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# taz.de -- Neues Buch „Find Me“ von André Aciman: „Diese Geschichte ist…
> Die Verfilmung von André Acimans Roman „Call Me by Your Name“ war ein
> Riesenerfolg. Jetzt ist die Buchfortsetzung „Find Me“ auf Deutsch
> erschienen.
Bild: Sommer, Körper, Blicke, Begehren: Szene aus der Verfilmung von „Call M…
Das Oscar-prämierte Liebesdrama „[1][Call Me by Your Name“ (2017)] ist der
große queere Film der Dekade. Endlich mal kein Problemfilm, sondern ein
zauberschöner Sommer, irgendwo in Norditalien. Zwei junge Männer, die sich
verlieben. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von 2007. Der
Autor, der das wohl berühmteste fiktive Männerpaar der Gegenwart, Elio und
Oliver, erfunden hat, ist André Aciman, 69, Sohn einer jüdischen Familie,
geboren in Ägypten, vielfach migriert, bis nach New York. Mit „Find Me“
legt Aciman nun die Buchfortsetzung vor.
taz am wochenende: Herr Aciman, wie ging das los mit „Call Me by Your
Name“?
André Aciman: Es begann mit einem Bild aus einem Kalender: „Bordighera“ von
Monet. Ich habe mich in dieses Haus verliebt und dachte: „Mein Gott, ich
will nach Italien dieses Jahr!“ Aus irgendeinem Grund ging das damals
nicht. Also habe ich mir vorgestellt, wie es wohl wäre, als Heranwachsender
in diesem Haus zu leben. Dann habe ich mir eine Romanze erträumt. Aber was
sollte daran die Story sein? Boy, Girl? Was soll schon passieren? Das trägt
vielleicht zwei Seiten. Ich habe mich dann gefragt, wie es wohl wäre, wenn
ich eine Boy-Boy-Story schriebe. Das ergäbe Spannung, Furcht, Hemmung, alle
Arten von Zurückhaltung. Das ist mein Territorium als Autor.
Die Verfilmung ist ein gigantischer Erfolg. Fiel es Ihnen schwer, für die
Buchfortsetzung „Find Me“ die Kontrolle über die Figuren zurückzugewinnen…
Ich habe ein Buch geschrieben, das sein eigenes Leben angenommen hat. Wenn
jemand ein Cartoon oder eine Serie daraus machen will, nur zu! Was mir aber
tatsächlich sehr wichtig war: die Geschichte von Elio zu erzählen. Nachdem
das Buch 2007 rauskam, hab ich immer wieder versucht, weiter über ihn zu
schreiben. Doch dann schlich sich bei mir das Gefühl ein, dass ich die
Geschichte aus „Call Me by Your Name“ wiederholen würde. Deshalb habe ich
das verworfen. Während der Film gedreht wurde, hielt ich einen Vortrag in
besagtem Bordighera in Italien. Im Zug traf ich eine Frau und wollte wieder
in Italien bleiben. Ich konnte nicht, aber deshalb habe ich über einen Mann
geschrieben, der eine Frau im Zug trifft. Im echten Leben ist die Frau zwei
Stationen später ausgestiegen.
Im Buch läuft es anders. Aber vor allem dauert es sehr lang, bis wir von
den bekannten Hauptfiguren Elio und Oliver lesen. Hatten Sie Angst, über
das Wiedersehen nach all den Jahren zu schreiben?
Mir war klar, dass sie sich wiedersehen würden. Aber ich hatte lange nicht
die Story auf Lager. Was würde passieren, wenn die beiden zusammenwohnen
als Liebende? Ich wollte nicht darüber schreiben, wie sie zusammen die
Wäsche aufhängen.
Viele queere Teenager würden sich so verständnisvolle Eltern wünschen wie
Professor Perlman, der seinen nichtheterosexuellen Sohn am Ende von „Call
Me“ psychisch stärkt. Aber so etwas liest und sieht man kaum.
Der Monolog, den Samuel in „Call Me“ hält, ist die Art Rede, die auch mein
Vater mir gehalten hätte. Oder ich meinem Sohn, falls er schwul wäre. Viele
Menschen haben mir erzählt, dass sie nach dem Buch ihr Coming-out bei ihren
Eltern hatten. Viele Leute haben ihre Eltern mit in den Film genommen. Um
ihren Eltern zu zeigen, was sie gerade durchmachen. Sogar aus Indien habe
ich das gehört. Wenn mein Buch so etwas möglich macht, bin ich sehr
glücklich.
Elio reagiert äußerlich kaum auf die verständnisvollen Worte seines Vaters.
Ist es noch so schwer, moderne Männlichkeit zwischen Vater und Sohn zu
besprechen?
Ja, das glaube ich schon. Elio spürt, worauf der Vater hinauswill, und
versucht, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Er sagt: „Ja,
Oliver ist ein guter Mensch. Wir waren gute Freunde.“ Er will den Vater
davon abhalten, mehr auszusprechen. Da steht eine Mauer zwischen beiden,
und die hat nicht der Vater, sondern der Sohn gebaut. Der Vater reißt sie
liebevoll ein.
Queers haben sich wohl danach gesehnt, eine etwas märchenhafte
Liebesgeschichte unter Männern zu lesen.
Ich wollte kein Mobbing, keine Schlägereien. Keine Eltern, die ihre Kinder
aus dem Haus kicken, weil sie schwul sind. Und ich wollte auch nicht über
Aids schreiben. Mit anderen Worten: Ich wollte all die typischen „Schurken“
vieler schwuler Storys nicht in meiner Geschichte haben. Viele andere haben
darüber geschrieben. Sollen sie’s tun! Ich wollte aber zeigen, dass es sehr
wohl möglich ist, eine wundervolle, liebevolle Beziehung zu haben zwischen
zwei Männern.
Eine Utopie also.
Ich muss Ihnen widersprechen: Die Geschichte ist keine Utopie. Denn sie ist
absolut möglich.
Es wurde kritisiert, dass die Welt aus „Call Me“ ein privilegiertes, weißes
Wohlstandsbürgertum zeigt.
Wissen Sie, jeder schreibt über die Welt, die ihm vertraut ist. Bis ich 14
war, waren wir wohl privilegiert. Danach verlor mein Vater alles. Die Welt,
die ich kenne, ist eine Welt aus Filmen und Büchern. Bücher vor allem.
Plots interessieren mich nicht. Was mich interessiert: Menschen, die sich
hinsetzen, bei Kaffee oder beim Abendessen, diskutierend, vielleicht
flirtend – oder sie flirten nicht, aber versuchen es. Ich mag all die Filme
von Éric Rohmer. Man weiß bei ihm oft nicht mal, welche Berufe die Leute
haben, denn das wäre nebensächlich. Wichtig ist: Die Menschen sprechen
miteinander.
Und da kam es nicht infrage, auch lesbische oder transgender Charaktere
einzubauen?
Das ist nicht die Welt, die ich unmittelbar kenne. Aber klar: Diversität
ist wichtig, das ist ganz und gar nicht nebensächlich. Ich habe ein
Institut für Autor:innen gegründet. Da kommen Leute von 20 bis 75, mit
unterschiedlichem Hintergrund, um sich zwei Stunden pro Woche zu treffen
und ihre Arbeiten zu diskutieren. Superdivers, und ich bestärke sie darin.
Macht es Sie dann traurig, wenn etwa eine arme Person of Color sagt, „Call
Me“ sei nicht ihre Geschichte?
Ich kann jemanden verstehen, der sagt: „‚Call Me by Your Name‘ spielt in
Italien, alle sind anscheinend wohlhabend, gebildet – das ist nicht meine
Welt.“ Aber was ich dem entgegen würde: Bitte lesen Sie das Buch trotzdem!
Literatur sollte einen ansprechen, auch wenn sie nicht deinen Alltag
widerspiegelt. „Hamlet“ spricht direkt zu uns – ob wir nun in Dänemark o…
in Harlem sind. Ich habe Baldwin gelesen, und das ist auch nicht meine
Welt. Und dennoch verstehe und fühle ich sie.
Sind Verlage und Filmstudios nun offener für queere Liebesgeschichten nach
„[2][Call Me by Your Name]“?
Nicht nur deshalb, aber sie müssten schon sehr blind sein, das nicht zu
bemerken: dass es da ein großes Publikum gibt, das diese Geschichten sehen
will. Und mehr davon. Das ist großartig! 1975 hätte ich mir das nicht
vorstellen können. Es gab queere Storys, aber im Verborgenen. Jetzt sind
sie draußen. Gott sei Dank, es ist auch Zeit! Gerade gibt es einige
transgender Geschichten, das ist prima! Viele Leute überfordert das ja
noch.
Fühlen Sie eine politische Verantwortung als Autor?
Es gibt nichts, das nicht politisch wäre. Aber andere Leute haben da ein
viel besseres Gespür für die Feinheiten in dieser Welt. Ich lebe recht
isoliert. Wenn ich wissen würde, dass ein Buch von mir einen massiven
Einfluss auf die Gesellschaft haben oder es zu einem sagenhaften Film würde
– all dies würde mich vorab so sehr einschüchtern, dass ich es erst gar
nicht schreiben könnte.
Sie sind Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft. Wie viele
queere Geschichten kennen Sie, innerhalb und außerhalb des westlichen
Kanons?
Kommt drauf an. Ist die Bibel Teil des westlichen Kanons oder nicht?
(lacht) Die Bibel wird oft verwendet, um zu sagen, dass Homosexualität eine
Sünde sei. Aber David und Jonathan sind ja wohl nicht nur Freunde. Der
queere Kanon ist noch überschaubar und verborgen. Ich hab Proust gelesen,
als ich jung war. Dort ist Queerness superpräsent. Ich habe kürzlich ein
Vorwort für „Olivia“ von Dorothy Strachey geschrieben. Eine lesbische
Affäre, zu der es dann doch nicht kommt. Dieses Buch war sehr wichtig für
mich, als ich „Call Me by Your Name“ schrieb. Es heißt „Olivia“, und e…
meiner Hauptfiguren heißt Oliver, nicht? Kein Zufall. Eines meiner liebsten
Bücher auf Englisch ist „Nachtgewächs“ von Djuna Barnes. Auch über eine
lesbische Affäre. Es gibt viele queere Storys! Einige sind brillant
geschrieben, andere ganz schrecklich. Oscar Wilde war ein Genie. Yves
Navarre war ein Genie. André Gide ertrage ich nicht.
Lesen Sie auch jüngere queere Autor:innen wie Ocean Vuong oder Édouard
Louis?
Ja, an [3][Ocean] führt kein Weg vorbei. Er ist enorm erfolgreich in
Amerika. In Deutschland ja sicher auch. [4][Édouard Louis] ist ganz schön
rau, aber auch sehr kraftvoll. [5][Garth Greenwells] zweiter Roman ist auch
draußen: „Cleanness“. Sehr sensibel und sehr literarisch – was ich immer
mag.
Wie viel Kontrolle wollen Sie über die Filmfortsetzung von „Call Me“ haben…
Das Buch ist draußen, fertig. Ich glaube nicht, dass es eine Verfilmung
direkt von „Find Me“ geben wird. Luca hat zwar über eine filmische
Fortsetzung gesprochen, aber die habe ich nicht geschrieben. Sie brauchen
meine Hilfe nicht. Und er will in eine andere Richtung als die, die ich mit
„Find Me“ eingeschlagen habe. Er will andere Plotlinien. Das verstehe ich.
Er hat die Vision, die Figuren immer wieder fünf Jahre später wieder zu
treffen. Ein sehr löbliches Projekt. Aber nichts, was ich gemacht hätte.
Das ist voll in Ordnung.
31 Jul 2020
## LINKS
[1] /Schwuler-Coming-of-Age-Film/!5485639
[2] https://www.youtube.com/watch?v=Z9AYPxH5NTM
[3] /Gedichte-von-Ocean-Vuong/!5669516
[4] /Gelbwesten-und-Kultur-in-Frankreich/!5565145
[5] /Debuetroman-von-Garth-Greenwell/!5494471
## AUTOREN
Stefan Hochgesand
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Buch
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Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
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