# taz.de -- Die Situation der Berliner Kinos: Warten auf den nächsten Film | |
> Crowdfunding, Direktspenden und Gutscheinkarten: Wie die Berliner | |
> Programmkinos versuchen, die Corona-Zwangspause zu überbrücken. | |
Bild: Die Tilsiter Lichtspiele haben geschlossen | |
BERLIN taz | „Wie keine andere Stadt lebt und liebt Berlin seine Kinos und | |
die europaweite einzigartige Programmvielfalt“, heißt es im Text zu einer | |
[1][Crowdfunding-Kampagne, mit der 36 Berliner Kinos derzeit Geld sammeln]. | |
Tatsächlich befindet sich Berlin – trotz aller Klagen über die sich | |
wandelnde Rolle des Kinos und die auf niedrigstem Niveau stagnierende | |
durchschnittliche Zahl der Kinobesuche pro Jahr – in einer beneidenswerten | |
Lage. Doch wie ist die Situation in den Berliner Kinos jetzt, nachdem diese | |
Mitte März schließen mussten? | |
Fragt man bei den Kinos nach, so zeigt sich zunächst: Es könnte schlimmer | |
sein. Die Hilfe von Wirtschaftsministerium und Medienboard hat das | |
Überleben für die ersten Monate gesichert. Das Krokodil in Prenzlauer Berg | |
schreibt, die Lage sei „kurzfristig unproblematisch. Mittelfristig sehen | |
wir allerdings schwarz.“ | |
Die Medienboard-Hilfe hat zudem den Haken, dass sie mit einer Auszeichnung | |
des Kinos bei den Programmpreisen verrechnet würde. Immerhin: Nicht selten | |
haben sich die Vermieter als kulant und hilfsbereit erwiesen. | |
Angespannte Lage für Mitarbeiter_innen | |
Am kritischsten ist es für die Mitarbeiter_innen: Minijobber_innen wurden | |
gekündigt; alle anderen bekommen Kurzarbeitergeld, das wiederum angesichts | |
der ohnehin kargen Löhne im Kino oft sehr knapp ausfällt. Die Situation ist | |
angespannt, für ein paar Monate aber halbwegs stabil. | |
Die Crowdfunding-Kampagne soll bei Erfolg weitere 10.000 Euro pro Leinwand | |
bringen und damit die überbrückbare Zeit noch ein wenig verlängern. Doch | |
selbst für ein grundgefördertes Kino wie das Arsenal summieren sich die | |
Einnahmeausfälle – zumal aufgrund der Struktur des Kinos als Verein unklar | |
ist, welche Fördermaßnahmen letztlich wirklich greifen. | |
Weiterhin in Kontakt | |
Eine erfreuliche Meldung kommt von allen befragten Kinos: Der Kontakt zum | |
Publikum ist erhalten geblieben. Das Kreuzberger fsk berichtet, dass | |
10er-Karten und Geschenkgutscheine regen Absatz finden. „Das lässt hoffen, | |
dass nach Eröffnung doch wieder Besucher*innen kommen. Bei Bestellungen | |
aus der Umgebung bringen wir sie auch persönlich vorbei, und plauschen (mit | |
dem nötigen Abstand) ein wenig.“ | |
Auch die Tilsiter Lichtspiele schreiben, die Kinogutscheine würden gut | |
angenommen, zugleich kämen auch Spenden, vor allem von Freund_innen des | |
Hauses Zukunft. Dem Krokodil wünschen Zuschauer_innen, ihnen mögen in der | |
Zwischenzeit der Wodka und die hart gekochten Eier, die es dort zu | |
Vorführungen gibt, nicht ausgehen. | |
Mit dem Arsenal kann man sich einmal die Woche per Videokonferenz im | |
Publikumsgespräch zu dessen [2][Streamingangebot Arsenal 3] austauschen. | |
Ein Satz aus der Mail der Tilsiter Lichtspiele fasst es zusammen: „Die | |
Beziehungen bestehen fort, nur der gemeinsame Treffpunkt ist ein verbotener | |
Ort.“ | |
Viele Fragezeichen | |
Die größte Unsicherheit wird beim Blick in die Zukunft offenbar. „Wir | |
wissen noch nicht, wie wir mit möglichen Reglementierungen bei einer | |
gebremsten Aufnahme des Spielbetriebs umgehen können. Kino war für uns | |
zuerst ein sozialer Ort, und Nähe spielte dabei eine entscheidende Rolle“, | |
schreibt das Krokodil. Kino erfordere direkte Präsenz. Auch die baulichen | |
Bedingungen würden sich nicht immer als hilfreich erweisen, wenn es darum | |
gehe, unter Auflagen wieder einen provisorischen Betrieb zu eröffnen. | |
Das fsk ergänzt: „Falls die Eröffnung noch im Sommer stattfindet, wird es | |
wahrscheinlich recht öde – da wird eher Ostsee und Freiluft- als | |
Innenraumkino angesagt sein.“ Einige aufgeschobene Filmstarts könnten | |
eventuell in den Freiluftkinos nachgeholt werden, ein Umstand, auf den die | |
Tilsiter Lichtspiele, die das Freiluftkino Pompeji betreiben, eher hoffen. | |
Vermutlich wird es sich bei nachgeholten Starts allerdings vor allem um | |
kleinere, europäische Produktionen handeln. Die großen US-Filmstarts | |
werden mittlerweile weltweit koordiniert, um die Verbreitung illegaler | |
Kopien zu verhindern. Mit dieser Taktik könnten sich die großen Studios | |
2020 in den Fuß schießen. Dass es vor der Entdeckung einer Behandlungsform | |
oder eines Impfstoffs gegen das Virus weltweit einen bestimmten Zeitpunkt | |
geben wird, etwa den neuen James-Bond-Film zu starten, ist wenig | |
wahrscheinlich. | |
Folgen aus der Krise | |
Was die Zeit danach betrifft, gehen die Meinungen auseinander. Krokodil und | |
Tilsiter Lichtspiele glauben, dass sich beim Kino selbst nicht viel ändern | |
wird. Größere Sorgen macht sich das Krokodil, dass es zu einem „weiteren | |
Rückgang professioneller Filmkritik und eine zunehmende Ausdünnung der | |
Presselandschaft“ komme. Das fsk hofft, „dass sich im Herbst die Sehnsucht | |
nach dem ‚richtigen‘ Kino wieder durchsetzt.“ | |
Die weitreichendsten Folgen sieht das Arsenal: „Wir müssen davon ausgehen, | |
dass sich das Publikum, sein Verhältnis zum Kino und seine Wahrnehmung von | |
Filmen verändern werden, so wie diese Zäsur ja auch an uns, den | |
Kinomacher*innen, nicht spurlos vorübergeht.“ | |
Damit wir alle gemeinsam wann auch immer herausfinden können, wie das Kino | |
nach einer Pandemie aussieht, gilt es, den Kinos über die Zeit zu helfen – | |
mit direkten Spenden vor Ort oder über die eingangs erwähnte | |
Crowdfunding-Kampagne. | |
23 Apr 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.startnext.com/fortsetzungfolgt | |
[2] https://www.arsenal-berlin.de/mitgliedschaft/arsenal-3/anmeldung.html | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
## TAGS | |
taz Plan | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Crowdfunding | |
Kino Berlin | |
James Bond | |
taz Plan | |
Kolumne Frisch gesichtet | |
Kolumne Berlin viral | |
taz Plan | |
taz Plan | |
Berliner Zoo | |
Filmfestival Venedig | |
Kunstaktion | |
Kunst Berlin | |
taz Plan | |
taz Plan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neue Episode des Agententhriller: Bond-Film schon wieder verschoben | |
Kinobesitzer*innen hatten gehofft, dass es mit dem neuen Bond-Film nach der | |
Krise wieder bergauf geht. Doch der Filmstart wird abermals verlegt. | |
Filmempfehlung für Berlin: Land der ewigen Jugend | |
In den 1980er Jahren zog es eine Gruppe Linker aus Deutschland nach Irland. | |
Der DEFA-Regisseur Jörg Foth porträtierte diesen Neuanfang. | |
Filmtipps für Berlin: Rückkehr auf Widerruf | |
Zur Wiederöffnung der Kinos läuft im Arsenal die Retrospektive zum Jubiläum | |
des Berlinale Forums, im Zeughauskino eine Reihe über Hannah Arendt. | |
Überleben der Programmkinos: Jetzt schlafen die Geschichten | |
Vom Kinobesuch kann man jetzt nur träumen. Der Preis für Programmkinos in | |
Berlin und Brandenburg soll ihnen beim Überleben helfen. | |
Frisch gesichtet: Überlebensort Kino | |
Wann die Berliner Kinos wieder öffnen bleibt ungewiss. Solidarische | |
Verleihe, Archive und Bibliotheken zelebrieren in der Zwischenzeit die | |
Filmkultur. | |
Ausstellung in Schaufenstern: Zeugnisse des Zeittotschlagens | |
Das Ausstellungsprojekt Solo-Solo wuchert hinter Fensterscheiben | |
geschlossener Lokale – und interagiert dabei mit dem Kreuzberger Stadtbild. | |
Zoo und Tierpark wieder offen: Tauchen, spielen, balgen | |
Wie Kasuar und Hornrabe die ersten Besucher beäugen und warum man mit | |
Rosenkakadus keine Videokonferenz führen könnte. | |
Youtube-Filmfestival „We Are One“: Was ersetzt die große Leinwand? | |
Gut 20 internationale Filmfestivals, darunter Cannes, Venedig und die | |
Berlinale, starten Ende Mai ein Streaming-Festival auf Youtube. Hilft das? | |
Kunstaktion auf Balkonen in Berlin: Körper und Antikörper | |
„Die Balkone“ fragt im Herzen und an den Rändern des Prenzlauer Bergs nach | |
künstlerischen Positionen in der Coronakrise. | |
Berliner Kunstprojekt in Coronazeit: Knoten schaffen in der Krise | |
„Times in Crisis“, ein Projekt der Klosterruine, zeigt Videotagebücher von | |
Berliner Künstler*innen – und zahlt ihnen dafür sogar ein Honorar. | |
Literatur in Corona-Zeiten: „Anders denken hilft allen“ | |
Mit „Viral“ hat Donat Blum, Initiator der queeren Literaturzeitschrift | |
Glitter, in nur wenigen Tagen ein digitales Literaturfestival gegründet. | |
Corona im Kultur-Alltag: Die Langeweile in Zeiten von Corona | |
Corona heißt nicht nur Quarantäne, sondern auch Langeweile. Nach Absage der | |
LSD-Lesebühne bereitet sich Uli Hannemann auf das große Nichtstun vor. |