| # taz.de -- Sexualität in der Kirche: Als Mann, Frau und * schuf er sie | |
| > Innerhalb der katholischen Kirche werden Fragen von Geschlecht und | |
| > Sexualität frei diskutiert. Die progressive Theologie hat neuen Mut | |
| > gefasst. | |
| Bild: Katholische Geschlechterbilder sind nicht immer binär | |
| Papst Franziskus’ Lehrschreiben „Laudato Si’“ von 2015 wurde weit über… | |
| Kirche hinaus als wissenschaftlich gut unterfüttertes Plädoyer für Umwelt- | |
| und Klimaschutz wahrgenommen. [1][Seine jüngste Enzyklika „Fratelli Tutti“ | |
| erkennt explizit den wissenschaftlichen Fortschritt an] und wirbt für eine | |
| solidarischere Weltordnung nach der Covid-19-Krise. | |
| Auch Frauen und Geflüchtete hat der Papst dabei im Blick: „So wie es | |
| inakzeptabel ist, dass eine Person weniger Rechte hat, weil sie eine Frau | |
| ist, so ist es auch nicht hinnehmbar, dass der Geburts- oder Wohnort schon | |
| von sich aus mindere Voraussetzungen für ein würdiges Leben und eine | |
| menschenwürdige Entwicklung liefert.“ | |
| Mitte Oktober dann setzte Franziskus noch ein Hoffnungszeichen für all | |
| jene, denen die kirchliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Beziehungen | |
| ein Anliegen ist. In einem Dokumentarfilm wurde er mit den Worten zitiert: | |
| „Homosexuelle Menschen haben das Recht darauf, in einer Familie zu sein. | |
| Sie sind Kinder Gottes. Man kann niemanden deswegen aus einer Familie | |
| werfen oder ihnen das Leben vermiesen. Was wir brauchen, ist ein Gesetz zur | |
| eingetragenen Partnerschaft; dadurch sind sie rechtlich abgesichert.“ | |
| Dass der Heilige Stuhl Ende Oktober dann klargestellt hat, dass der Papst | |
| sich mit diesem Statement nicht für ein Adoptionsrecht für | |
| gleichgeschlechtliche Paare ausgesprochen habe, dass es ihm nicht um eine | |
| Öffnung der Ehe gehe und dass sich an der Lehre der Kirche nichts geändert | |
| habe – all das darf nicht überraschen. | |
| ## Kirchliche Vetomacht | |
| Denn die Gleichstellung von Frauen und queeren Menschen fordert der Papst | |
| immer wieder für das Außen der Gesamtgesellschaft, nicht aber für das Innen | |
| der Kirche. Zwar werden seine Gesten als einladender wahrgenommen als die | |
| seiner Vorgänger. Einer grundsätzlichen Neubewertung der katholischen Lehre | |
| auf Basis des humanwissenschaftlichen State of the Art, einer freien | |
| theologisch-wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Sexualität und | |
| Geschlecht, schiebt aber auch dieser Pontifex den Riegel vor – mit schierer | |
| Macht. | |
| Ein Beispiel: Als der Theologieprofessor Ansgar Wucherpfennig im Februar | |
| 2018 zum dritten Mal zum Rektor der jesuitischen Hochschule Sankt Georgen | |
| in Frankfurt am Main gewählt wurde, verweigerte ihm der Vatikan das „nihil | |
| obstat“, die kirchliche Genehmigung für das Amt. Rom verlangte von dem | |
| Jesuitenpater, öffentlich seine wertschätzenden Aussagen zur | |
| Homosexualität, zur Segnung gleichgeschlechtlicher Paare und zum | |
| Frauendiakonat zu widerrufen. Erst nach Protesten führender Theolog*innen | |
| und ihrer Verbände konnte Wucherpfennig sein Amt schließlich weiterführen. | |
| Anderen wird die Lehrerlaubnis von vornherein nicht erteilt, wie der | |
| Ethikerin Regina Ammicht Quinn, die sich mit einer kritischen Schrift zur | |
| theologischen Geschlechterethik habilitiert hatte. Solche kirchliche | |
| Vetomacht – festgeschrieben im weiter rechtskräftigen Reichskonkordat von | |
| 1933 (!) – gilt in Deutschland eben nicht nur für kirchliche Hochschulen | |
| wie im Fall Wucherpfennig, sondern auch für die katholischen Fakultäten an | |
| staatlichen Hochschulen, wie im Fall Ammicht Quinn. | |
| Das kirchliche Einspruchsrecht betrifft im Übrigen nicht nur die | |
| wissenschaftliche Lehre, sondern ebenso die Lebensführung von | |
| Kandidat*innen. Offen gleichgeschlechtlich Begehrende und Personen mit | |
| einer trans Biografie bleiben damit faktisch von öffentlich finanzierten | |
| Professuren ausgeschlossen. Im Jahr 2008 bestätigte das | |
| Bundesverfassungsgericht, dass diese Regelung im Rahmen des | |
| Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften verfassungsmäßig sei. | |
| ## Freie theologische Befassung mit Geschlecht | |
| Es ist nun dennoch nicht so, dass die kirchlichen Kontrollmechanismen | |
| feministische Theologie, theologisch-progressive Geschlechter- und | |
| Sexalitätsstudien in Gänze verhindern könnten. Seit Jahrzehnten wächst eine | |
| autonome wissenschaftliche Literatur zu dem Themenkomplex. Und zuweilen | |
| ermöglichen die Seminare von mutigen Lehrstuhlinhaber*innen, von | |
| rebellischen Leuten aus dem mittelbau, von bereits emeritierten | |
| Theolog*innen oder von Gästen aus anderen christlichen Konfessionen und | |
| Ländern auch die freie Befassung mit den „heißen Eisen“. | |
| Doch Studierende wie Lehrende an katholisch-theologischen Fakultäten | |
| berichten von Vorsicht, zuweilen sogar Furcht, was ein persönliches Outing, | |
| kritische Seminarthemen oder Abschlussarbeiten angeht, insbesondere wenn | |
| sie sich eine kirchliche Anstellung erhoffen. Und – das ist an den | |
| Curricula abzulesen: Empirisch-sozialwissenschaftliche Methoden sind in der | |
| katholischen – im Gegensatz zur evangelischen – Theologie unterentwickelt. | |
| Denn wo das Lehramt die Wahrheit schon festgelegt hat, stören datenbasierte | |
| Befunde der Wirklichkeit nur. | |
| Doch nun scheint gerade ein empirisches, externes, aber von der Kirche in | |
| Auftrag gegebenes Forschungsprojekt der freien theologischen Befassung mit | |
| Geschlecht und Sexualität neuen Auftrieb zu geben. Quasi parallel zu dem | |
| Fall Wucherpfennig veröffentlichten im Jahr 2018 Kriminolog*innen, | |
| Psycholog*innen und Gerontolog*innen [2][die sogenannte MHG-Studie, | |
| die das volle Ausmaß der sexualisierten Gewalt an Minderjährigen durch | |
| Kleriker im Zuständigkeitsbereich der deutschen Bischofskonferenz | |
| offenlegte]. | |
| Sexualisierte Gewalt, so legt die Untersuchung nahe, [3][wird von dem | |
| hierarchischen System der Kirche begünstigt], von männerbündischen Macht- | |
| und Schweigekartellen, von tabuisierter Sexualität. „Die grundsätzlich | |
| ablehnende Haltung der katholischen Kirche zur Weihe homosexueller Männer | |
| ist dringend zu überdenken“, schreiben die Wissenschaftler*innen. | |
| Kirchliche Terminologie wie die einer „tief verwurzelten homosexuellen | |
| Neigung“ entbehrten jeder wissenschaftlichen Grundlage. „Anstelle solcher | |
| Haltungen ist eine offene und toleranzfördernde Atmosphäre zu schaffen. | |
| Erkenntnisse der modernen Sexualmedizin müssen dabei stärkere | |
| Berücksichtigung finden.“ | |
| ## Judith Butler und die Theologie | |
| Durch die MHG-Studie sahen sich die deutschen Bischöfe schließlich – zehn | |
| Jahre nach dem Bekanntwerden der Fälle sexualisierter Gewalt am Berliner | |
| Canisiuskolleg – genötigt, gemeinsam mit der Laienvertretung der deutschen | |
| Katholik*innen im Januar den Demokratisierungsprozess des Synodalen | |
| Weges einzuschlagen. An Männlichkeit gebundene Macht soll das bis 2022 | |
| eingesetzte Gremium besser verteilen, die Rollen von Priestern und Frauen | |
| diskutieren und die katholische Sexualmoral einer Prüfung unterziehen. | |
| Einige Beispiele aus den letzten Wochen zeigen, dass dieser Prozess auch | |
| der progressiven Theologie neuen Mut und Auftrieb verleiht. [4][„Vom | |
| Vorrang der Liebe. Zeitenwende für die katholische Sexualmoral“,] heißt das | |
| jüngst erschienene Buch der Moraltheologen Christof Breitsameter (München) | |
| und Stephan Goertz (Mainz). In dem neuen Sammelband „Judith Butler und die | |
| Theologie“, herausgegeben von dem Religionspädagogen Bernhard Grümme | |
| (Bochum) und der Systematikerin Gunda Werner (Graz, nicht zu verwechseln | |
| mit der bereits verstorbenen Namensgeberin des Gunda-Werner-Instituts) | |
| machen namhafte Theolog*innen das Denken der Macht- und | |
| Geschlechtertheoretikerin Butler für ihr Fach fruchtbar. | |
| Im Oktober markierten auch Onlinetagungen wie „Als Mann, Frau und * | |
| schuf er sie …“ (Katholische Akademie Freiburg) oder „Männer an der Mach… | |
| Liturgie und Geschlecht“ einen kleinen Frühling der queerfeministischen | |
| Theologie. Letztere Tagung fand im Rahmen des Synodalen Weges statt – | |
| weitere wissenschaftlich-machtkritische Konferenzen sind geplant. | |
| Konservative framen den Synodalen Weg als dekadenten Sonderweg der vom | |
| Protestantismus beeinflussten deutschen Kirche. Progressive | |
| Synodal*innen und Theolog*innen weltweit halten weiter dagegen, auch | |
| wenn frühere Initiativen wie die „Kölner Erklärung“ (1989), das | |
| „Kirchen-Volksbegehren“ (1995) oder der Aufruf „Kirche 2011: Ein | |
| notwendiger Aufbruch“ in Rom wenig Eindruck machten. | |
| Auch die Progressiven wollen, dass der katholische Glaube in der Welt | |
| wirkt. Doch zu einer Zeit, da das globale Ausmaß des kirchlichen | |
| Missbrauchs erst sichtbar wird, da Katholik*innen in Polen LGBTI-freie | |
| Zonen ausrufen und den Zugang zu sicherem Schwangerschaftsabbruch noch | |
| weiter erschweren; zu einer Zeit, da Brasiliens Präsident Bolsonaro sich | |
| die Unterstützung katholischer Medien für seine rassistische und | |
| queerfeindliche Politik kaufen will und Donald Trump noch explizit eine | |
| Rechtskatholikin an den Obersten Gerichtshof der USA berufen hat – da | |
| zählen sie auf den freien und befreienden Austausch von Fakten und guten | |
| Argumenten: nicht auf schiere Macht. | |
| 20 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Hunglinger | |
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