# taz.de -- "Hair", Gegenkultur etc.: Als an der Frisur die Existenz hing | |
> Das waren noch Zeiten. Als der Film "Hair" herauskam, konnte man das | |
> LSD-Schlucken noch feiern und in jedem Spießer steckte ein Freak. Heute | |
> ist es eher umgekehrt. | |
Bild: So war das damals: manchen wuchsen Blumen aus dem Kopf, andere waren nack… | |
Es gibt Gründe, nostalgisch zu werden. Das stellt man widerwillig fest, | |
wenn man sich "Hair" anschaut, Milos Formans Verfilmung des Musicals von | |
Gerome Ragni, James Rado und Galt MacDermot, die dieser Tage wieder in die | |
Kinos kommt. Nicht unbedingt, weil in den elf Jahren zwischen der | |
Uraufführung des Musicals (1968) und der des Films (1979) alles besser | |
gewesen wäre - aber die Freiräume in der Mainstreamkultur müssen doch | |
gewaltig gewesen sein. Ein verfilmtes Anti-Kriegs-Musical, das das | |
LSD-Schlucken so uneingeschränkt feiert wie "Hair", ist heute doch | |
einigermaßen schwer vorstellbar. | |
An Krieg herrscht dabei heute kein Mangel. Auch die Frage, wer eigentlich | |
für wen kämpft, stellt sich in den USA heute mit ähnlicher Dringlichkeit | |
wie damals. Und die Klassenwidersprüche spitzen sich ja eh täglich zu. Aber | |
wie gründlich die alte Idee von Gegenkultur, von "Turn on, Tune in, Drop | |
out" sich erledigt hat, merkt man spätestens am Schluss des Films, wenn der | |
Hippieheld Berger sich seine Haare abschneidet und eine Uniform anzieht. | |
Endlich zieht er diese grässlichen Klamotten aus, denkt man sich, und wie | |
hübsch der Schauspieler Treat Williams in einer gut geschnittenen | |
Uniformjacke aussieht. In der coolen Kälte der Nischenkulturen sind all | |
diese Klamotten nur noch Kleidungsstücke, aber keine Zeichen mehr, die | |
Freund/Feind-Zugehörigkeiten signalisieren könnten. | |
Deshalb ist es wahrscheinlich auch so schwierig, sich vorzustellen, wie | |
eine ähnlich radikale Entsprechung von "Hair" heute wohl aussehen würde. | |
Eine Gruppe fortwährend Ecstasy-Pillen schluckender Hiphopper, die | |
versuchen, um ihren Irakkriegseinsatz herumzukommen? Rave-Mädchen, die | |
glauben, dass die fetten Jahre jetzt vorbei sind? Es geht nicht auf. Die | |
heutigen Subkulturen leben in keiner großen Erzählung einer kategorial | |
anderen Gesellschaft mehr. Was ja auch seine Vorteile hat: die | |
Entscheidung, sich die Haare wachsen zu lassen oder nicht, sollte doch | |
besser von der Frisur handeln und nicht von Leben und Tod. | |
Tatsächlich gibt es das Gegenstück zu "Hair" ohnehin längst. Es ist die | |
berühmte Fernsehwerbung mit dem Wagenburgpunk, dessen Tochter einen | |
Bausparvertrag haben möchte. "Hair" geht davon aus, dass in jedem Spießer | |
ein Freak steckt, heute glaubt man, jeder Freak sei eigentlich ein Spießer. | |
11 Jul 2008 | |
## AUTOREN | |
Tobias Rapp | |
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