# taz.de -- Antikes Erbe aus dem Mittelmeerraum: Der Weg des Pergamonaltars | |
> Wie kam das Monument einst nach Deutschland? Laut offizieller Version | |
> völlig legal – tatsächlich war politischer Druck im Spiel. | |
Bild: Teilnehmer der Ausgrabungen um 1880 in Pergamon: Carl Humann und Richard … | |
Der Pergamonaltar im gleichnamigen Museum in Berlin ist eines der | |
bekanntesten antiken Monumente in Deutschland. Glaubt man der offiziellen | |
Version der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, zu deren | |
Verantwortungsbereich die Berliner Museumsinsel gehört, war der Abtransport | |
der wertvollen Altarplatten, eines der berühmtesten Kunstwerke der | |
griechischen Spätantike, völlig legal und moralisch einwandfrei. | |
Ganz anders äußern sich türkische Historiker, die oft pauschal den | |
Abtransport des Pergamonaltars als größten Kunstraub am Ende des | |
Osmanischen Reichs bezeichnen. Beide Positionen sind so nicht haltbar. | |
Der Abtransport des größten Teils der einmaligen Altarfriese war zumindest | |
auf dem Papier legal. Während der später in Deutschland gefeierte Ausgräber | |
Carl Humann die ersten sechs bis acht Altarplatten tatsächlich ohne jede | |
Genehmigung illegal auf dem Burgberg von Pergamon ausgegraben und teilweise | |
auf eigene Kosten nach Berlin geschickt hatte, war die große deutsche | |
Pergamon-Grabung ab September 1878 offiziell genehmigt. | |
Allerdings unter einem bedeutenden Vorbehalt. Nach osmanischem Recht, einer | |
Antikenverordnung aus dem Jahr 1874, die also vier Jahre vor Grabungsbeginn | |
erlassen wurde, galt für ausländische Grabungen eine Drittelregelung. Ein | |
Drittel der Funde sollte dem Ausgräber gehören, ein Drittel dem | |
Landeigentümer und ein Drittel war dem Sultan, also dem Imperialen Museum | |
in Konstantinopel, vorbehalten. | |
## Vorislamisches Erbe | |
Die in Deutschland, aber auch in Großbritannien und Frankreich, den beiden | |
größten Konkurrenten im Wettlauf um die antike Beute im Osmanischen Reich, | |
sehr populäre Erzählung, das islamische Reich hätte sich für das | |
vorislamischen Erbe sowieso nicht interessiert, ist eindeutig falsch. | |
Bereits seit den 1850er Jahren, nachdem Briten und Franzosen vor allem im | |
damals osmanisch kontrollierten Mesopotamien die Hinterlassenschaften der | |
Assyrer geplündert hatten, versuchte der Hof per Gesetz seine Antiken zu | |
schützen. Zunächst völlig unzulänglich, doch nachdem Schliemann 1873 sein | |
„Gold des Priamos“ aus Troja illegal nach Griechenland gebracht hatte, | |
begann der osmanische Antikendienst seine Ansprüche verstärkt gegen | |
ausländische Archäologen durchzusetzen. | |
Deshalb war sich Carl Humann, Ingenieur, Hobbyarchäologe und deutscher | |
Patriot von Beginn an im Klaren, dass ein Erfolg seiner [1][Grabung am | |
Burgberg von Pergamon] nur mit großer Unterstützung von allerhöchster | |
Stelle im Deutschen Reich gelingen konnte. | |
Als er am 9. September 1878 den Spaten zu einer der erfolgreichsten | |
Grabungen für die Berliner Museen ansetzte, hielt er eine kurze Rede, um | |
dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm das große Vorhaben zu widmen: „Im Namen | |
des Protektors der königlichen Museen des glücklichsten, allgeliebten | |
Mannes, des nie besiegten Kriegers, des Erben des schönsten Thrones der | |
Welt, im Namen unseres Kronprinzen: Möge dieses Werk zu Glück und Segen | |
gedeihen.“ | |
## Pergamon und Troja | |
Damit war der Ton gesetzt. Anders als Heinrich Schliemann, der zehn Jahre | |
zuvor als reicher Selfmademan begonnen hatte sich seinen Traum von Troja zu | |
erfüllen, war Carl Humann, der es als Straßenbauingenieur im Osmanischen | |
Reich zwar zu Anerkennung gebracht, als Unternehmer aber Insolvenz hatte | |
anmelden müssen, finanziell und politisch von Berlin völlig abhängig. | |
Auch seine anfänglichen archäologischen Defizite mussten Spezialisten aus | |
Berlin ausgleichen. Umso dankbarer war Humann, dass der damalige Chef der | |
Antikenabteilung der Berliner Museen, Alexander Conze, auf ihn als | |
Ausgräber vor Ort setzte. | |
Und Humann erfüllte dessen Erwartungen voll und ganz. Schon in der ersten | |
Woche seiner offiziellen Grabungen auf dem Burgberg der Attaliden-Dynastie | |
war er unglaublich erfolgreich. Die Attaliden, die im zweiten und ersten | |
Jahrhundert vor unserer Zeit als einer der Nachfolgestaaten in dem von | |
Alexander dem Großen eroberten Anatolien/Kleinasien eine Zeitlang ein | |
großes Gebiet im Nordwesten der heutigen Türkei kontrollierten, waren die | |
Auftraggeber des Pergamonaltars. | |
Humann knüpfte an frühere Raubgrabungen an, bei denen er in den zehn Jahren | |
zuvor immer mal wieder illegal einige Friesplatten ausgegraben und nach | |
Berlin geschickt hatte, und fand in einer byzantinischen Mauer mehr als ein | |
Dutzend der wertvollen Altarplatten, die dort mit dem Relief nach innen | |
verbaut worden waren. | |
## Ganze Kunstepoche gefunden | |
Triumphierend schrieb er an Conze: „Wir haben nicht nur ein Dutzend | |
Reliefs, sondern eine ganze Kunstepoche, die begraben und vergessen war, | |
aufgefunden.“ Doch Humann wusste, dass die Wiederentdeckung des | |
Altarreliefs, das Conze schon bald als Teil eines in der gesamten antiken | |
Welt berühmten Zeusaltars identifiziert hatte, nur der erste Teil der | |
„Operation Pergamonaltar“ war. | |
An Conze schrieb er: „Nun zur Hauptsache! Wie kommt alles nach Berlin!“ | |
Nach dem Gesetz, mit dem Humann in seinen Briefen immer wieder haderte, | |
standen den Deutschen ein Drittel ihrer Funde zu. Sowohl Humann als auch | |
dem Berliner Museumsdirektor Conze und seinen Geldgebern war aber klar, | |
dass sie alles dafür tun mussten, „sich den Altar in Gänze zuzusichern“. | |
Wie den Deutschen das letztlich gelang, geht vor allem aus dem Briefwechsel | |
zwischen Carl Humann und seinem Auftraggeber Alexander Conze hervor, der im | |
Nachlass von Humann im Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts in | |
Berlin nachzulesen ist. Dazu kommen neuere Forschungen türkischer | |
Historiker im Osmanischen Archiv in Istanbul. | |
## Illegal außer Landes | |
Im Überschwang seines Erfolgs schlug Humann zunächst vor, alle Funde des | |
ersten Monats, „bevor sie überhaupt ruchbar werden“, gleich illegal außer | |
Landes zu bringen. Doch Conze dachte strategischer und machte Humann klar, | |
dass Berlin, einschließlich des Kronprinzen persönlich, bereit sei Geld zur | |
Verfügung zu stellen, um die Sache scheinbar legal zu regeln. | |
Er spricht von „auskömmlichem Bakschisch“, ein Synonym für | |
Bestechungsgelder für osmanische Amtsträger, um sich zu dem ihnen offiziell | |
zustehenden Drittel auch das zweite Drittel des Landeigentümers, in diesem | |
Fall des osmanischen Staats, zu sichern. | |
„Sie können schon sicher davon ausgehen, dass die Mittel herbeigeschafft | |
werden, um von dem Altar möglichst viel für das Königliche Museum zu | |
gewinnen, für dessen Antikensammlung durch sie eine neue Epoche beginnt. | |
Wir sind ganz überzeugt, dass sie das Mögliche erreichen werden, aber auch | |
ohne Vorwürfe resigniert, wenn Sie doch einen Theil der Beute fahren lassen | |
müssten“, schrieb Conze am 28. September 1878 an Humann. | |
Am Ende gelingt es Humann durch Bestechung, den Deutschen auf dem Papier | |
den Landbesitz für die Dauer der Grabung zu sichern und so das zweite | |
Drittel anzueignen. Doch Conze und Humann sind noch nicht zufrieden. Sie | |
wollen auch das dritte Drittel und nutzen dafür die permanente Geldnot des | |
bankrotten Osmanischen Reichs. | |
## Der Weg des Pergamonaltars nach Berlin | |
Mit einer Schenkung für die Ansiedlung von Flüchtlingen aus dem Balkan, die | |
während des Russisch-Osmanischen Kriegs im Jahr zuvor vertrieben worden | |
waren, sicherte sich das Kaiserreich offiziell auch das dritte Drittel. | |
Erst einmal für das erste Grabungsjahr, durch eine neuerliche Zahlung im | |
Vorfeld der zweiten Grabungskampagne dann aber auch bis 1883. In dieser | |
Zeit wurde der überwiegende Teil des Pergamonaltars nach Berlin geschafft. | |
Es war aber nicht nur das Geld, dass den Abtransport des antiken Kunstwerks | |
möglich machte, es war vor allem die politische Situation, in der sich das | |
Reich von Sultan Abdülhamit II. befand. Zusätzlich zum wirtschaftlichen | |
Zusammenbruch, der 1875 erfolgt war, kam ein verlorener Krieg gegen | |
Russland 1877. | |
Durch einen zunächst von den Russen durchgesetzten Diktatfrieden, sollten | |
die Osmanen ihren gesamten Balkanprovinzen an Petersburg abtreten. Das aber | |
wollten die anderen europäischen Großmächte, allen voran Großbritannien und | |
Frankreich, verhindern. Im Juni 1878 richtete deshalb der deutsche | |
Reichskanzler Bismarck als „neutraler“ Gastgeber einen europäischen | |
Kongress aus, bei dem Russland gezwungen wurde, auf einen großen Teil | |
seiner Kriegsbeute zu verzichten. Der Sultan stand deshalb tief in | |
deutscher Schuld. | |
Das machte sich eben auch bei dem Erwerb der in Europa so begehrten antiken | |
Kunstwerke bemerkbar. In den Jahren zuvor, 1874 und 1875, hatte Deutschland | |
bereits zweimal eine Grabungserlaubnis für Pergamon beantragt, die jedes | |
Mal nur mit der ausdrücklichen Auflage genehmigt werden sollte, dass nur | |
Gipsabdrücke und Fotografien der Funde aus dem Land ausgeführt werden | |
dürfen. Beide Male verzichtete das Deutsche Reich dankend auf die Grabung. | |
Erst unmittelbar nach Bismarcks Intervention im Juni/Juli 1878, bekamen die | |
Deutschen im August 1878 eine Grabungserlaubnis, die eine Fundteilung | |
vorsah, die dann in der beschriebenen Weise auch noch unterlaufen wurde. | |
Ohne den politischen Druck und die finanzielle Not wäre ein Abtransport der | |
Altarfriese nie genehmigt worden, ist der renommierte türkische Historiker | |
İlber Ortaylı überzeugt. | |
Doch der Abtransport des Pergamonaltars war erst der Anfang. Die Allianz | |
von Kaiser Wilhelm II. und Sultan Abdülhamit II. gegen die Dominanz von | |
Briten und Franzosen und die Bedrohung durch den Zaren machte es den | |
deutschen Archäologen seit dem ersten Besuch Wilhelms II. in Konstantinopel | |
1888 bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs möglich, die wichtigsten | |
Grabungsplätze an der Ägäisküste, in Zentralanatolien und an Euphrat und | |
Tigris zu besetzen und nach dem Pergamonaltar noch weitere Schmuckstücke | |
der Museumsinsel nach Berlin zu schaffen. | |
## Milet-Tor und Ischtar-Tor | |
Die Tempelsäulen aus Priene, das Milet-Tor und die glasierten Ziegel für | |
die Rekonstruktion des Ischtar-Tors und der Prozessionstraße von Babylon | |
sind nur die bekanntesten antiken Kunstwerke, die die Deutschen in dieser | |
Zeit mit ebenso unlauteren Mitteln wie in Pergamon außer Landes schafften. | |
Der Abtransport all dieser antiken Kunstwerke ist [2][ein großer | |
kultureller Verlust für die heutige türkische Republik], insbesondere für | |
den säkularen Teil der Gesellschaft, der das kulturelle Fundament nicht nur | |
im Islam sieht. | |
Deshalb sollte heute auch über die Konsequenzen aus dem damaligen Beutezug | |
der europäischen Großmächte zur Aneignung des antiken ägyptischen, | |
mesopotamischen, griechischen und römischen Erbes rund ums Mittelmeer | |
gesprochen werden. [3][Nicht nur konfrontativ im Sinne von Restitution] – | |
ja oder nein, sondern erst einmal darum, wie man diese Kunstwerke aus dem | |
Griff des „nationalen Besitzes“ befreit und sie für möglichst viele | |
Menschen in den Herkunftsländern und in Europa zugänglich macht. | |
29 Sep 2021 | |
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## AUTOREN | |
Jürgen Gottschlich | |
Dilek Zaptcioglu | |
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