# taz.de -- Antike Theater in Griechenland: Steinerne Monumente | |
> Griechenland gräbt seine antiken Theater wieder aus. Die wiederentdeckten | |
> Kulturstätten sollen ein neues Highlight für Touristen werden. | |
Bild: Das Theater in Nikopolis | |
Am Anfang des Spiels war der Wein. Bevor der Mensch Komödien oder Tragödien | |
schrieb, bevor Sophokles seine Antigone den Konflikt zwischen Gesetz und | |
Gewissen ausloten ließ, soff der Mensch. Aus den religiösen Feierlichkeiten | |
zu Ehren des Weingottes Dionysos entstand wohl das Schauspiel. Am Ende | |
standen riesige Theater mit bis zu 20.000 Plätzen; Flugmaschinen, mit denen | |
Götter am Kran auf die Bühne schwebten; Heldentum, zig innerfamiliäre | |
Morde, und die Geburt des europäischen Theaters. Und an einem kleinen Teil | |
dieses Ganzen steht Vangelis Pavlidis und sagt: „Wir hoffen, in ein paar | |
Jahren werden wir fertig sein.“ | |
Pavlidis, deutsch-griechischer Archäologe aus Unterfranken, klettert geübt | |
voran über antiken Stein. Es ist heiß in der nordgriechischen Provinz | |
Epirus. Um ihn herum ragt ein verstorbenes Monstrum auf, ein imposantes | |
Gerippe, das auf brauner Erde ruht. Das antike Theater von Nikopolis. | |
Octavian, der spätere Kaiser Augustus, ließ die Stadt und das Theater bauen | |
– als Machtdemonstration. Die griechische Vorherrschaft im Mittelmeerraum | |
war lange vorbei, aber nicht das Theater. Vom Theater wollte der Mensch | |
nicht lassen. | |
Die Sonne brennt hoch am Himmel, ein Sonnensegel aus Leinentuch spannt sich | |
über den Zuschauerrängen. So könnte es damals ausgesehen haben. Tausende | |
drängen sich auf den steinernen Sitzen des Theaters von Nikopolis: Männer | |
der weniger privilegierten Schichten im mittleren Teil, Frauen und Kinder | |
vermutlich ganz oben. | |
Komödien dürfen Frauen nicht besuchen, der Sexwitzchen wegen; Tragödien | |
und Sport dürfen sie wohl sehen. Auf den vorderen Plätzen sitzen Seite an | |
Seite die Männer aus der Oberschicht. Ihre Namen sind in den Stein ihres | |
Stammplatzes eingraviert. Als Snack gibt es vielleicht Muscheln; unten, auf | |
der Spielfläche, ist ein Teil der gigantischen Spiele von Actium angesetzt: | |
Boxen, Laufwettbewerbe, Kämpfe, Kanurennen, und draußen, auf dem Golf von | |
Amvrakikos, steht gleich eine nachgestellte Seeschlacht auf dem Programm. | |
## Die Vergangenheit ist zurück | |
„Man kann es sich vorstellen wie Olympia“, sagt Pavlidis enthusiastisch. | |
Seit 2012 haben die ForscherInnen das Ungetüm zurück ins Leben geholt. Alte | |
Fotos zeigen eine gigantische Fläche von Grün; das Theater war fast völlig | |
unter Buschwerk verschwunden. Einzelne Steine ragten heraus wie Überreste | |
eines Wracks in einem grünen Meer. Heute steht das Halbrund wieder frei in | |
der kargen Landschaft. Die roten Ziegel, von AnwohnerInnen einst freudig | |
als günstiges Baumaterial genutzt, deuten bis heute die runden Bögen an, | |
die elegant das Theater umgaben. In ihrem Schoß liegen wie zerbrochene | |
Knochen die Zuschauerränge. Und in der Ferne schimmert türkisfarben der | |
Golf von Amvrakikos. Es ist sehr still. Die Vergangenheit ist zurück. | |
„Monumente brauchen Menschen, um zu überleben“, schreibt die Organisation | |
Diazoma, die sich für den Erhalt griechischer Theater einsetzt. „Unseren | |
Monumenten fehlt es heute an Menschen.“ Diazoma, gegründet 2008, ist ein | |
Krisenkind. Einen tiefen Graben habe es damals gegeben zwischen den | |
Archäologen, den lokalen Parlamenten und der Bevölkerung vor Ort. Und | |
natürlich gab es eine andere griechische Tragödie, die noch sehr jung ist: | |
die Wirtschaftskrise. Wenn es aber um Theater geht, ist Griechenland kein | |
Bittsteller am Rande Europas. Sondern Pionier. | |
Griechenland also gräbt aus. Von rund 125 antiken Theatern wurden nach | |
Angaben von Diazoma allein zwischen 2008 und 2018 etwa 55 Stück ausgegraben | |
oder erforscht. Insgesamt rund 25 Millionen Euro EU-Gelder flossen in die | |
Projekte. Allein 37 Millionen Euro soll die neue Kulturroute zwischen fünf | |
Theatern in Epirus kosten, zu denen auch das Theater von Nikopolis gehört. | |
Restaurants und lokale Angebote sollen von der Kulturroute profitieren. | |
## Alte Steine sollen Geld bringen | |
„Monumente müssen ein Herzstück nachhaltiger Entwicklung in Griechenland | |
sein“, so Diazoma. Eine genuine BürgerInnenbewegung ist das hier nicht: | |
Initiator ist der ehemalige griechische Kulturminister Stavros Benos. Eine | |
neue, bürgernahe Archäologie erträumt er sich, von der die Kommunen | |
profitieren. Es gibt symbolische Adoptionen von Theatern, transparente | |
Finanzen, Auflistung der Fortschritte, Crowdfunding. Und Hoffnung. | |
Ein leichter Nebel liegt in der Luft, der die Farben milchig werden lässt. | |
Das Meer, die Berge, alles ist etwas blass. Die Landschaft ist rau hier in | |
der nordwestlichen Region Epirus: Karge Berge ragen im Landesinneren empor, | |
an deren Hänge sich dichte, niedrige Kiefern- und Tannenwälder drücken. Im | |
Flachland wachsen Olivenbäume und Zypressen, und manchmal ist die Luft | |
erfüllt vom Geruch frischen Rosmarins. Es ist eine wilde, einsame Ecke mit | |
pittoresken Dörfern, steilen Höhen, Marschlandschaften voller Flamingos und | |
Pelikane und mit Gipfeln, die eher an den Balkan erinnern als an den | |
Mittelmeerraum. Und es ist auch eine zurückgebliebene. Die | |
Arbeitslosenquote lag 2019 bei 21 Prozent, Epirus ist eine der ärmsten | |
Gegenden des Landes. Ausgerechnet alte Steine sollen Geld bringen. | |
Schon lange haben die Steine die Menschen angezogen. Die ersten | |
europäischen Touristen besuchten ab dem 17. und 18. Jahrhundert die | |
Überreste griechischer Theater. Manche ritzten wie pubertierende Schüler | |
ihre Namen in die Gemäuer. Die eindrucksvolle Ästhetik des Verfalls ist | |
geblieben, aber die Konkurrenz touristischer Attraktionen ins Unendliche | |
gewachsen. Die Instagrammer, die für diese Tour geladen wurden, seufzen | |
unisono leise, alte Theater wolle ihre Kundschaft eigentlich nicht sehen. | |
Auch viele der eingeladenen JournalistInnen finden, man könne der | |
Leserschaft unmöglich nur Steine vermarkten. Antike griechische Stätten | |
werden ihr SeniorInnen-Image nur schwer los. | |
„Je offener eine archäologische Stätte für die Öffentlichkeit ist, umso | |
mehr wird sie geschützt“, schreibt der Komponist Giorgos Kouroupos, der | |
Diazoma mit bewirbt. Es ist ein mutiger Weg, aber eine Gratwanderung: | |
Pompeji, Machu Picchu oder die Cheops-Pyramide zeigen, dass Offenheit nicht | |
immer schützt. Sie kann auch schaden. Andererseits: Was niemand kennt, | |
ist niemandem den Schutz wert. Und inmitten greller Dinge der Moderne sind | |
antike Monumente auch eine Ode an die Vorstellungskraft, an die Macht der | |
Fantasie. Aus ein paar Brocken entsteht im Geiste ein Haus, ein Theater. | |
Und manchmal eine ganze Stadt. | |
Dimitra Drosou, Archäologin und Tourführerin, weist den Weg durch Kassopi. | |
Ihre Stadt, eigentlich nur eine Ansammlung von Steinfundamenten auf einem | |
Bergplateau. Kassopi war ein blühender Ort, bevor die Römer sie | |
zerstörten. Die Sonne geht am Rande des Bergplateaus unter. Und die | |
steinernen Fundamente von Kassopi sind so detailliert, dass sie die Stadt | |
zurück ins Leben bringen. Hier der Marktplatz mit den Läden, gesäumt von | |
Statuen der wichtigen lokalen Familien. | |
Rechts die Bänke, auf denen die BürgerInnen dem Treiben zusahen. Vorne der | |
Altar des Zeus. Auch die Hauptstraße ist noch erhalten, die eine Hälfte | |
gepflastert für Fußgänger, die andere ungepflastert für Fuhrwerke und Vieh. | |
Und ganz am Ende am Hang liegt das große Theater mit 6.000 Plätzen. | |
## Wie viel Mensch verträgt Archäologie? | |
Trotz vieler Forschungen ist letztlich wenig bekannt über das Theater | |
außerhalb von Athen. Auch über dessen Werke. „Man schätzt, dass von der | |
antiken griechischen Literatur ein Prozent überliefert ist“, sagt der in | |
Griechenland basierte Archäologe Heinrich Hall. „Und fast alles stammt von | |
Männern der Athener Oberschicht.“ Wie genau gespielt wurde, ob es Eintritt | |
kostete und wie bekannt Schauspieler werden konnten, all das lässt sich nur | |
mutmaßen. | |
Manchmal aber helfen Details weiter. Hall berichtet von einer Vase, die | |
einen griechischen Schauspieler mit Namen zeigt. Sie wurde in einem | |
sizilianischen Grab gefunden. „Das zeigt, dass Schauspieler im ganzen | |
Mittelmeerraum berühmt werden konnten.“ Archäologin Dimitra Drosou, selbst | |
Amateurschauspielerin, steht in der Mitte des Theaters und ruft laut über | |
die Ränge. „Ich wünsche mir, dass wir es eines Tages wieder für | |
Aufführungen herrichten können.“ Mancherorts gibt es das. | |
Das Odeon des antiken Nikopolis sieht aus wie aus einem Katalog. Keine | |
zerbröselten Sitzbänke, keine von Erde verschütteten Reihen, keine fehlende | |
Hälfte. Ein nahezu perfekt erhaltenes Theater; mit viel menschlicher | |
Nachhilfe. Das Theater wurde offensiv restauriert: Die Sitzreihen sind | |
erneuert und glatt poliert, eine neue Bühne ist aufgestellt. Wie viel | |
Mensch verträgt die Archäologie? | |
Den Instagrammern gefällt es. Und waren die Theater nicht immer ein | |
Prozess, an dem jeder etwas hinzufügte, die frühen Griechen, die späteren | |
Griechen, die Römer? Im Sommer gibt es jetzt im Odeon wieder Theaterstücke. | |
Bei der lokalen Bevölkerung kommt das gut an, wenn auch offenbar mit | |
Geschmacksdifferenzen. „Die Leute würden am liebsten nur Folklorestücke | |
sehen“, sagt müde lächelnd Vangelis Pavlidis, der Unterfranke. „Aber wir | |
achten schon darauf, dass das hier einen gewissen Anspruch hat.“ | |
Vergangenheit ist vergänglich: Im Odeon von Athen spielten schon die Foo | |
Fighters. | |
Hinweis: Der Text entstand mit Unterstützung von [1][Discover Greece]. | |
19 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://www.discovergreece.com | |
## AUTOREN | |
Alina Schwermer | |
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