# taz.de -- Film-Musical „The Prom“: Gott schuf auch Queere | |
> Vorhang auf für ein lesbisches Coming-out: Das hemmungslos dem Kitsch | |
> frönende Musical „The Prom“ erzählt vom Kampf gegen Homophobie. | |
Bild: Dee Dee Allen (Meryl Streep) und Barry Glickman (James Corden) zeigen vol… | |
Musicals sind nicht erst seit den 60ern politisch. Damals begann man zwar | |
erstmals, laut auszusingen, was einem an menschenrechtsbewegten Inhalten | |
auf der Seele brannte: „I’m black/ I’m black – I’m pink, I’m pink/ … | |
Rinso white/ I’m invisble /Ain't got no home – So/ Ain't got no shoes – | |
Poor“, so beginnt „I’m Black“ aus dem [1][1967 entstandenen Musical | |
„Hair“]. | |
Aber den Kosmos der Macher*innen, der Tänzer und Sängerinnen, der | |
Choreografen und Kostümbildnerinnen bildeten schon früher queere Menschen, | |
oft genug mit Diskriminierungserfahrungen. | |
Dass ein Musical in diesem Jahrzehnt sein Drama noch immer aus einem | |
(lesbischen) Coming-out erwachsen lässt, ist dennoch nicht unrealistisch: | |
„Don’t be gay in Indiana“ singt, vielmehr seufzt die High-School-Schüler… | |
Emma (Jo Allen Pellman) in der soeben auf Netflix gestarteten Filmadaption | |
des Musicals „The Prom“, das vier Jahre zuvor seine Bühnenpremiere feierte. | |
## Abgehalfterte Musicaldarsteller*innen | |
Unter der Regie des [2][Fernsehregisseurs Ryan Murphy] gerät Emmas Problem | |
(die homophobe Elternsprecherin will den Abschlussball abblasen, sollten | |
Homosexuelle teilnehmen) in den Fokus einer Gruppe Menschen, die das genaue | |
Gegenteil der kleinkarierten Hoosiers, der Einwohner*innen Indianas, | |
bilden: die abgehalfterten Musicaldarsteller*innen Dee Dee Allen (Meryl | |
Streep) und Barry Glickman (Jams Corden) sowie das glücklose Chorus-Girl | |
(beziehungsweise Chorus-Woman) Angie (Nicole Kidman) und der ehrgeizige | |
Trent (Andrew Rannells). | |
Die vier New Yorker*innen suchen nach einer weiteren, von der Presse | |
verrissenen Premiere nach einer Möglichkeit, ihr Image aufzupolieren – und | |
stoßen bei Twitter auf Emmas Kampf gegen die selbsternannten Moralist*innen | |
Indianas. „Let’s change lives, one lesbian at a time“, singen die vier in | |
der Exposition zum Abenteuer. Und machen sich auf ins Kaff, um Emma zu | |
unterstützen – im Gepäck flamboyante Kleidung, schwules Selbstbewusstsein | |
und jede Menge eigene Probleme. | |
Angesichts der nach wie vor schwierigen bis gefährlichen Situation für | |
queere Menschen in vielen Teilen der Welt und der USA ist der Kern von „The | |
Prom“ also durchaus aktuell – genau wie die Nebenhandlungen, die die | |
Autoren von Film und Originalmusical Chad Beguelin und Bob Martin ihrer | |
Geschichte in etwas zu reicher Fülle mitgeben: Neben Emmas | |
Selbstermächtigungs-Task und dem Coming-out ihrer Freundin ist es Barrys | |
Aufgabe, sich mit seiner Mutter zu versöhnen; Angie muss aus dem Schatten | |
der Vortänzer*innen heraus; und Dee Dee, die Meryl Streep mit weniger | |
Diven-Verve gibt als erwartet, hat die dickste To-do-Liste auf ihrem | |
Teller. | |
## Die alternde Narzisstin | |
Sie ist Narzisstin, was dem Film die besten und subtilsten Gags beschert | |
(„Die New York Times bezeichnet dich als alternde Narzisstin!“ – „Ich | |
verstehe nicht, was daran so schlimm ist!“), und ihr Herz wurde einst | |
gebrochen – und so kann man vergnügt miterleben, wie eine Narzisstin | |
langsam erkennt, dass es einen Unterschied zwischen „Fan“ und „Freund“ | |
gibt. | |
Dass das konservative Indiana nach klassisch-US-amerikanischer Manier am | |
Ende unter anderem mit der Hilfe Gottes überzeugt wird – denn hat ER nicht | |
auch die queeren Menschen erschaffen? –, passt dagegen zu einer gewissen | |
Altbackenheit der Produktion. Auch in musikalischer Hinsicht: „The Prom“ | |
bedient sich ebenso deutlich beim „All That Jazz“-Komponisten John Kander | |
wie bei „Hair“. Darauf wird viel und zum Teil angenehm ulkiger Text | |
gesungen und in den Musical-Standards (Solo, Duett, Ensemble) professionell | |
getanzt. | |
„The Prom“ ist also schon okay. Der Film bläst mit seiner Überdeutlichkeit | |
und seinen zu vielen, zu langen Nummern zwar keinen Beaufort mehr Wind in | |
die Musicalszene. Aber: Das Maß an selbstbewusstem Kitsch ist fast schon | |
wieder revolutionär. | |
11 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Hair-Gegenkultur-etc/!5179107 | |
[2] /Neue-Netflix-Serie-Ratched/!5716419 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Film | |
Musical | |
Queer | |
Homophobie | |
lesbisch | |
Meryl Streep | |
Spielfilm | |
Spielfilm | |
Spielfilm | |
Buch | |
lesbisch | |
Porträt | |
Lesestück Interview | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Film „Annette“ von Leos Carax und Sparks: Liebe macht krank | |
Der Regisseur Leos Carax hat ein Musical der Pop-Band Sparks verfilmt. | |
„Annette“ ist ein furioser und albtraumhafter Trip. | |
Remake der „West Side Story“ im Kino: Kein Ort für die Hoffnung | |
Steven Spielbergs Remake des Musicals „West Side Story“ ist ein rasantes | |
Meisterwerk. Kulturpessimismus trifft darin auf optische Opulenz. | |
Film „The Jesus Rolls“ von John Turturro: Der Typ mit dem Haarnetz | |
Der Schauspieler John Turturro hat sich selbst ein Drehbuch geschrieben. | |
„The Jesus Rolls“ zeigt Formen sexueller Rebellion, die ziemlich daneben | |
sind. | |
Autorin über Roman „Eine echte Mutter“: „Biologisches nicht überbewerte… | |
Lesbische Liebe, Kinderwunsch, Familie, Biografien: Ein Gespräch mit der | |
belgischen Autorin Saskia de Coster über ihren Roman „Eine echte Mutter“. | |
Romantic Comedy „Happiest Season“: Queer Christmas | |
Der Film „Happiest Season“ mit Kristen Stewart ist die erste lesbische | |
Weihnachtskomödie aus Hollywood – und unerwartet erfolgreich. | |
Porträt des Performers Minh Duc Pham: „Mein Körper ist politisch“ | |
Die Kunst von Minh Duc Pham ist queer und befreiend. Aufgewachsen ist er | |
mit dem Gebot, niemals aufzufallen. Die Geschichte einer Verwandlung. | |
Das schwule Berlin hat sich verändert: „Eine andere Wahrnehmung der Welt“ | |
Björn Koll ist Cineast und Chronist. Der Geschäftsführer von „Salzgeber“ | |
über Lüneburg und Berlin, queere Filme, die Aidskrise und Manfred | |
Salzgeber. |