| # taz.de -- Ausstellung in Berlin-Neukölln: Was die Motte übrig ließ | |
| > In der Ausstellung „Unsichtbarkeiten“ geht es um das Verschwinden. Drei | |
| > Berliner Künstler:innen präsentieren in Berlin-Neukölln ihre | |
| > Installationen. | |
| Bild: Gezeichnete Nachtfalter, bandagierte Möbel in Ka Bomhardts Installation … | |
| „Erinnern“. Jeder Buchstabe schreibt sich ruckweise vor unsere Augen in | |
| einem Video von Angela Lubič: Ein Faden häkelt sich für jede Linie um | |
| Nägel, vor, zurück, wieder vor. Langsam entsteht so das Erkennen des | |
| Wortes, noch bevor es ganz fertig ist, und langsam löst es sich auch wieder | |
| auf, wenn der Faden zurückspult. Das ist eine sinnliche Analogie zur Arbeit | |
| des Gedächtnisses, das manchmal Bilder in den Vordergrund spielt, die erst | |
| detailreich scheinen, aber je mehr man sich müht, Einzelheiten zu fassen zu | |
| bekommen, desto schneller entziehen sie sich wieder. | |
| Das Video ist Teil der Ausstellung „Unsichtbarkeiten. Panorama des | |
| Verschwindens“, die von drei Berliner Künstler:innen, Ka Bomhardt, Angela | |
| Lubič und Oliver Oefelein, geplant und eingerichtet wurde in der | |
| [1][Galerie im Körnerpark in Neukölln.] Sie ist, nach einer den | |
| Schutzmaßnahmen vor Ansteckung geschuldeten Pause, ab dem 11. Mai wieder | |
| geöffnet. | |
| Ich habe die Ausstellung vor der Schließung besucht. Es ist eine seltsame | |
| Koinzidenz, jetzt, in einer Zeit der schrumpfenden Horizonte, der Reduktion | |
| auf den häuslichen Nahbereich, in der das Zehren von Erinnerungen | |
| vielleicht mehr als früher die Zeit füllt, an ihre Bilder zu denken. Wie | |
| sich Wirklichkeit entzieht, wie sich Gewissheiten auflösen, wie das | |
| Alltägliche seine Selbstverständlichkeit einbüßt und die Welt sich | |
| entfernt, wird hier in verschiedenen ästhetischen Formulierungen | |
| durchgespielt. | |
| Aber gelegentlich ist auch zu finden, wie Geschichte und Vergangenes | |
| künstlich hergestellt werden. „Die Geschichte liest sich heute noch ganz | |
| anders als vor Jahren“, steht im einführenden Wandtext. | |
| ## Der fragende Blick des Vaters | |
| Angela Lubič und Oliver Oefelein haben Landschaften der Auflösung gebaut, | |
| die in zwei weit ausgreifenden Installationen einen Großteil des Raums | |
| füllen, der mit seinen Bogenfenstern zum Garten hin ursprünglich als | |
| Orangerie gebaut wurde. Oefeleins Gebirge setzt sich aus bläulichen Platten | |
| aus Hartschaum zusammen, an Eisschollen erinnern sie – sperrig und | |
| verkantet. Einen Moment lang taucht Caspar David Friedrichs „Eismeer“ als | |
| vergleichbar auf. | |
| Verschiedene Videos, die der Erinnerung gelten, an lange nicht gesehene | |
| Freunde oder an den Vater, der inzwischen gestorben ist, werden auf die | |
| Schrägen projiziert. Der Vater nähert sich in einem blauen, nicht | |
| bestimmbaren Raum der Kamera, bis nur noch seine Stirn und seine fragenden | |
| Augen zu sehen sind. Der letzte Film zeigt Rauschen. So entsteht wieder | |
| eine Annäherung an das Verblassen von Erinnerungen. | |
| Auch Angela Lubič' „Panorama des Verschwindens“ ist von einer vom | |
| Erschlaffen der Kräfte geprägt. Über zehn an die Wand gelehnte Tafeln | |
| hinweg hat sie mit Nägeln und Fäden ein Gebirge gezeichnet, anfangs mit | |
| vielen Strichen, Verdichtungen, die schattige Täler oder baumbestandene | |
| Hänge assozieren lassen. | |
| Dann aber lassen die Fadenverbindungen nach, als würde der Weg zu schwer, | |
| schlaff hängen sie von den Nägeln herab, und die Landschaft verliert ihre | |
| Konturen. Man hat mit der Arbeit zugleich das imaginäre Bild der Künstlerin | |
| vor Augen, wie sie anfangs voller Energie ihre Fäden verknüpft und | |
| schließlich von der Arbeit erschöpft den Ausgang aus den Bergen heraus | |
| nicht mehr packt. | |
| ## Befreundet seit Studienzeiten | |
| Die drei Künstler:innen, die sich hier zusammen „Ottto“ nennen, sind seit | |
| ihren Studienzeiten in Berlin befreundet. Sie haben verschiedene Projekte | |
| zusammen bestritten. Eine Studienreise mit dem Fahrrad ging durch Rumänien, | |
| von einer Expedition nach Finnland erzählten sie in einem Film und stellten | |
| die Werkzeuge aus, mit denen es ihnen gelungen war, einen Kreuzungspunkt | |
| von grünem Längengrad und rotem Breitengrad einen Meter unter der | |
| Erdoberfläche zu entdecken. | |
| Das Fantastische an das Alltägliche zu knüpfen und damit Geschichten | |
| anzuregen, die sich der Betrachter letztlich selbst ausdenken muss, liegt | |
| den dreien sehr. Auch diesmal gibt es eine Art von Fossilien zu sehen in | |
| einer Vitrine (von Oliver Oefelein und [2][Ka Bomhardt)] – eine Lupe liegt | |
| bereit. | |
| Der Gestus ist der von naturkundlichen Museen, aber dann merkt man, dass | |
| die zierlichen, an Dinosaurier erinnernden Skelette doch gebastelt sind, | |
| eingeschlossen in eine bernsteinfarbene Substanz. Ka Bomhardt war hier am | |
| Werk, die auch mit Pastellkreiden sehr zarte Motten und Mottenflügel | |
| gezeichnet hat. | |
| Diese Bilder freilich stehen an die Wand gelehnt auf dem Boden in ihrer | |
| Installation „Reste des Privaten“, als würde hier ein Haushalt gerade | |
| aufgelöst. Spiegel, Tische, Tapetenreste, alles hat seinen Platz verloren. | |
| Ein Lampenschirm ist mit einer aufgelegten Platte zu einem niedrigen Tisch | |
| mutiert, sein Stoff von Löchern zerfressen, als hätten die gezeichneten | |
| Motten hier schon mit der Arbeit der Zersetzung begonnen. Wie alles | |
| zerfällt, wird mit einer Poesie geschildert, die mit der Vergänglichkeit | |
| auch eine innige Freundschaft pflegt. Nicht zuletzt deshalb sieht man eine | |
| große Staubflocke unter einem Glassturz konserviert. | |
| Wer der Ausstellung jetzt besuchen will (die Laufzeit wurde bis 21. Juni | |
| verlängert), wird um das Tragen eines Mund- und Nasenschutzes gebeten. | |
| Vorsichtig bewegt man sich zwischen den Installationen sowieso, aber die | |
| Masken schränken ja das Gesichtsfeld zusätzlich etwas ein. Womöglich wird | |
| so das Gefühl, selbst ein seltsamer Organismus in einer seltsamen Welt zu | |
| sein, die alles andere als beständig ist, noch ein wenig gesteigert. | |
| 13 May 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Bettina Müller | |
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