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# taz.de -- Antike in der Türkei und Berlin: Nur noch Kopien der Göttin
> Eine Reise zu den Ruinen griechischer Stätten entlang der türkischen
> Ägäisküste. Deren Schätze sind in europäischen Museen zu besichtigen.
Bild: Milet, eine antike Stadt in Kleinasien
Der erste europäische Außenposten in Asien liegt heute teilweise unter
Wasser. Es sind nicht nur die Pfützen, die die Ausgrabungsstätte von Milet
nach tagelangem Regen schwer zugänglich machen, ganze Bereiche der antiken
Stadt liegen unter einem See, der an manchen Stellen mehr als einen Meter
tief ist. „Nur im Juli und August verschwindet das Wasser wieder“, erzählt
ein einsamer Wächter an der verlassenen Kasse am Eingang des
Grabungsareals, im Winter ist in Milet immer „Land unter“.
Nachdem alle antiken Stätte in der Türkei wegen der Coronapandemie drei
Monate geschlossen waren, sind jetzt Museen und Ausgrabungsplätze wieder
geöffnet. Als wir vor dem Pandemie-Ausbruch im Januar Milet besuchten, war
trotz des Hochwassers doch noch einiges zu sehen. Aus dem Wasser ragte ein
Säulengang entlang der früheren Agora, dem Marktplatz der Stadt. Auch das
ehemalige Theater, an den Hang eines nahegelegenen Hügels gebaut, konnte
man trockenen Fußes besichtigen. Doch von der berühmten Prozessionsstraße,
die von Milet aus kilometerweit zu dem Apollon-Orakel im heutigen Didyma
führte, schimmerten die Marmorplatten nur noch grünlich durch das
metertiefe Wasser.
Verantwortlich dafür ist der Mäander. Auf Karten, die die damalige
geografische Lage im Museum von Milet zeigen, sieht man, dass die Stadt auf
einer Halbinsel an einer tief ins Land hineinreichenden Meeresbucht lag, in
die der Mäander mündete, der über die Jahrtausende so viel Sedimente
anschwemmte, dass Milet schließlich verlandete.
Heute liegen die Ruinen mitten im Mündungsdelta des Mäanders, dem
türkischen Büyük Menderes, weshalb man dort auch ständig nasse Füße
bekommt. Die antike Lage erlaubte es der Stadt dagegen, insgesamt vier
Häfen einzurichten und damit zum wichtigsten Umschlagplatz der Ägäis zu
werden.
Als es erneut zu regnen beginnt, flüchten wir in das Museum am Rande der
Grabungsstätte. Hier erfährt man, was der Ort selbst nur noch erahnen
lässt: Milet war die älteste griechische, genauer gesagt,
kretisch-minoische Kolonie auf der asiatischen Seite der Ägäis, der
heutigen Türkei. Anhand von Keramik- und Siegelfunden können die
Archäologen nachweisen, dass die Stadt um 1800 vor unserer Zeit von Kreta
aus besiedelt worden war und Jahrhunderte später von den Mykenern, die
zuvor Kreta erobert hatten, übernommen wurde.
## Blütezeit an der Ägäisküste
Milet existierte also schon 600 Jahre, als sich, glaubt man Homer und
seiner „Ilias“, ein großes griechisches Heer um 1200 vor unserer Zeit unter
der Führung des Mykener-Königs Agamemnon mit über tausend Schiffen zur
großen Belagerung von Troja, der zweiten bronzezeitlichen Metropole an der
Ägäisküste aufmachten.
Unabhängig davon, ob der Krieg um Troja wirklich so stattgefunden hat wie
Homer ihn beschrieb, in den folgenden Jahrhunderten gründeten etliche
griechische Städte Kolonien an der gegenüberliegenden Küste Kleinasiens,
die in ihrer Blütezeit teilweise größer und reicher wurden als ihre
Mutterstädte.
Während Troja nach seiner Zerstörung um 1200 vor unserer Zeit nie wieder so
recht auf die Beine kam, erlebte Milet, die andere bronzezeitliche
Großstadt an der Ägäis nur 200 Jahre nach der Zerstörung durch die Hethiter
um 1000 vor unserer Zeit eine große Renaissance. Griechische Siedler bauten
die Stadt neu auf und leiteten damit eine Hochphase griechischer Kultur und
Macht in Kleinasien ein, lange bevor auf der anderen Seite der Ägäis in
Athen die berühmte klassische Phase begann. Ausgehend vom 8. Jahrhundert
bis zur ersten Eroberung durch die Perser im 5. Jahrhundert vor unserer
Zeit war Milet die wirtschaftlich und kulturell dominierende Stadt in der
Ägäis.
Schon damals galt Wohlstand, zumindest eine gesicherte materielle Existenz,
als Voraussetzung für erfolgreiche geistige Arbeit. In Milet gründeten die
Naturphilosophen Tales und Anaximander eine Philosophenschule, die die bis
dahin vorherrschende mythologische Weltsicht radikal in Frage stellte und
erstmals rationales Denken in die europäische Geschichte brachte.
Von der „Weltstadt“ Milet aus wurden etliche neue Kolonien an der
Ägäisküste, den Dardanellen, am Schwarzen Meer und selbst auf Sizilien
gegründet und der Hellenismus damit schon fünfhundert Jahre vor Alexander
dem Großen zum dominierenden Machtfaktor in der Ägäis und dem Schwarzen
Meer.
## Nach Berlin verschleppt
Es gibt deshalb an der türkischen Ägäisküste eine große Zahl ehemals
griechischer Städte, von deren früherem Glanz allerdings viel verloren
gegangen ist. Nicht nur, weil sie durch Kriege, Erdbeben oder Feuer
teilweise zerstört wurden, sondern auch weil mit Beginn der allmählichen
römischen Machtübernahme an der Ägäis im zweiten Jahrhundert vor unserer
Zeit die griechischen Zentren von der neuen römischen Weltmacht überbaut
wurden.
Aus griechischen Tempeln wurden römische Tempel, und griechische Theater,
ehemals zur Volkserziehung gebaut, wurden von römischen Architekten
erweitert und zu Spielstätten für Shows und Gladiatorenkämpfe umgewandelt.
Was dennoch erhalten blieb, wurde im 19. Jahrhundert von europäischen
Archäologen, insbesondere Deutschen, Engländern und Österreichern, nach
Berlin, London und Wien verschleppt.
In Milet grub von 1899 bis 1911 der bekannte deutsche Archäologe Theodor
Wiegand. Obwohl der türkische Staat bereits 1884 und in verschärfter Form
noch einmal 1906 ein Ausfuhrverbot für antike Funde erlassen hatte, gelang
es Theodor Wiegand noch 1908, insgesamt 750 Tonnen antiken Marmor zu
verschiffen. Darunter war das große Markttor von Milet, heute im
Pergamonmuseum in Berlin neben dem Zeus Altar das eindrucksvollste Stück
griechisch-römischer Architektur.
Rund 100 Kilometer nördlich von Milet liegt Ephesos, eine der am besten
erhaltenen antiken Stätten, die vor allem für ihre römischen Bauten
weltweit berühmt ist. Von dem einstigen hellenistischen Weltwunder, dem im
6. Jahrhundert vor unserer Zeit erbauten Artemis-Tempel, ist dagegen nicht
mehr viel übriggeblieben. Nur noch eine einzige wieder aufgerichtete Säule
des Tempels steht verloren in der Landschaft.
Wer mehr sehen will, muss nach London fahren, wo im Britischen Museum die
Funde englischer Archäologen zu besichtigen sind, die Mitte des 19.
Jahrhunderts die Kultstätte regelrecht ausplünderten. Vor Ort im Ephesos
Museum sind dagegen nur noch Kopien der Göttin zu sehen, die zeigen, dass
sich die Griechen damals die anatolischen Muttergöttinnen für ihren
Artemis-Kult zum Vorbild genommen hatten.
## Weltsensationen inclusive
Nach den Briten kamen in Ephesus die Österreicher, die seit Ende des 19.
Jahrhunderts bis heute dort graben und zu Beginn des 20. Jahrhunderts
ebenfalls etliche Antiken nach Wien schafften.
Was den Österreichern Ephesus, ist für die Deutschen Pergamon. Seit 1878
sind hier, in der nördlichen Ägäis, deutsche Archäologen am Werk, bis
heute. Als wir, wieder an einem regnerischen Tag am Fuße des steilen
Burgberges von Pergamon, in der heutigen Stadt Bergama, ankamen, war der
Sessellift mangels Besucher außer Betrieb und wir mussten zu Fuß den
Aufstieg machen – ein schweißtreibender Marsch von einer knappen Stunde,
doch er lohnte sich. Auf dem Gipfelplateau, gestützt durch eine
Unterkonstruktion, stehen die Reste eines großartigen Tempels, der jedoch
nicht Apollon oder Athene gewidmet war, sondern dem römischen Kaiser
Trajan.
Von dem wichtigsten sakralen Bau der hellenistischen Zeit, dem großen
Zeus-Altar, ist dagegen nicht viel mehr als ein Schutthügel übriggeblieben.
Verantwortlich dafür ist ein deutscher Straßenbauingenieur und
Hobbyarchäologe, Carl Humann, der den Burgberg von Pergamon schon um 1870
durchstöberte, als er noch für den Sultan in Konstantinopel das Land
kartografierte damit dort Straßen gebaut werden konnten. Obwohl Humann
schon 1871 zwei spektakuläre Friese an die Berliner Museen geschickt hatte,
wurde man erst 1878 auf seine Funde aufmerksam. Ein neuer Museumschef gab
Humann Geld und grünes Licht für eine archäologische Grabung, von der er
sich Funde für die Berliner Museumsinsel versprach, mit denen man endlich
dem Britischen Museum und dem Louvre in Paris Konkurrenz machen konnte.
Was Humann dann ausgrub, übertraf alle Erwartungen. Die riesigen
Marmorplatten vom zerstörten Zeus-Altar, die den Kampf der Giganten gegen
die Götter zeigen, waren eine Weltsensation. Mit Hilfe der Bestechung
osmanischer Beamter und erheblichem politischen Druck aus Berlin gelang es,
die Marmorfriese vom Burgberg in Pergamon nach Berlin zu schaffen. Die
Rekonstruktion des Zeus-Altars von Pergamon ist bis heute das Kernstück des
gleichnamigen Museums in Berlin.
Noch vor Humann war ein anderer Deutscher ganz im Norden der Ägäis an den
Dardanellen, mit Homer als archäologischer Wünschelrute unter dem Arm
unterwegs, um das antike Troja zu finden. Heinrich Schliemann ließ
schließlich 1870, zunächst ganz ohne Genehmigung, den Hügel von Hisarlik
bis auf den Grund aufgraben. Dabei zerstörte er etliche archäologisch
wertvolle Schichten, aber am Grund des Hügels fand er schließlich dann doch
den sogenannten Goldschatz des Priamos, bis heute einer der wertvollsten
antiken Funde überhaupt. Er schaffte ihn illegal nach Athen und von dort
schließlich als Geschenk an das deutsche Volk nach Berlin. Heute ist der
Goldschatz im Puschkin Museum in Moskau ausgestellt, wohin er am Ende des
Zweiten Weltkrieges von Berlin aus entführt worden war.
Obwohl es heute nicht mehr denkbar wäre, archäologische Funde vom Fundort
zu entfernen, wird eine Rückgabe der Schätze von den großen europäischen
Museen immer noch weitgehend ausgeschlossen. Eine Rekonstruktion des
Zeus-Altars in Pergamon wäre deshalb nur mit Nachbildungen des
Marmorfrieses möglich, was die meisten Archäologen aber ablehnen.
Museumsleute und Archäologen in der Türkei setzen deshalb eher auf
temporäre Ausstellungen und Leihgaben der europäischen Museen.
Der Direktor des Ende 2018 eröffneten Troja Museums am Rande der legendären
Grabungsstätte, Ali Atmaca, sagte im Gespräch mit dem Autor, er hoffe, wenn
schon nicht den Goldschatz aus Moskau dann doch wenigstens die in Berlin
verbliebenen anderen Schliemann-Funde einmal als Leihgabe vor Ort
präsentieren zu können. „Hier, in der Landschaft aus der sie stammen,
wirken sie doch ganz anders“, meint er.
20 Jul 2020
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Türkei
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Schwerpunkt Türkei
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