# taz.de -- Fazit des Forschungsstands in Troja: Troja bleibt der Traum | |
> Ernst Pernicka, Chefausgräber am Hisarlik, einem Hügel an den | |
> Dardanellen, zieht in Istanbul ein Fazit des Forschungsstands in Troja. | |
> Ein Museum wird entstehen, und die Grabungen gehen weiter. | |
Bild: Nach gut 20 Jahren werden die Grabungen in der antiken Stadt Troja im Nor… | |
Wohl keine archäologische Grabung hat in Deutschland und international so | |
viel Interesse, Emotionen und Auseinandersetzungen hervorgerufen wie die am | |
Hügel Hisarlik im Nordwesten der Türkei. Ob die Archäologen es nun wollen | |
oder nicht, noch immer, auch 135 Jahre nach Schliemanns Sensationsfund des | |
"Goldschatzes des Priamos", ist die alles entscheidende Frage, die die | |
Gemüter bewegt: Schleifte hier, in der Ebene der Troas, Achilles den | |
erschlagenen Hektor um die Burgmauern, und wurde hier auf diesem Hügel das | |
hölzerne Pferd, der Geniestreich des Odysseus, zum Verderben der Stadt nach | |
einem zehnjährigen Krieg von den Belagerten selbst hinter die Mauern | |
gezogen? Ist der Siedlungshügel Hisarlik und das ihn umgebende Gelände bis | |
hinunter zur Ägäisküste identisch mit dem Ort, den Homer in der Ilias | |
beschreibt? Hat der Trojanische Krieg tatsächlich stattgefunden, oder | |
entstammte das alles nur der Fantasie des großen antiken Dichters Homer, | |
über dessen Person allein es ja fast genauso viel Mythen und Legenden gibt | |
wie über den Kampf um Troja selbst. | |
Der Mann, der zurzeit die Troja-Homer Frage klären soll, ist Ernst | |
Pernicka. Dabei ist er von Haus aus kein Archäologe, sondern Chemiker, | |
allerdings keiner, der neue Kunststoffverbindungen erforscht, sondern der | |
sich seit seiner Promotion mit der Entwicklung und Anwendung | |
naturwissenschaftlicher Methoden in der Archäologie befasst. Nunmehr | |
Professor für Archäometrie/Archäometallurgie in Tübingen war er von Beginn | |
an Mitglied des Troja-Teams. Nach dem plötzlichen Tod des Grabungsleiters | |
Manfred Korfmann im August 2005 übernahm er 2006 selbst die Leitung der | |
Ausgrabungen. Dass sich kein Archäologe, der in Troja gräbt, dem Mythos | |
dieses Platzes entziehen kann, musste auch Ernst Pernicka bald feststellen. | |
Allein das Pferd, so berichtete er kürzlich in Istanbul, sei immer noch so | |
wirkungsmächtig, dass der für den letzten Hollywood-Streifen "Troja" | |
erstellte Nachbau, der im Zentrum Canakkales, der heutigen modernen Stadt | |
an den Dardanellen, aufgestellt wurde, Besucher anzieht. Die | |
Ausgrabungsstätte selbst besichtigen etwa 500.000 Personen pro Jahr. | |
Obwohl schon Manfred Korfmann, der 1988 nach einer Pause von 50 Jahren, in | |
denen kein Archäologe mehr seinen Spaten an den Hisarlik-Hügel angesetzt | |
hatte, eigentlich mit Homers Troja nichts mehr zu tun haben wollte, sondern | |
an dem legendären Ort eine bronzezeitliche Siedlung jenseits von | |
Mesopotamien und Ägypten erforschte, blieb er doch von der | |
Homer-Kontroverse nicht verschont. Als Korfmann 2001 in einer großen | |
Ausstellung in Deutschland seine Ergebnisse von 14 Jahren neuer | |
Troja-Forschung vorlegte, entzündete sich eine heftige Kontroverse, die an | |
Debatten erinnerte, denen sich Heinrich Schliemann schon Ende des 19. | |
Jahrhunderts stellen musste. | |
Ausgerechnet ein Tübinger Kollege von Korfmann, der Althistoriker Frank | |
Kolb, warf Korfmann damals vor, er präsentiere seine Ausgrabungsergebnisse | |
dem Publikum in irreführender Weise, um den Leuten weiterhin die wenigen | |
Ruinen auf dem Hisarlik-Hügel als historischen Ort des Trojanischen Krieges | |
unterjubeln zu können. Es geht um die Frage, wie groß, reich und wichtig | |
der Ort, an dem nun seit 1870 immer mal wieder gegraben wird, in der späten | |
Bronzezeit (also 1700-1200 v. Chr., der Zeit, in der die meisten Experten | |
den homerischen Krieg um Troja ansiedeln) eigentlich wirklich war. Während | |
Korfmann durch seine Grabungen beweisen zu können glaubte, dass rund um den | |
von Heinrich Schliemann, Wilhelm Dörpfeld und dem US-Amerikaner Carl Bleden | |
ausgegrabenen Burghügel eine große Unterstadt existierte, in der bis zu | |
10.000 Menschen gelebt haben - Troja also eine antike Großstadt war, um | |
deren Kontrolle sich ein großer, längerer Krieg durchaus gelohnt haben | |
könnte -, behauptete Kolb, das Troja der späten Bronzezeit sei nicht mehr | |
als ein Piratennest gewesen und Korfmann nichts weiter als ein zweiter | |
Erich von Däniken der Archäologie. Der Streit wurde in der Öffentlichkeit | |
begeistert aufgegriffen und ist auch heute, bald vier Jahre nach Korfmanns | |
Tod, noch nicht beendet. | |
Ernst Pernicka bestätigt aber jetzt, drei Grabungskampagnen später, den | |
wesentlichen Befund von Manfred Korfmann. In einem Vortrag im | |
Archäologischen Institut in Istanbul präsentierte Pernicka seine | |
Grabungsergebnisse in der Unterstadt Trojas, die Korfmann voll und ganz | |
bestätigen. Gräben, die mit neuesten Methoden aufgespürt wurden, beweisen, | |
dass es eine befestigte Unterstadt gegeben hat, die möglicherweise von der | |
Ausdehnung noch größer war, als Korfmann angenommen hat. Es ist | |
wahrscheinlich, dass dort tausende Menschen gelebt haben. Ob Troja dagegen | |
das große Handelszentrum war, das die Zufahrt ins Schwarze Meer | |
kontrollierte und so großen Reichtum akkumulieren konnte, bezweifelt | |
Pernicka. "Die archäologischen Befunde geben das zumindest bislang nicht | |
her" sagte er im Gespräch mit der taz. "In den Gräbern, die an der | |
Besik-Bucht, dem vermuteten Hafen Trojas, gefunden wurden, gibt es keine | |
Grabbeigaben, die aus dem Schwarzen-Meer-Gebiet stammen." Auch andere | |
Belege für trojanischen Fernhandel fehlten bislang. Fehlt damit der Grund | |
für eine große Schlacht um Troja? Ernst Pernicka kann dies derzeit so wenig | |
abschließend beantworten, wie seine Vorgänger es konnten. Er glaubt aber | |
nicht an einen ersten gigantischen Ost-West-Weltkrieg als Folie für Homers | |
Dichtung. Er geht von damals länger anhaltenden Auseinandersetzungen aus. | |
"Vielleicht waren die Achäer so etwas wie die Wikinger der Bronzezeit." Aus | |
hethitischen Quellen wisse man, dass Achäer Aufruhr in hethitischen | |
Vasallenstaaten - Troja war wohl ein solcher Staat - an der | |
kleinasiatischen Küste geschürt und sie möglicherweise auch überfallen | |
haben. | |
Pernicka will den Geheimnissen Trojas weiter auf den Grund gehen. | |
Meldungen, dass die deutschen Ausgrabungen in Troja 2009 endgültig zu Ende | |
gingen, weist er zurück. "Zwar läuft die Finanzierung über die deutsche | |
Forschungsgemeinschaft im kommenden Jahr aus, aber wir bemühen uns um | |
andere Quellen." Pernicka will auch für 2010 eine Grabungslizenz | |
beantragen, um in den nächsten Jahren die Unterstadt wirklich erforschen zu | |
können. | |
Um die Fragen nach dem Mythos von Troja besser beantworten zu können, setzt | |
Pernicka sich jetzt für eine Idee ein, die schon Korfmann umgetrieben hat. | |
"Neben der Ausgrabungsstätte soll ein großes Troja-Museum entstehen, in dem | |
sowohl der Mythos als auch die Grabungsergebnisse zum Unesco-Weltkulturerbe | |
angemessen präsentiert werden könnten." Die Region würde davon profitieren | |
und ebenso die Forschung, die zusammen mit dem deutschen Team langfristig | |
weitergeführt werden könnte. Derzeit sind zumindest Vorbereitungen für | |
einen Architektenwettbewerb im Auftrag der türkischen Regierung und der | |
Regionalbehörden im Gange. Das Haus, das Pernicka sich vorstellt, soll | |
modernsten Ansprüchen genügen und im weltweiten Museumsranking einen | |
vorderen Platz einnehmen. "Wir denken an den Bilbao-Effekt", sagt Pernicka. | |
Es wäre schön, wenn das gelänge. Das Projekt würde aber auch zur | |
Ernst-Reuter-Initiative für Dialog und Verständigung zwischen den Kulturen | |
passen, die von Frank-Walter Steinmeier und dem nunmehrigen | |
Staatspräsidenten Abdullah Gül ins Leben gerufen wurde. In Canakkale sind | |
jedenfalls alle von der Museumsidee begeistert, und die Stadtverwaltung hat | |
mit einer Manfred-Korfmann-Bibliothek, die den Nachlass an Büchern von | |
Korfmannn beherbergt, schon mal einen Anfang gemacht. | |
Bis es so weit ist, muss Pernicka sich aber schon wieder mit dem Mythos | |
herumschlagen. Sehr zu seinem Ärger und dem fast aller anderen Fachleute | |
macht derzeit ein Buch Furore, in dem der Autor Raoul Schrott angeblich | |
beweist, dass Troja keineswegs an den Dardanellen lag, sondern viel weiter | |
östlich, in Kilikien, und Homer ein Schreiber in Diensten der Assyrer war. | |
Von Istanbul aus flog Pernicka deshalb gleich am nächsten Tag nach Wien, um | |
sich dort im Burgtheater einer Diskussion mit seinem österreichischen | |
Landsmann, dem Schriftsteller Raoul Schrott zu stellen, der auch eine neue | |
Fassung der Ilias von Homer veröffentlicht hat. | |
15 Dec 2008 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
## TAGS | |
Türkei | |
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