| # taz.de -- Homosexualität in der Literatur: Antikes Schwulsein heute | |
| > Homo-Plots in griechischen Mythen sind ein kleiner Trend in der | |
| > zeitgenössischen Literatur. Warum, und was genau wird dort verhandelt? | |
| Bild: Im Blockbuster „Troja“ (2004) spielte Brad Pitt den dort fälschliche… | |
| Warum überhaupt die alten Griechen? Muss man deren Lieder noch mal in die | |
| Mikrowelle stecken in der Gegenwart? Gibt es keine dringlicheren | |
| Geschichten? Und doch zieht selbst bei Ocean Vuong, 31, in dessen zweitem | |
| Gedicht des Bandes [1][„Nachthimmel mit Austrittswunden“] (dt. 2020), der | |
| junge Telemachos seinen Vater, mutmaßlich Odysseus, aus dem Meer. | |
| Ist ja nicht so, dass der in Vietnam geborene [2][Vuong], der über | |
| Queerness, Migration, Rassismus, Klassismus in den USA der Jahrtausendwende | |
| schreibt, keine anderen Themen auf Lager hätte als den ollen Homer. Und | |
| doch greift Vuong an dieser Stelle auf antikes Personal zurück – auch um | |
| Männerbilder zu hinterfragen und wie sie durch Kriege sowie deren Narrative | |
| geformt wurden. Damit reflektiert Vuong dann auch übers Mann- und | |
| Schwulsein in der Gegenwart. | |
| In deutscher Übersetzung sind in den letzten zwölf Monaten gleich drei | |
| prominentere Romane (wieder-)erschienen, die eine schwule Liebesgeschichte | |
| in einen altgriechischen Mythos hineinschreiben – oder immerhin den antiken | |
| latent schwulen Plot forcieren: Die Kanadierin [3][Anne Carson], die zu | |
| Recht seit Jahren für den Nobelpreis gehandelt wird, erzählt in den beiden | |
| sehr assoziativ-lyrischen Versepen „Rot“ (dt. 2019) von einem roten Wesen | |
| namens Geryon. | |
| Im Original-Mythos wird Geryon seiner schicken Rinderherde wegen vom | |
| Krieger Herkules ermordet; bei Anne Carson werden die beiden, scheinbar | |
| Soulmates, ein Liebespaar auf Zeit, das in der Gegenwart lebt oder eher | |
| einer magischeren Version davon. Unbedingt lesenswert! | |
| ## Klytaimnestra und Elektra | |
| Der irische Autor [4][Colm Tóibín] wiederum erzählt im „Haus der Namen“ | |
| (dt. 2020) die antike Orestie kapitelweise aus der Sicht von Frauen: | |
| Klytaimnestra und Elektra. Und er gönnt seinem jugendlichen Orestes auch | |
| eine bei den antiken Autoren nie erwähnte Liebschaft mit Leandros. Tóibin | |
| gibt ihr inmitten seines bluttriefenden Anti-Kriegs-Romans erstaunlich viel | |
| Raum. Die fragile Idylle kontrastiert hart mit den brutalen Rollen, die | |
| beide im Krieg da draußen zunächst ausfüllen, aber letztlich hinter sich | |
| lassen. | |
| Die US-amerikanische Autorin [5][Madeline Miller], Jahrgang 1978, musste in | |
| ihrem Debütroman „Das Lied des Achill“ eigentlich weniger tollkühn erfind… | |
| als Carson und Tóibín, denn die schwule Liebe von Achill und Patroklos wird | |
| in Homers „Ilias“ nahegelegt und bereits von antiken Autoren wie Platon und | |
| Aischylos als sicher gesetzt – auch wenn in Wolfgang Petersens | |
| „Troja“-Verfilmung (2004), die sich aus heutiger Sicht wie ein Prototyp von | |
| „Game of Thrones“ guckt, davon nichts zu sehen war, sondern, im Gegenteil, | |
| Brad Pitt als Achill direkt in der ersten Szene eine Frau im Bett hat und | |
| Patroklos bloß der Cousin ist. Wer’s glaubt! | |
| Madeline Miller nun, die an der renommierten Brown University in Rhode | |
| Island Griechisch und Latein studiert hat, erzählt über Achill, aber | |
| gänzlich aus der Sicht von dessen Geliebten Patroklos. Das amerikanische | |
| Original war 2011 ein New-York-Times-Bestseller, erschien sogar rasch in | |
| deutscher Übersetzung bei Bloomsbury, allerdings ziemlich unter dem Radar. | |
| Nachdem Millers Klassiker-Modernisierung „Ich bin Circe“ 2019 auch | |
| hierzulande mehr Beachtung erfuhr und für ihre feministische Perspektive | |
| gelobt wurde, brachte der Eisele Verlag den Achill-Roman 2020 noch mal neu | |
| heraus. | |
| ## Achill und Patroklos | |
| Millers Strategie hat ihren Reiz, sie fängt viele Jahre vor dem | |
| Trojanischen Krieg an, als sich die jungen Prinzen Achill und Patroklos | |
| kennen und lieben lernen, wobei Miller die Anziehung auch recht körperlich | |
| beschreibt und dabei manchmal nur knapp am Softporno vorbeischrammt. Aber | |
| immerhin: Schwules Begehren kommt im „Troja“-Film und auch sonst in | |
| Hollywood-Bildern und in der Mainstream-Popkultur noch viel zu wenig vor. | |
| Selbst im [6][„Call Me By Your Name“]-Film schwenkt die Kamera (anders als | |
| in der Buchvorlage) dezent Richtung Pfirsichgarten, wenn Elio und Oliver | |
| miteinander schlafen. Millers Achill begeistert sich fürs Musizieren auf | |
| der Lyra – und Patroklos für die Heilkunst. Und beide füreinander sowieso. | |
| Auch den weiblichen Figuren (besonders Achills Mutter Thetis) gibt Miller | |
| viel Kontur. Letztlich jedoch wird Achill bei Miller zwar keine | |
| Mordsmaschine, aber doch ein Krieger, wenn auch Patroklos an den alten | |
| Männerkitsch-Konventionen von Ehre und Heldenmut stark zweifelt und auf | |
| Achill friedfertig einzuwirken sucht. | |
| Als Pazifist wird man mit dem pathetisch-heroisierenden Duktus, dem Miller | |
| dann stellenweise doch erliegt, nicht glücklich. Hier läuft Miller Gefahr, | |
| ihren schwulen Achill als extraharten Mackerkrieger zu inszenieren. | |
| Übrigens eine fragwürdige Mode und Methode, die Didier Eribon in den | |
| „Betrachtungen zur Schwulenfrage“ (dt. 2019) schon in graecophilen | |
| Homo-Literaturzirkeln des 19. Jahrhundert kritisch beobachtet, wenn | |
| griechischer Kriegergeist und dessen Homoerotik ins Feld geführt werden, um | |
| jeden Verdacht von „Effeminiertheit“ zu ersticken und das Schwulsein der | |
| Gegenwart so vermeintlich zu „nobilitieren“. | |
| Man sollte Madeline Miller aber zugutehalten, dass ihr Roman | |
| Etikettenschwindel betreibt – und der facettenreiche Ich-Erzähler Patroklos | |
| die eigentlich spannendere Figur ist als der titelgebende Krieger. | |
| 14 Jul 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Hochgesand | |
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