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# taz.de -- Priester über sexualisierte Gewalt in der Kirche: „Brutal und ve…
> Alf Spröde hat lange als katholischer Priester gearbeitet, bevor er als
> schwuler Mann diskriminiert wurde. Als Kind erfuhr er sexualisierte
> Gewalt durch einen Priester.
Bild: Bevor sich Alf Spröde an frühere sexualisierte Gewalt erinnerte, arbeit…
taz: Herr Spröde, Sie haben als Jugendlicher von einem katholischen
Priester sexualisierte Gewalt erfahren – und sind trotzdem später
katholischer Priester geworden. Können Sie das erklären?
Alf Spröde: Zum einen habe ich die Vorkommnisse, nach heutigen
Erkenntnissen, kurz danach verdrängt. Das ging damals noch. Dann hat der
Täter, ein kluger, charismatischer Priester, das manipulativ mir gegenüber
so hingedreht, dass dieser Missbrauch* eine Art geheimer Initiationsritus
sei, um in die Kaste der Priester hineinzukommen – und er wusste, dass ich
erwog, katholischer Priester zu werden.
Auch das ist ein wenig seltsam, denn eigentlich waren Sie ja evangelisch.
Ja – aber ich war immer berührt von der katholischen Welt, schon damals.
Und nach ein paar Semestern evangelische Theologie bin ich später
konvertiert, bin also katholisch und auch katholischer Priester geworden.
Sie wurden offenbar ein ziemlich guter katholischer Priester, waren Jahre
später leitender Geistlicher für mehrere Pfarreien – und als Sie versetzt
werden sollten, gab es öffentliche Proteste zu Ihren Gunsten, weil Ihre
Gemeindemitglieder Sie nicht verlieren wollten.
Ja, ich war auch glücklich mit meiner Arbeit. Aber etwa um das Jahr 2008
kamen plötzlich, wie in einem Film, die Erinnerungen an den Missbrauch
zurück, den ich total verdrängt hatte. Ich wusste nicht, wie ich damit
umgehen sollte, und habe den Missbrauch deshalb 2011 dem damaligen
Personalchef Stefan Heße im Erzbistum Köln gemeldet. Er ist jetzt
Erzbischof von Hamburg.
Und [1][Heße ist gerade sehr im Feuer], manche glauben gar, dass er
zurücktreten müsse, da ihm für seine Zeit als Verantwortlicher in Köln
vorgeworfen wird, gegenüber Opfern sexualisierter Gewalt wenig Empathie und
wenig Engagement gezeigt zu haben.
Bei mir war das ähnlich. Ich hatte ihm gesagt, dass ich den Missbrauch erst
einmal nur festgehalten und zu den Akten gelegt haben wollte – aber Heße
hat darüber hinaus anscheinend überhaupt nichts gemacht. Der Priester, der
mich missbraucht hat, und offenbar nicht nur mich, war ein paar Jahre zuvor
gestorben.
Erzbischof Heße ist offenbar der Hauptverantwortliche dafür, dass eine
schon fertige Studie des Erzbistums Köln zur sexualisierten Gewalt in den
vergangenen Jahrzehnten im Erzbistum nicht veröffentlicht wird – er pocht
auf seine Persönlichkeitsrechte. Finden Sie, er sollte zurücktreten?
Es ist nicht an mir, einen Rücktritt, von wem auch immer, zu fordern, aber
Heße hat als hochrangiger Vertreter des Systems definitiv Schuld auf sich
geladen – und bisher ist noch kein Verantwortlicher oder gar Bischof wegen
des Missbrauchsskandals zurückgetreten. Das wäre ein wichtiges Signal für
die Opfer des Missbrauchs. Aber seine öffentlichen Äußerungen zu diesem
Thema lesen sich zwischen den Zeilen zum Teil wie Drohungen: Wenn ich
zurücktrete, packe ich aus und erzähle, wer noch alles im Erzbistum Köln in
Sachen Missbrauch Schuld auf sich geladen hat.
Die Entscheidungen, wie man mit den Informationen zur sexualisierter Gewalt
umgehen soll und ob man etwas macht, wurden über Jahre im Erzbistum Köln
offenbar im Kollektiv getroffen. Entscheidend war aber das Votum vom
verstorbenen Erzbischof Joachim Kardinal Meisner und seiner damaligen
rechten Hand Rainer Maria Woelki, der nun Erzbischof von Köln und Kardinal
ist.
Das ist richtig, weshalb ich sicher bin, dass Kardinal Woelki auch seine
nicht geringe Verantwortung aufzuarbeiten hat.
Warum sind Sie schließlich vor sechs Jahren aus dem Priesteramt
ausgeschieden?
Als schwuler Mann sollte ich im Zuge einer Bistumsintrige mit Hilfe von
angeblich anonymen Anzeigen gezwungen werden, mich von einer Bewerbung für
eine Aufgabe zurückzuziehen. So sollte ich mich von meiner Sexualität
distanzieren. Das war lächerlich, denn es war bei mir definitiv kein
Geheimnis, so wenig wie auch bei vielen anderen Kollegen.
Das brachte das Fass bei Ihnen zum Überlaufen.
Ja. Ich empfand das als erneuten Missbrauch. Ich sollte meine
Homosexualität verleugnen, Sexualität als Vehikel für den eigentlichen
Missbrauch von Macht. Brutal und verletzend. Deshalb bin ich aus dem
Priesteramt ausgeschieden.
Ist Ihnen das schwergefallen?
Ja, natürlich. Ich war ja gerne Priester! Außerdem war natürlich meine
Existenz bedroht. Zum Glück konnte ich mich recht schnell beruflich neu
aufstellen.
Haben Sie vonseiten der Kirche jemals irgendeine Art von Empathie erfahren?
Von den einfachen Gläubigen schon, sogar sehr viel. Vom Erzbistum aber
überhaupt nicht. Es gab ein letztes Gespräch mit Kardinal Woelki in seinem
Büro. Er war eiskalt. Er begrüßte mich mit „Pfarrer Spröde“ und
verabschiedete mich mit „Herr Spröde“. Und weder von ihm noch von Stefan
Heße habe ich je ein Wort des Bedauerns über den an mir begangenen
Missbrauch oder über mein Ausscheiden als Pfarrer gehört.
Sie haben [2][als anerkanntes Opfer sexualisierter Gewalt 5.000 Euro]
erhalten.
Ja, aber das war mir egal – ich habe das Geld sofort gespendet.
Sind sie noch katholisch?
Ob ich immer noch katholisch bin, kann ich gar nicht für mich definieren –
allerdings aus der Institution bin ich ausgetreten.
Finden Sie, dass Kardinal Woelki als Erzbischof zurücktreten sollte?
Ich würde das begrüßen. Das Entscheidende ist aber, erst einmal die
Verantwortung zu übernehmen – welche Konsequenzen daraus entstehen, ist der
nächste Schritt. Allerdings ist ja der erste Schritt noch gar nicht getan.
Und auch Woelki war mitverantwortlicher Teil des Systems
Vor kurzem haben die katholischen Bischöfe beschlossen, dass die Opfer,
auch die, die schon etwas erhalten haben, eine Anerkennungszahlung für das
erlittene Leid erhalten sollen. Einheitlich in ganz Deutschland und maximal
50.000 Euro. Das ist keine Entschädigung, was die meisten Opfer
sexualisierter Gewalt fordern, auch weil diese wohl höher wäre. Was halten
Sie von dieser Regelung?
Das entspricht sicher nicht in vielen Fällen dem erlittenen Leid. Aber ich
verstehe, wenn viele Missbrauchsopfer das nun annehmen, da viele von ihnen
schon alt sind und keine Zeit mehr zu verlieren haben. Bis sie eine
vielleicht höhere Entschädigung vor Gericht erstritten haben, könnte zu
viel Zeit verloren gehen.
Wollen Sie selbst erneut Geld vom Erzbistum fordern? Beantragen kann man es
ab Anfang kommenden Jahres.
Ja. Aber es geht mir nicht ums Geld, sondern darum, dass die Kirche endlich
ansatzweise ihre systemische Verantwortung zeigt. Verantwortung ist aber
mit Konsequenzen verbunden, die oft auch schmerzhaft sind. Das ist sie den
Opfern schuldig. Wichtiger aber wäre mir, wenn es auch personelle
Konsequenzen geben würde. Dafür wäre es höchste Zeit.
*Anmerkung der Redaktion: Ein Reformpaket zur Bekämpfung sexualisierter
Gewalt gegen Kinder vom Bundesjustizministerium vom 01. Juli 2020 regt an
das Wort „Missbrauch“ nicht mehr zu verwenden, da es „suggeriert, es gebe
auch einen legalen ‚Gebrauch‘ von Kindern.“ Wir schreiben daher von
sexualisierter Gewalt, die sich gegen Kinder richtet.
15 Oct 2020
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## AUTOREN
Philipp Gessler
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