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# taz.de -- Berliner Kunstprojekt in Coronazeit: Knoten schaffen in der Krise
> „Times in Crisis“, ein Projekt der Klosterruine, zeigt Videotagebücher
> von Berliner Künstler*innen – und zahlt ihnen dafür sogar ein Honorar.
Bild: Ein“Times in Crisis“-Still: künstlerische Verknotung, von Mirjam Tho…
Für die Künstlerin Mirjam Thomann sieht es so aus, das Bild für diese
merkwürdigen, ihrer alltäglichen Riten beraubten Tage, in denen wir uns
momentan befinden: ein brezelförmiges Stück Tau, ein Knoten, der auf einer
Drehscheibe in endlosen, gleichförmigen, sanft ratternden Runden um sich
selbst kreist. In jeder Folge ihres [1][Videotagebuchs] für das Projekt
„Times in Crisis“ erscheint er und dreht sich jeden Tag eine Minute länger.
Dazu laufen in den Untertiteln Auszüge aus Texten, mit denen sich Thomann
zeitgleich beschäftigt. Texte, die gerade wichtig erscheinen, Blogs und
Nachrichten etwa. Am 29. März ist es die Anleitung, die all diejenigen
wieder und wieder vor sich sehen, die einen Antrag auf Soforthilfe bei der
Investitionsbank Berlin stellen, einen Tag später ein vielgeteilter Beitrag
von Paul B. Preciado, erschienen auf [2][www.artforum.com], der von auf
einmal wieder virulenten Sehnsüchten nach Verflossenen und überhaupt der
Fragilität von Gemütszuständen in Quarantänezeiten handelt.
„Times in Crisis“ ist eines jener Formate, die wie Pilze aus dem Boden
schießen, seitdem das Internet zur einzigen Plattform avanciert ist, auf
der man noch so etwas wie Sichtbarkeit für Kunst erreichen kann, also seit
zumindest gefühlt jedes Museum und jeder Projektraum virtuelle
Ausstellungen installiert, Podcasts sendet, Führungen livestreamt und
Social-Media-Takeovers organisiert.
„Times in Crisis“ ist ein Projekt unter vielen, eines jedoch, bei dem es
sich lohnt genauer hinzusehen. Initiiert hat es Christopher Weickenmeier
für den Instagram- und YouTube-Kanal der [3][Klosterruine Berlin]. Viel
nachgedacht habe er darüber, welche Alternativen nun im Digitalen aufgetan
werden könnten, sagt er, Alternativen, die nicht einfache Übersetzungen des
Analogen darstellten und damit oft scheiterten, sondern tatsächlich die
genuinen Möglichkeiten der Technologien nutzten.
Auf Videoblogs kam er, weil es dafür die passende Infrastruktur schon gab –
auf YouTube nämlich – und weil sie die nötige Offenheit bieten, sodass
Künstler*innen dort auch wirklich etwas kreieren können, das neu und
interessant, nicht bloßer Ersatz ist.
„Time in Crisis“ startete am 23. März und lässt jeweils für eine Woche,
oder auch länger, eine recht beeindruckende Auswahl an Berliner
Künstler*innen zu Vlogger*innen werden. In der ersten Woche waren das neben
Thomann, Leda Bourgogne (in Zusammenarbeit mit Rebecca Prechter), Verena
Buttmann, Nick Koppenhagen, Magdalena Los, Julia Novacek, Pablo
Schlumberger und Nik Timkova & Uzana Zabkova. Kaum eine*r von ihnen
arbeitet normalerweise mit Bewegtbildern, was das Ganze zu einem Experiment
macht, das freilich nicht immer ganz aufgeht.
## Öffentlichkeit ist immer gut
Alle Videos entstanden für und während der Laufzeit, aus dem Moment heraus.
Ebenso wie die Qualität der Filmchen – Anspieltipp: Je nach Vorliebe sind
besonders die von [4][Buttmann], [5][Bourgogne] und [6][Koppenhagen]
sehenswert – ist jedoch noch ein anderer Punkt entscheidend: die Frage
nämlich, was all diese hübschen neuen Online-Spielereien denen, die dort zu
sehen sind, den Künstler*innen also, denen gerade erst sämtliche
Einnahmequellen weggebrochen sind, deren Ausstellungen und Performances
abgesagt oder auf unbestimmte Zeit verschoben wurden, tatsächlich bringen.
Öffentlichkeit ist immer gut, aber was nützt sie, wenn sie sich auf die
eigene Blase beschränkt? Und erst recht: Wenn sie die Miete nicht bezahlt?
Initiativen wie die von Weickenmeier machen vor, wie es auch anders gehen
kann: Die Klosterruine, die zum Netzwerk der kommunalen Galerien des
Bezirks Mitte gehört, zahlt den Künstler*innen für die Teilnahme an „Times
in Crisis“ ein Honorar. Kein übermäßig großes, aber doch das für kommuna…
Galerien in Berlin übliche.
Weickenmeier braucht dafür sein Budget auf, das eigentlich für das –
natürlich auf Eis liegende – Sommerprogramm gedacht war. Lange reicht das
nicht mehr, wie es danach monetär weitergehen wird, weiß er noch nicht,
doch er hat Hoffnung, dass sich neue Töpfe auftun könnten.
Die zweite Woche, die am Donnerstag gestartet ist, gestalten nun erst
einmal Eli Cortiñas, Elif Saydam, Boris Ondreicka, Steven Warwick und Nina
Wiesnagrotzki mit ihrem Blick auf Zeit und Welt, was im Falle von
Wiesnagrotzki ganz besonders interessant werden könnte. Die Künstlerin ist
auch ausgebildete Ärztin und arbeitet derzeit auf einer Corona-Teststation.
Weickenmeiers einführender Text zu „Times in Crisis“ endet mit der
Aufforderung, die Zeit, die wir momentan haben, dafür zu nutzen,
aufeinander aufzupassen, sich umeinander zu kümmern. Gemeint sind damit
natürlich alle, Künstler*innen und Kulturschaffende vielleicht aber noch
ein bisschen mehr.
4 Apr 2020
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=ZmxVqTJmPCM
[2] https://www.artforum.com/slant/the-losers-conspiracy-82586
[3] http://www.klosterruine.berlin/programm.html
[4] https://www.youtube.com/watch?v=xjfg8NAU_SQ
[5] https://www.youtube.com/watch?v=rgj2EoV_iB4
[6] https://www.youtube.com/watch?v=f-zmKQSiC1s
## AUTOREN
Beate Scheder
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