# taz.de -- Filmempfehlung für Berlin: Land der ewigen Jugend | |
> In den 1980er Jahren zog es eine Gruppe Linker aus Deutschland nach | |
> Irland. Der DEFA-Regisseur Jörg Foth porträtierte diesen Neuanfang. | |
Bild: Tir na nog – Deutsche Auswanderer in Irland | |
Genüsslich kaut der Hund auf dem Arm des Mannes herum, der im Gras sitzend | |
vom Ankommen in Irland erzählt. Der Regen peitscht, der Wind pfeift, die | |
Schafe schafen. | |
In den 1980er Jahren zog es eine Gruppe linker Aussteiger aus Deutschland | |
nach Irland. Einige kommen aus Niedersachsen und waren im kommunistischen | |
Bund Westdeutschland (KBW), andere aus der Pfalz. Die politischen | |
Enttäuschungen der Kadergruppen der 1970er Jahre und die Förderung für die | |
Ansiedlung auf einer der verlassenen Farmen Irlands waren zwei der | |
Triebfedern für den Neuanfang. Anfang der 1990er Jahre porträtiert der | |
ehemalige DEFA-Regisseur Jörg Foth das Leben in der neuen Heimat. | |
„[1][Tir na nOg]“ zeigt die Arbeit auf den Höfen, die die Lebensgrundlage | |
für die Familien bilden. Ein Paar züchtet Schafe, eins hat eine Käserei mit | |
Kuhhaltung, die Frau aus der Pfalz unterrichtet in der Nähe an der Schule | |
Deutsch. Ein weiteres Paar schlägt sich mit Lederarbeiten mehr schlecht als | |
recht durch. | |
Nach einem Brand in ihrem Haus stehen die beiden unfreiwillig vor einem | |
zweiten Neuanfang. Am Küchentisch stellt einer der Aussiedler klar: die | |
Erwachsenen haben sich in Irland ihren Traum erfüllt. Keiner von ihnen | |
erwartet, dass ihre Kinder den Hof einmal übernehmen. Doch zurück nach | |
Deutschland will anscheinend keines der Kinder. | |
Der Titel greift einen Ort der keltischen Mythologie auf, Tír na nÓg, das | |
Land der ewigen Jugend, ist eine Art Paradies. Die Einheimischen können | |
nicht ganz nachvollziehen, was den Ort für die Zugezogenen zum Paradies | |
macht. „Hier gibt es doch nichts“ sinniert ein alter Mann, zwei | |
Wasserkanister zum Kühewaschen in den Händen. Aber andererseits mache es | |
schon Sinn, der dauernden Hetzerei zu entkommen. Der Film ist die letzte | |
Regiearbeit von Jörg Foth. | |
## Motor der Erneuerung | |
Foth hatte in den 1970er Jahren in Babelsberg Filmregie studiert. In einem | |
Interview der amerikanischen DEFA-Library erinnert sich Foth: „Mit einem | |
Regiediplom in der Tasche habe ich dann einen Job als Telegrammbote beim | |
Postamt bekommen… bis Ulrich Weiß mich zur DEFA gebracht hat.“ Foth wurde | |
Regieassistent bei Ulrich Weiß' Spielfilm „Blauvogel“, blieb bei der DEFA | |
und wurde zu einem Motor der Erneuerung, drehte Ende der 1980er Jahre eine | |
Reihe innovativer Kurzfilme, dann den satirischen Rückblick auf die DDR im | |
Moment ihres Zerfalls „Letztes aus der DaDaeR“. | |
Kurz bevor die DDR unterging, drehte Foth mit „Biologie!“ noch die ersten | |
und letzten Film der DEFA, der sich Umweltproblemen annahm. Wie bei seinem | |
Mentor Ulrich Weiß blieb auch Foths Werk nach den Umwälzungen der | |
Wendejahre schmal, ein paar Fernseharbeiten, dann „Tir na nOg“ und Schluss. | |
Das Kino Krokodil würdigt Foth und seinen nahezu komplett vergessenen | |
letzten Film im Juli mit zwei Vorführungen. „Tir na nOg“ läuft noch einmal | |
am Donnerstag um 19 Uhr in Anwesenheit von Jörg Foth. | |
Der Film wirkt zunächst unspektakulär. Ein Grüppchen Revolutionäre sattelt | |
um, findet zu einem neuen Leben. Doch auf den zweiten Blick zeigt sich ein | |
komplexer Film. Die Umorientierung und die Selbstkritik der westdeutschen | |
Linken scheint den von Realität der DDR gründlich desillusionierten Foth | |
fasziniert zu haben. | |
In einem Text zum Film schreibt Foth: In der westdeutschen Linken der | |
1960er Jahre „war eine linke Veränderbarkeit der Welt nicht nur wie in der | |
DDR monotone Feiertagsfloskel und unerschütterliches | |
Selbstbestätigungszitat, hier wurde sie geträumt und von vielen unter 30 | |
auch gewagt.“ | |
## Zwischen Schafen und Reflexion | |
Er fährt fort: „Auf der Insel ist der Plan nicht mehr agitatorisch, nicht | |
mehr auf die Welt und das Ganze gerichtet, nicht mehr anderen abverlangt, | |
sondern ein selbst gelebter. Eigenverantwortlichkeit statt Ideologie.“ In | |
den Gesprächen mit den Aussiedlern zwischen Schafen und Kühen blitzt immer | |
wieder eine Reflexion über all das auf, was in verschiedenen Kontexten als | |
politisch gilt. | |
Die Spannung zwischen der Politik auf der großen und jener auf der kleinen | |
Bühne zieht sich durch den Film. Gegen Ende erklärt einer der Neu-Iren | |
zufrieden hinter dem Schlagzeug auf der Farm, dass der Art, wie sie nun | |
Käse produzieren, etwas von Revolution anhafte. „Im Kopf ist immer noch | |
Revolution, nur anders“. | |
Im Rückblick kommt hinzu, dass die Utopien der westdeutschen Linken, ihrer | |
Projektionen auf Länder wie Irland den meisten Zuschauer_innen von heute | |
genauso fremd sein dürften wie die DDR. Doch durch diese historische | |
Konstellation hindurch klingt immer wieder die ungebrochen aktuelle Frage | |
nach Alltagspolitiken an. „Tir na nOg“ ist einer jener Filme aus der | |
umbruchreichen Zeit der 1990er Jahre, die einen neuen Blick verdienen. | |
28 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://oefilm.de/jorg-foth-tir-na-nog-deutsche-auswanderer-in-irland/ | |
## AUTOREN | |
Fabian Tietke | |
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