| # taz.de -- Troja-Museum in der Türkei: Der westlichste Vorposten Anatoliens | |
| > Das Gebäude wirkt neben der berühmten Ausgrabungsstätte wie ein | |
| > Fremdkörper. Doch ist es das gelungenste Museum in der Türkei. | |
| Bild: Auf den Etagen wird die Grabungsgeschichte des Areals nebenan von unten n… | |
| Çanakkale taz | Auf den ersten Blick ist man irritiert. Inmitten von | |
| Olivenbäumen und grünen Feldern, auf denen die Winteraussaat gerade zu | |
| sprießen beginnt, erhebt sich ein rostroter, quadratischer Monolith rund 50 | |
| Meter hoch über die Landschaft. Ein Fremdkörper, der umso abweisender | |
| wirkt, weil sich statt großer Fenster nur schmale Schießscharten nach außen | |
| öffnen. | |
| Erst wer den Zusammenhang zwischen dem rostroten Turm und dem nur wenige | |
| Hundert Meter entfernt liegenden weltberühmten Ausgrabungshügel von Troja | |
| herstellt, kann erahnen, dass der Turm so etwas wie eine abstrakte Version | |
| eines der antiken Wehrtürme von Troja darstellen könnte. | |
| Tatsächlich beherbergt der Turm das neue Troja-Museum, das Ende letzten | |
| Jahres am Grabhügel an den Dardanellen eröffnete wurde. Es ist das mit | |
| Abstand gelungenste Museum der Türkei. Wo das Grabungsareal, in dem | |
| Heinrich Schliemann 1870 erstmals seinen Spaten ansetzte, um Homers Epos | |
| vom Trojanischen Krieg archäologisch zu untermauern, dem Besucher bis heute | |
| vor allem Rätsel aufgibt, gibt das neue Museum Antworten. | |
| Noch immer nicht über die am meisten diskutierte Frage, ob Homers | |
| Trojanischer Krieg wirklich so stattgefunden hat wie vom Dichter | |
| beschrieben, aber auf die Fragen, wie Troja in den rund 2.000 Jahren, in | |
| denen die Stadt – von 3000 bis 1000 vor unserer Zeitrechnung – ihre | |
| Blütezeit hatte, ausgesehen hat. | |
| ## Eine geniale Simulation der Ausgrabungsstätte | |
| In welchen Häusern haben die Menschen dort gelebt? Wie war die Stadt | |
| befestigt? In welcher Sprache haben sich Hektor und Achill beschimpft? Und | |
| warum war die Stadt Troja in ihrer langen Geschichte so oft umkämpft, dass | |
| die Archäologen mittlerweile mehr als zehn Schichten nachweisen können, in | |
| denen die Stadt durch Krieg, Feuer oder Erdbeben zerstört und immer wieder | |
| von Neuem aufgebaut wurde? | |
| Das Troja-Museum simuliert in geradezu genialer Weise die Ausgrabungsstätte | |
| nebenan. In den einzelnen Etagen des Turms sind die Grabungsschichten des | |
| benachbarten Hügels von unten nach oben nachgestellt. Man betritt das | |
| Gebäude über eine Rampe, die tief in die Erde führt. Die ersten zwei Etagen | |
| des Museums liegen unter den Feldern und Olivenbäumen und beschäftigen sich | |
| mit dem Beginn der Besiedlung der Region insgesamt und dem des Burghügels | |
| im Besonderen. | |
| Erste Spuren einer dichteren städtischen Besiedlung des Burgberges stammen | |
| aus dem Jahr 2920 v. u. Z. Die Archäologen nennen die ersten tausend Jahre | |
| von Troja die maritime Phase, weil die Menschen damals hauptsächlich vom | |
| Fischfang lebten. Diese Zeit entspricht den Schichten Troja I bis III. Man | |
| findet Hinweise auf größere Tempelbauten und Herrschaftshäuser, ab Troja II | |
| wird die Keramik auf Töpferscheiben hergestellt, und es gibt gewebte | |
| Textilien. | |
| Selbst filigraner Schmuck wurde bereits hergestellt. Schliemanns | |
| Goldschatz, den er fälschlicherweise als „Schatz des Priamos“ bezeichnete | |
| und der heute im russischen Puschkin-Museum gehütet wird, stammt von vor | |
| 2000 v. u. Z. und ist damit rund tausend Jahre älter als der Trojanische | |
| Krieg. | |
| ## Sprechende Exponate | |
| Von Troja IV bis VIIa reicht die Phase der trojanischen Hochkultur. Ab 1300 | |
| v. u. Zt. hatte die Stadt ihre größte Ausdehnung und könnte als Troja VI | |
| bis zu 30.000 Bewohner beherbergt haben. Diese Phase endet damit, dass die | |
| Stadt um 1180 v. u. Z. vermutlich durch einen Krieg komplett zerstört wurde | |
| und danach nie wieder die Bedeutung erlangte, die sie in den 500 Jahren | |
| davor gehabt hatte. Ob dieser Krieg tatsächlich ein griechischer Angriff | |
| war, der homerische Trojanische Krieg also, wissen wir nicht, aber es | |
| spricht einiges dafür, dass das Epos einen historischen Kern hat. | |
| Deshalb tauchen die bekannten Figuren der „Illias“ auf der dazugehörigen | |
| Museumsebene auch alle auf und sprechen den Besucher sogar direkt an. | |
| Allerdings antworten Hektor wie Achill bei diesem interaktiven | |
| Ausstellungsstück auf Türkisch, während sie tatsächlich Luwisch und | |
| Griechisch sprachen. Denn was im Museum sehr anschaulich dargestellt wird, | |
| ist die politische und ökonomische Einbettung Trojas im Mittelmeerraum der | |
| Bronzezeit und die exponierte Lage der Stadt. | |
| Ab 1500 v. u. Z. waren die dominierenden Großmächte am östlichen Mittelmeer | |
| die Ägypter, die Hethiter, die Assyrer und Babylonier in Mesopotamien und | |
| die Minoer auf Kreta, die 1400 v. u. Z. von den Mykenern, den Helden | |
| Homers, im Westen des gesamten östlichen Mittelmeerraumes abgelöst wurden. | |
| Troja war dagegen der westlichste Vorposten Anatoliens und kontrollierte | |
| mit den Dardanellen die Verbindung zwischen dem Mittelmeer und dem | |
| Schwarzen Meer, also den Seeweg von Europa nach Zentralasien. Diese Lage | |
| war der Schlüssel für Trojas Reichtum und der Grund für die Angriffe auf | |
| die Stadt. | |
| In seiner Blütezeit, den letzten 300 Jahren vor seiner endgültigen | |
| Zerstörung, war Troja mit den Hethitern verbündet oder ein hethitischer | |
| Vasallenstaat. Gesprochen wurde in Troja deshalb wie in weiten Teilen des | |
| hethitischen Vielvölkerreichs vermutlich Luwisch, eine Sprache, die in ganz | |
| Westanatolien verbreitet war. | |
| ## Eigentlich ein deutsches Projekt | |
| Man weiß heute, dass der Trojanische Krieg Teil einer weit größeren Zäsur | |
| im östlichen Mittelmeer gewesen ist. Im Zeitraum von hundert Jahren, von | |
| 1250 bis 1150 v. u. Z., am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit, wurde | |
| nicht nur Troja zerstört. Auch auch die Hauptstädte aller anderen | |
| dominierenden Mächte außer Ägypten, einschließlich der Paläste in Mykene | |
| und Kreta, also den Hochburgen der griechischen Sieger Homers, fielen | |
| Kriegen zum Opfer. | |
| Sollten die Griechen Troja vernichtet haben, sind sie ihres Sieges | |
| jedenfalls nicht froh geworden. Danach begann im östlichen Mittelmeer eine | |
| knapp 400 Jahre anhaltende „dunkle Phase“, eine Zeit zivilisatorischer | |
| Rückschritte – in Griechenland geriet sogar die Schrift in Vergessenheit –, | |
| die erst um 800 v. u. Z. zu Ende ging. | |
| Verantwortlich für die hervorragende Präsentation dieser Geschichte sind | |
| der Direktor des Troja-Museums, Ali Atmaca, und der derzeitige | |
| Chefausgräber in Troja, Rüstem Aslan. Troja ist ja die deutsche | |
| archäologische Grabung überhaupt. Von 1871 bis 1890 grub hier Schliemann, | |
| ab 1894 bis 1924 sein früherer Mitarbeiter Wilhelm Dörpfeld. Von 1932 bis | |
| 1938 hatte der Amerikaner Carl Blegen ein kurzes Intermezzo in Troja, ab | |
| 1988 übernahm wieder ein deutscher Archäologe, Manfred Korfmann. | |
| Als Korfmann 2005 überraschend starb, setzte die Uni Tübingen die Grabungen | |
| noch einige Jahre fort. Ab 2013 übernahm dann erstmals ein türkischer | |
| Archäologe, Rüstem Aslan, die Verantwortung. Doch die Kontinuität ist | |
| gesichert. Aslan ist ein Schüler Korfmanns und hat lange mit diesem in | |
| Troja zusammengearbeitet. Ursprünglich war das Museum eine Idee Korfmanns, | |
| der davon träumte, alle Troja-Funde direkt an der Grabungsstätte | |
| präsentieren zu können. | |
| ## Alles original | |
| Tatsächlich, sagt Aslan, „ist das Troja-Museum viel größer geworden, als | |
| Korfmann es sich je vorgestellt hat“. In gewisser Weise hat das Museum eine | |
| ähnliche Funktion wie das ebenfalls erst vor zehn Jahren neu eröffnete | |
| [1][Akropolis-Museum] in Athen. Es soll demonstrieren, dass nun die | |
| räumlichen und wissenschaftlichen Voraussetzungen geschaffen sind, um alle | |
| Artefakte aus Troja an Ort und Stelle angemessen präsentieren zu können. | |
| Allerdings: So wie das Akropolis-Museum erst vollständig wäre, wenn die | |
| Teile des Tempelfrieses, die heute noch im Britischen Museum ausgestellt | |
| werden, wieder nach Athen zurückgekehrt sind, leidet auch das Troja-Museum | |
| daran, dass viele Funde in deutschen, russischen und amerikanischen Museen | |
| landeten. „Natürlich hätten wir diese Stücke gerne zurück“, sagt Direkt… | |
| Ali Atmaca, aber er weiß, dass die Chancen dafür gering sind. Sich mit | |
| Nachbildungen zu behelfen, lehnt Rüstem Aslan dennoch ab: „Auf der | |
| Grabungsstätte ist jeder einzelne Stein original, und auch ins Museum | |
| kommen nur Originale. Wenn man Repliken aufstellt, signalisiert man ja, | |
| dass man mit Repliken zufrieden ist“. | |
| Aslan hat in Deutschland schon einmal informell angefragt, ob vielleicht | |
| eine Leihgabe für begrenzte Zeit möglich wäre, er ist aber auf Ablehnung | |
| gestoßen. Trotzdem, auch ohne diese Originale kommt man aus dem | |
| Troja-Museum klüger heraus, als man hineingegangen ist. | |
| 25 Jan 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Neubau-des-Athener-Akropolis-Museums/!5161166 | |
| ## AUTOREN | |
| Jürgen Gottschlich | |
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