| # taz.de -- Literatur in Corona-Zeiten: „Anders denken hilft allen“ | |
| > Mit „Viral“ hat Donat Blum, Initiator der queeren Literaturzeitschrift | |
| > Glitter, in nur wenigen Tagen ein digitales Literaturfestival gegründet. | |
| Bild: „Viral“-Gründer und Schriftsteller Donat Blum | |
| taz: Herr Blum, Sie haben in kurzer Zeit das digitale Literaturfestival | |
| „Viral“ organisiert. Wie ging das so schnell? | |
| Donat Blum: Ich wollte so was schon lange machen. Wenn ich für meinen | |
| Debüt-Roman „Opoe“ keinen Verlag gefunden hätte, hätte ich ihn auf YouTu… | |
| veröffentlicht. Leute von Institutionen haben oft das Gefühl, | |
| Literatur-Videos müssten professionell sein – aber eigentlich ist der | |
| Live-Charakter wichtiger. Das Gemeinschaftsgefühl kann auch online | |
| entstehen. Auf unserer Seite kann man sich neben der Lesung auch | |
| austauschen. Das erzeugt Community. Innerhalb von zwei, drei Stunden hatten | |
| sich 80 Autor*innen gemeldet, die gerne lesen wollten. | |
| Brauchen Queers diese Orte der wenn auch nur digitalen Begegnung? | |
| Viele queere Menschen sind viel online unterwergs. Queer im Sinn von | |
| Querdenken machen wir als Zeitschrift Glitter. Der Untertitel „die Gala der | |
| Literaturzeitschriften“ bricht mit Erwartungshaltungen. Wir erlauben uns | |
| Trash und Tabubrüche. Das hat uns prädestiniert, [1][„Viral“] zu starten. | |
| Das Festival läuft zwar auf den Kanälen von Glitter, wird aber breiter | |
| wahrgenommen. Etwa ein Drittel der Autor*innen ist queer. Mehr als im | |
| heteronormativen Literaturbetrieb, den wir damit unterwandern. | |
| Verlage in Deutschland scheinen zu befürchten, dass man mit queeren Storys | |
| nur ein Nischenpublikum erreicht. | |
| Wenn man lernt, ein bisschen quer zu denken, hilft das allen. Andere | |
| Perspektiven und Muster aufbrechen geht alle etwas an. „Viral“ ist ein | |
| queeres Projekt, weil es Normen in Frage stellt. Im Literaturbetrieb, aber | |
| auch im Umgang mit gesellschaftlicher Bedrohung. Wenn wir uns physisch | |
| nicht nahe sein können: Lasst uns Wege finden, wie wir uns trotzdem nahe | |
| kommen können. | |
| Wie ist es denn allgemein um die Queerness im deutschsprachigen | |
| Literaturbetrieb bestellt? | |
| Sie wird marginalisiert. Als ob queere Themen nur Queers etwas angingen. | |
| Verlage raten, dass man auf den ersten 30 Seiten nicht klar macht, dass es | |
| um Queeres geht. Erst mal sagen, dass es um etwas anderes geht – und die | |
| Leute dann vorsichtig heranführen, weil sie sonst angeblich überfordert | |
| wären. Dabei sind die meisten Leser*innen viel progressiver, als die | |
| Verlage annehmen. Für Minderheiten ist Sichtbarkeit wichtig, damit sie | |
| gleichwertig angeschaut werden. Dafür kämpft auch das Netzwerk „Queer Media | |
| Society“ in Deutschland. | |
| Édouard Louis und Ocean Vuong haben doch aber schon große Erfolge mit ihren | |
| autofiktionalen schwulen Romanen gefeiert. | |
| Aber wo bleiben die deutschsprachigen Autoren? | |
| Die Verlage hierzulande trauen sich anscheinend nur, wenn queere Titel | |
| anderswo schon Bestseller waren. | |
| Ja, Verlage sind in so einer prekären Lage, dass ihnen der Mut fehlt, etwas | |
| zu machen, das nicht schon erfolgsgeprüft ist. Man feiert Queerness hier | |
| nicht. Man könnte doch auch sagen: „Wir machen ein queeres Buch, es zeigt | |
| alle Facetten auf von alternativen Lebensmodellen, wir sind progressiv, | |
| dieses Buch wird der Hit!“ Stattdessen sagt man lieber etwas wie: „Es geht | |
| um eine Großmutter.“ Weil: Das kennt man. | |
| In neuen Serien gibt es deutlich mehr queere Figuren als noch vor ein paar | |
| Jahren. | |
| Film erreicht viel mehr Leute als Literatur. Dass die junge Generation das | |
| abfeiert, ist der Beweis: Es funktioniert. Nun ziehen andere nach. Aber in | |
| einer ZDF-Serie ist es nach wie vor schwierig, queere Charaktere | |
| unterzubringen. Wenn man bedenkt, wie lange dieser Kampf schon dauert, hat | |
| sich erstaunlich wenig getan. | |
| Können die Autor*innen queerer Literatur eigentlich hetero sein? | |
| Eine superschwere Frage! Geschichten wie „Brokeback Mountain“ sind | |
| vielleicht eine Brücke, die geschlagen werden kann, von Heteros Richtung | |
| queere Welt. Und das möchte ich nicht missen. Für mich persönlich geht das | |
| aber oft nicht weit genug. In den Details fehlen mir dann oft die „wahren“ | |
| Konflikte, die Dringlichkeit. | |
| Für eine größere Sichtbarkeit müssten auch hetero Autor*innen queere | |
| Figuren kreieren? | |
| Ja, und etwa Frauen, die selbstbewusst sagen: „Ich schlafe mit Männern, | |
| aber finde es auch toll, wenn Frauen mit Frauen schlafen.“ Hetero | |
| Autor*innen könnten zumindest queere Nebencharaktere einbauen. Etwa einen | |
| Sohn, der selbstverständlich seinen Freund nach Hause bringt. Dieses | |
| beiläufige begegnet mir bisher kaum. | |
| Weil die Kulturbeilage taz plan wegen des Corona-Shutdowns bis auf Weiteres | |
| eingestellt wurde, erscheinen hier nun gelegentlich Texte vom taz plan | |
| 1 Apr 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Stefan Hochgesand | |
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