biologische will ich nicht überbewerten. Denn das hieße ja, dass | |
| Adoptiveltern oder Pflegeeltern oder auch Heteropaare, die mithilfe einer | |
| Samenspende Eltern geworden sind, keine richtigen Eltern sind. Das so zu | |
| sehen, fände ich in jedem Fall falsch. | |
| Ihre Erzählerin Saskia denkt aber oft darüber nach, dass sie mit ihren | |
| schwarzen Haaren ihrem blonden Sohn ganz offensichtlich nicht ähnelt. | |
| Ja, darin unterscheide auch ich mich von meinem Sohn. Ich sehe mich in ihm | |
| genetisch nicht widergespiegelt und muss mich zu weitergegebenen Genen in | |
| der Tat auch nicht verhalten. Vielleicht fehlt der Beziehung daher eine | |
| Komplexität, die ich nicht kenne. Trotzdem finde ich, dass die soziale | |
| Bindung zum Kind immer das Wichtigste ist. Daran muss jeder Elternteil in | |
| jeder erdenklichen Konstellation arbeiten. | |
| Sie erzählen in Ihrem Roman, wie einfach es ist, Saskia in Belgien als | |
| Mutter eintragen zu lassen. Ein Termin im Rathaus – fertig. Das ist anders | |
| als in Deutschland, wo die [6][zweite Mutter das Kind in einem aufwendigen | |
| Verfahren adoptieren] muss. | |
| Die belgische Gesetzgebung ist tatsächlich sehr fortschrittlich. Zwei Tage | |
| nach der Geburt unseres Sohnes wurde ich per Unterschrift vor dem Gesetz | |
| und lebenslang seine Mutter. Er hat auch meinen Nachnamen bekommen. Das war | |
| im Jahr 2014. Bis zum Jahr 2013 musste man als Mitmutter noch an einem | |
| Adoptionskursus teilnehmen. Ich bin sehr froh, dass Belgien so progressive | |
| Gesetze hat. Die Gesetze sind der Mentalität sicher ein bisschen voraus. | |
| Das finde ich eine gute Sache. | |
| 11 Jan 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katharina Borchardt | |
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