# taz.de -- Neubau des Athener Akropolis-Museums: "Ich baue keine Mausoleen" | |
> Der Architekt Bernhard Tschumi hat das Akropolis-Museum in Athen | |
> entworfen. Ein Gespräch über den Neubau, die Gefahr von Masterplänen und | |
> Gebäude-Solitären. | |
Bild: "Ich bin an Architektur interessiert, die Identität schafft." Architekt … | |
taz: Herr Tschumi, trotz der Säulentempel-Klischeebilder von Athen steht | |
Ihr Akropolis-Museum in einer ansonsten gesichtslosen Stadt. Soll ein | |
Solitär das Profil Athens schärfen? | |
Bernhard Tschumi: Ich sehe das Museum - bis auf die Größe - nicht als | |
Solitär. Im Umfeld stehen Häuser aus den 50er- und 60er-Jahren. Wir haben | |
genau die gleiche Höhe wie die umliegenden Gebäude. Nur die Glasgalerie, | |
die Pantheon-Halle auf dem Dach, ist 5 Meter höher. Steht man in der Halle, | |
sieht man also zur einen Seite über die Dächer und zur anderen zur 300 | |
Meter entfernten Akropolis hoch. Zu keinem Zeitpunkt wollten wir die Stadt | |
überflügeln. | |
Und die Pantheon-Halle hat die gleiche Größe wie der weltberühmte | |
Pantheon-Tempel auf der Akropolis? | |
Sie ist ein bisschen größer. Der Fries läuft als Band über die vier Seiten | |
im inneren Kubus und die Säulen davor sind im Originalabstand zum Fries. Im | |
Pantheon auf der Akropolis sind sie die "Außenwände". Wir haben einen | |
Glaskasten über das gesamte Ensemble gesetzt, der logischerweise größer | |
ist. | |
Der ist einer der Eyecatcher - ähnlich beeindruckend ist der Eingang und | |
der innere Treppenaufgang. Wie wichtig ist so eine Inszenierung für | |
Architektur, die das Potenzial zur Ikone hat? | |
Ich mag das Wort "Ikone" nicht. Da geht es um Image und Oberfläche. Ich bin | |
weit mehr an Architektur interessiert, die Identität schafft. Zu viele | |
Ikonen zerstören Ikonen. In Schanghai zum Beispiel versucht jedes Gebäude | |
eine Ikone zu sein - das hat keinen Sinn. | |
Wer ein Projekt wie das in Athen annimmt, muss also den egozentrischen | |
Architekten, der Selbstverwirklichungsgebäude schafft, außen vor lassen? | |
Sind Sie so bescheiden? | |
Jede Architektur - ab einer bestimmten Größe - hat etwas Überwältigendes | |
und kann als "egozentrisch" phrasiert werden. Das Thema ist aber nicht, zu | |
überwältigen, sondern die Feststellung, die man damit trifft. Das | |
Akropolis-Museum ist ein Statement zu einer Idee - der Glaspavillon im | |
Dialog mit der Akropolis, die Wandelhalle als Inszenierung für die Statuen. | |
Mit anderen Worten: Ich als Architekt bin derjenige, der Fragestellungen | |
aufnimmt und Lösungen schafft. | |
Ich glaube nicht, dass es bescheidene Architektur im öffentlichen Raum | |
gibt, und demzufolge gibt es auch keine bescheidenen Architekten. | |
Ich baue nicht für mich selbst. Ich werde in Projekten immer versuchen, | |
rücksichtslos, objektiv zu sein. Da kann ich nur für mich sprechen. Wenn | |
ich einmal die verschiedenen Situationen begriffen habe, ihr Potenzial und | |
ihre Probleme, dann beginne ich mit dem Design und setze dieses Wissen um. | |
Erst sehr, sehr spät kommt meine subjektive Sicht in den Entwürfen zum | |
Tragen. Ich halte mich lieber zu lange zurück, als zu früh emotional zu | |
werden. | |
Ist es denn nicht verführerisch, von Anfang an "rücksichtslos" zu | |
entwerfen? | |
Das wäre unglaublich zügellos. Ich baue keine Mausoleen für mich selbst. | |
Ich weiß, dass Architektur nicht unschuldig ist. Architektur kann Menschen | |
zusammenbringen, kann sie aber genauso gut isolieren. Ich muss wissen, was | |
ich tue. Das ist für mich die wichtigere Frage, als zu wissen, wie es | |
aussieht. | |
Ist das einer der Gründe, warum Architekten erst ab einem bestimmten Alter | |
große Projekte kriegen? | |
Ich bin mir ganz sicher, dass man brillante Projekte schon in jungen Jahren | |
realisieren kann. Es hilft natürlich, wenn man schon ein paarmal um die | |
Häuser gezogen ist. Um es mal so lapidar auszudrücken. | |
Sie haben das gleiche Stigma wie Zaha Hadid: Sie galten beide als ungebaute | |
Architekten. Großartige Entwürfe, gewonnene Wettbewerbe, aber nichts ist | |
realisiert. | |
Zaha Hadid ist sechs Jahre jünger - aber wir sind aus einer Generation, man | |
nannte uns die "Papier-Architekten". Jeder war begeistert von den | |
Entwürfen, und fast jeder hat kommentiert: "Das wird nie gebaut." Die | |
Architekten der älteren Generation, die in den 80er-Jahren sehr gefragt | |
waren, hatten damals gerade die Vergangenheit entdeckt und sich fast alle | |
mit dem 18. und 19. Jahrhundert auseinandergesetzt. Das Ergebnis sieht man | |
heute übrigens sehr deutlich in Berlin. Wir waren damals schlicht zu | |
visionär. | |
Warum reagieren Menschen so emotional und oft so ablehnend auf neue Wege in | |
der Architektur? | |
Es ist wie in der Politik. Die, die am lautesten sind, die sich dauernd | |
äußern, sind nicht unbedingt die, die sich am besten auskennen. Beim | |
Akropolis-Museum hat es 104 Gerichtsverfahren gegeben, um das Gebäude | |
aufzuhalten. Zu einigen kam es durch Bewohner von Häusern, die abgerissen | |
werden mussten. Die konnte ich ja verstehen. Andere wurden durch | |
Archäologen angestrengt, die Angst vor der Vernichtung von Artefakten | |
hatten. Es gab zwei Lager: Ist das nicht toll, so eine Bühne zu schaffen, | |
die Altes und Neues verbindet. Das andere Lager wollte nur bewahren. Die | |
wollten das Museum in der Nähe des Flughafens gebaut wissen. Und natürlich | |
die Politiker, die nicht wollten, dass sie Entscheidungen einer abgewählten | |
Regierung umsetzen müssen, und schon aus Prinzip dagegen waren. | |
Das scheint manchmal ein Reflex zu sein. | |
Ja, wenn es grundlegende Veränderungen gibt, wie es historisch betrachtet | |
etwa die Einführung der Eisenbahn war, und damit einhergeht, dass Bahnhöfe | |
aus gigantischer Stahlarchitektur entstehen, dann sind sehr viele Menschen | |
darüber unglücklich. Den Eiffelturm haben die meisten gehasst. In anderen | |
Worten: Wenn etwas einen historischen Sprung markiert und nicht evolutionär | |
in kleinen Schritten passiert, dann macht das Angst. Außerdem werden | |
natürlich Gebäude, die eine überdimensionale Größe jenseits von | |
Einfamilienhäusern haben, viel kritischer betrachtet. Aber sie geben einer | |
Stadt eben einen besonderen Charakter. Pläne aus dem antiken Rom | |
veranschaulichen das. Viele kleine Häuser und daneben öffentliche Plätze | |
und Gebäude, die die Dimensionen komplett sprengen. Die Piazza Navona ist | |
total überdimensioniert. Und das ist es, was Rom ausmacht. | |
Sie sprechen sogenannte "Masterpläne" an, wie sie in der Moderne Corbusier | |
1925 für Paris entworfen hat. Aktuell werden in China Städte aus einer | |
Architektenhand aus dem Boden gestampft. Ist das ein Konzept für die | |
Zukunft? | |
Nein. Ein Architekt sollte so oft wie möglich das Gegenteil von dem machen, | |
was von ihm verlangt wird. Heute wollen Regierungen und Investoren die | |
Sicherheit des ökonomischen Mehrwerts. Architekten sollen die Basis dafür | |
liefern, Pakete aus Design, Mach- und Finanzierbarkeit schnüren. Die | |
wirklich wichtigen Entscheidungen werden getroffen, bevor der Architekt ins | |
Spiel kommt. Mir wäre es umgekehrt viel lieber. Nicht für die | |
Voraussetzungen einen Entwurf zu schaffen, sondern mit dem Entwurf die | |
Voraussetzungen. Das würde eine Architektur schaffen, die einen Bestand | |
über Generationen garantiert. | |
Lassen Sie uns über Architektur und Moral sprechen. Großprojekte und | |
Megastädte aus einer Hand sind bestes Beispiel für die Omnipotenzgefühle | |
einzelner Architekten. | |
Wenn ich in Peking bei Diskussionen nachfrage, was für das urbane Leben der | |
Einwohner gemacht wird, wenn ich nachhake, um zu erfahren, was es für die | |
Menschen bedeutet, wenn ganze Viertel zerstört werden, um Hochhäuser zu | |
errichten, dann sorgen schon die Fragen für Irritation. Und als Antwort | |
kommt etwas später: Machen Sie sich keine Sorgen um die zwölfspurigen | |
Straßen und die Gebäude mit 25 Stockwerken. In 20 Jahren reißen wir sie | |
wieder ein. Es sind sehr oft die Bauherren, die dem Architekten eine Art | |
Spielwiese bieten, die, wenn man eitel ist, allzu verführerisch wirkt. | |
Warum wird Architektur zum Wegwerfprodukt? | |
Viel Architektur sollte sowieso verschwinden, weil sie schlecht ist. Und | |
dann haben Gebäude in manchen Wirtschaftsplänen gerade mal einen Zeitwert | |
von 20 Jahren. Dann haben sie sich finanziert und den erwünschten Profit | |
gebracht. Ökonomisch logisch. Ich bin Architekt, kein Entwickler, kein | |
Banker. Aber ich muss an bestimmten Punkten wissen, wie sie denken. | |
Manhattan ist aus Gier gebaut, und trotzdem findet sich dort | |
architektonische Intelligenz. In Schanghai, Mumbai und Dubai leben die | |
treibenden Mächte aber von kurzfristigen Kicks. Das wird an vielen | |
architektonischen Beispielen lesbar. Wir arbeiten gerade an einem Projekt | |
in Santo Domingo für 40.000 Menschen. Die Basis ist natürlich das | |
ökonomische Interesse. Wir bauen über 25 Jahre, das heißt, ich musste eine | |
Strategie entwickeln, die greift, auch wenn es mich nicht mehr gibt. Die | |
Sinn hat, selbst wenn sich die Grundlage, warum diese Stadt entsteht, | |
komplett verändert. Und hier schließt sich der Kreis: Manhattan ist aus | |
Gier, aber auch mit einer urbanen Strategie entstanden - das wird | |
heutzutage oft vergessen. Strategien jenseits einer schnellen | |
Bedürfnisbefriedigung sind in narzisstischen Zeiten schwer zu entwickeln. | |
19 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Andreas Toelke | |
## TAGS | |
Architektur | |
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