| # taz.de -- Erzählungen von Jonas Eika: Verbrannte Haut im Shockdown | |
| > Jonas Eika schreibt Erzählungen, dass man denkt: What the fuck?! In „Nach | |
| > der Sonne“ löst er kapitalismuskritisch Subjektgrenzen auf. | |
| Bild: Schriftsteller Jonas Eika | |
| Man kennt dieses Gefühl, wenn einem nicht mehr klar ist, nach der Sonne: | |
| Ist das noch Sonnenbrand oder schon Sonnenstich? Vielleicht liegt man zudem | |
| auf einer Strandliege unter dem Parasol, und ein Beach Boy massiert einem | |
| einen Muskel, von dem man bis eben nicht wusste, dass man ihn überhaupt | |
| hatte. | |
| Man selbst erblickt die Welt nur noch trüb gespiegelt durch ein Stück | |
| Alufolie, das dahinflattert über den Sand und auf dem noch ein paar Tropfen | |
| Flüssigheroin lauern, das jemand nicht ganz weggeraucht hat. So oder | |
| ähnlich fühlt es sich an, Jonas Eika zu lesen. Jedenfalls seinen Storyband | |
| „Nach der Sonne“. (Ein Roman, sein eigentliches Debüt, ist bisher nicht ins | |
| Deutsche übertragen.) | |
| Der junge Däne [1][Jonas Eika,] Jahrgang, 1991, schreibbeschult auf der | |
| Forfatterskolen, erzählt so, dass einem duselig werden kann. Aber nicht | |
| weil übertrieben viel passieren würde, sondern weil das Passierende dann | |
| doch sehr unerhört ist: Ein IT-Experte geht mit einem Banker ins Bett und | |
| vertickt die Zukunft – oder hat er dadurch sogar den Krater bewirkt, durch | |
| den die Bank, die er beraten soll, gleichsam verschwunden ist? | |
| In einer anderen Story, die an einem Pilgerort für Ufo-Fans spielt, | |
| schlitzt sich ein älterer Mann in der Nevada-Wüste den Hals auf, um zu | |
| einem Sendemast zu mutieren. Und in „Bad Mexican Dog“, einer in zwei Teilen | |
| über den Band fragmentierten Novelle, trifft man auf besagten Beach Boy, | |
| der allerdings nicht nur Massagen und Drinks feilbietet, sondern auch | |
| Analsex mit einer Sonnenschirmstange hat – und mit Manu, der sich ein | |
| Garnelenskelett auf den Schwanz schnallt. | |
| Aus einer anderen Erzählpersektive dagegengeschnitten ist ein Heteropaar im | |
| selben Beach-Ressort, das sich von einem Beach Boy (Ist er ein anderer? Ist | |
| er derselbe?) ablecken lässt, da er einen Hund spielt, den sie erniedrigen. | |
| Hinterher stellt sich das als Videotrickbetrug heraus. | |
| ## Gespür für abwegige Settings | |
| „What the fuck?!“, denkt man immer wieder bei der einnehmenden | |
| Eika-Lektüre. Und: „Hat er das gerade wirklich geschrieben oder hab ich zu | |
| viel Sonne abgekriegt?“ Eika hat ein Gespür für abwegige Settings und aus | |
| der Science-Fiction entliehene Geistesfunken, wie man das vielleicht von | |
| Haruki Murakami oder [2][Clemens J. Setz] kennt. Oder, stärker | |
| literaturgeschichtlich gedacht, von der Literatur E.T.A. Hoffmanns, wo das | |
| Phantastische ins Realistische hineinrattert. Aber was Eika damit anstellt, | |
| ist viel böser. | |
| Jonas Eika löst, mitunter nahezu unbemerkt inmitten eines Satzes, die | |
| Grenzen des Subjekts in seinem Ego-Tunnel auf. Die Verfremdungseffekte in | |
| seinen homoerotisch aufgeladenen Plots entlarven die Figuren als | |
| Kaleidoskopsteinchen kapitalistischer Verwertungslogik, aber auch als | |
| organische Sinneswesen, in Symbiose mit Fauna und Flora. Der Mensch als | |
| ökologisch und ökonomisch determiniertes Wesen, das sich besser seine | |
| Freiheitsmomente zurückerobern sollte. | |
| ## Unterkühlende Distanzeffekte | |
| Jonas Eika macht es einem in seinem allemal guten, verstörenden Buch nicht | |
| einfach, denn seine Figuren sind nur unter starken Vorbehalten | |
| Sympathieträger. Doch trotz dieser unterkühlenden Distanzeffekte mit | |
| metallischem Nachgeschmack zum Trotz halten sie einen in Bann. Könnte diese | |
| crazy Shockdown-Welt, die Eika beschreibt, am Ende unsere eigene sein? | |
| Und wie viel After-Sun (oder wie es im Band lyrisch heißt: Nachsonne) | |
| bräuchten wir dann, bis unsere verbrannte Haut wieder heil ist? | |
| 18 Oct 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Hochgesand | |
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