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# taz.de -- Buch über „Die Erfindung des Nordens“: Himmelsrichtung der Her…
> In Bernd Brunners „Kulturgeschichte einer Himmelsrichtung“ geht es um
> Römer und Nazis, vermutete Monster und sehr reale Sehnsüchte.
Bild: Kurs Nordpol: Das Luftschiff „Norge“, hier im Mai 1926 über Spitzber…
Hamburg taz | Den Kern des Problems umreißt der Autor ziemlich früh: „Ist
die entscheidende und interessantere Frage womöglich gar nicht, wo genau
der ‚wirkliche‘ [1][Norden] oder die Arktis beginnt, sondern die, was wir
für ‚Norden‘ halten?“
Was man banal finden könnte: In einer Kulturgeschichte, und so eine hat
[2][Bernd Brunner] geschrieben, geht es um die Dinge ja höchstens so sehr
wie um die Vorstellungen, die sich mit diesen Dingen verbinden; die
Bedeutungen, mit denen diese Dinge aufgeladen werden.
„Die Geschichte des Nordens lässt sich mit verschiedenen Akzenten
erzählen“, schreibt Brunner selbst. Ihm gehe es „um den Wandel der
Zuschreibungen“ und „Sehnsüchte“, die sich an diese Himmelsrichtung
knüpfte, und das seit der Antike. Beschäftigt sich so ein Routinier der
geschmeidigen – in Buchhandelskategorien „populären“ – Wissensvermittl…
mit der „Erfindung des Nordens“, geht das nicht ganz ohne Ausflüge etwa in
die Kartografie. Die Physik aber spielt keine Rolle, statt um Magnetfelder
also geht es doch eher um Meeresmonster: Die wurden ja lange angenommen,
ganz da oben.
## Nicht immer oben auf der Karte
Apropos oben: Da steht heute der Norden, auf Karten und darüber hinaus etwa
auch in manchen Sprachbildern. Dass das auch mal anders gewesen ist, dass
sich der Norden auf mittelalterlichen Weltdarstellungen muslimischen
Hintergrunds unten fand, und die christliche Tradition es zeitweise
diktierte, den Osten nach oben zu stellen: Das ist so eine von Brunners
„Episoden und Schlaglichtern auf den Norden“.
Manche davon kurios, andere weniger: Dass [3][der Komponist Richard Wagner]
etwas mit dem nordischen Sagenapparat am angeblich die Migräne
fernhaltenden Hut hatte: Sicher. Dass den Nationalsozialisten, so wie schon
ihren ach so aufgeklärten (und keineswegs nur deutschen) Vorläufern in
Sachen Judenhass, [4][ein nur mäßig auf Tatsachen fußendes
Nordmenschen-Ideal] vorschwebte: Stimmt, da war was.
(Wenn wir aber heutigen Skandinavien-Fans darlegen würden, dass ihre
Affinität zum nicht so Heißen, nicht so stark Gewürzten, zu
protestantischer Besonnenheit und moderatem Liberalismus zurückzuverfolgen
ist bis hin zu höchst nationalistischen, gegen Napoleon gerichteten
Regungen – wie sehr würde das die Stimmung versauen, am Abendbrottisch in
der norwegischen Skihütte?)
In 29 Kapiteln also reist Brunner durch Wissens- und
Wissenschaftsgeschichte, nach Sibirien und Spitzbergen genauso wie auf den
Spuren imaginärer Inseln oder der Öffnungen zum Erdinneren hin, die noch in
der Neuzeit an den Polen vermutet wurden; um den Wettlauf in die Arktis
geht es und den schwankenden Wert von Walfischknochen, um die längst nicht
nur englische Schottlandbegeisterung und, überhaupt, eine Sehnsucht nach
Unverbaut-Ursprünglichem.
Dafür schien der dünner besiedelte, kargere Norden einigermaßen stabil zu
stehen, so schwankend er etwa in seinen konkreten Abmessungen begriffen
worden ist. Freilich: Dann und wann glaubte man gerade in diese relative
Leere den Ursprung aller Zivilisation verlegen zu können … oder, nein, doch
eher die Wurzeln aller Kultur – so es denn half, sich etwa der vermeintlich
veralteten „jüdischen Fabeln“ zu entledigen, also: der Bibel.
## Im Kuriositätenkabinett
Dem eigentlichen Text voran- und nachgestellt sind zwei Abbildungen
desselben: Einmal als zeitgenössischer Stich, einmal als nachgebaute
Kunstinstallation sehen wir [5][das Kuriositätenkabinett des Ole Worm],
eines dänischen Arztes und gar Reichs-Archivars aus dem 17. Jahrhundert:
Darin versammelte er Natur und Kultur, Knochen und ausgestopfte Tiere etwa,
aber auch Kunsthandwerk und Gebrauchsgegenstände – mit nur einer, kaum
kuratorisch zu nennenden Klammer: Kam alles aus dem Norden (oder dem, was
einer wie Worm damals dafür gehalten haben wird).
Als unterhaltsame, auch lehrreiche, aber nicht durchweg systematische
Anordnung lässt sich auch das damit gerahmte Buch beschreiben. Dieser Tage
stellt Brunner es da vor, wo es hingehört, geradezu.
28 Sep 2019
## LINKS
[1] /!5459114/
[2] http://www.berndbrunner.com/
[3] /Festspiele-Bayreuth/!5429636/
[4] /Ausstellung-zu-NS-Propagandafotos/!5463510/
[5] https://www.atlasobscura.com/articles/ole-worm-cabinet
## AUTOREN
Alexander Diehl
## TAGS
Kulturgeschichte
Skandinavien
Norddeutschland
Geografie
Imaginäre Folklore
Reiseland Griechenland
Manchester
Moderne Kunst
Malerei
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