| # taz.de -- Defa-Film „Vorspiel“ auf DVD: Melancholie der späten DDR | |
| > In Peter Kahanes Defa-Spielfilm „Vorspiel“ geht es um erste Liebe, | |
| > Aufbruch und Abschied von der Herkunft. Der Sozialismus ist kein | |
| > Versprechen mehr. | |
| Bild: Wie geht das noch mal mit der Liebe? Hendrik Duryn und Thomas Laudzim in … | |
| Grau sind die Fassaden, diesig und grau ist die Luft wegen des Nebels, der | |
| von der Elbe her durch den Ort zieht. Grau ist alle Theorie und grün des | |
| Lebens goldner Baum, weshalb die jungen Männer und Frauen, um die sich der | |
| Film dreht, auch erste Praxiserfahrungen machen, mit dem Leben und vor | |
| allem der Liebe. Siebzehn sind sie oder schon achtzehn, sie treffen sich, | |
| motorisiert die einen, die anderen nicht, auf dem großen Platz vor dem Kino | |
| Aktivist. Sie spielen den Autofahrern Streiche, das Schlagloch auf der | |
| Straße hilft mit. | |
| Manchmal sehen sie auch einen Film, sehr voll ist das Kino meist nicht. Sie | |
| rätseln, was das Wort „Retrospektive“ im Programmheft bedeutet, aber egal, | |
| und siehe da, zwar ist „Berlin – Ecke Schönhauser“ alt und schwarz-weiß, | |
| aber geliebt wird da auch. Oder sie wollen ins Kulturhaus W. I. Lenin, wo | |
| für adretter gekleidete junge Menschen zum Tanz aufgespielt wird und die | |
| Clique eher unerwünscht ist. | |
| Es ist die DDR, es ist das Jahr 1987, der Film heißt „Vorspiel“, ist von | |
| [1][Peter Kahane], entstanden in der Arbeitsgruppe „Roter Kreis“ des | |
| Spielfilmstudios der Defa. Er ist in Schönebeck an der Elbe gedreht, aber | |
| nicht nur, das Kino Aktivist steht in Rathenow, heute noch, heißt jetzt | |
| Haveltorkino. | |
| Tom ([2][Hendrik Duryn]) heißt der Protagonist. Er dekoriert Schaufenster, | |
| hantiert leicht anzüglich mit weiblichen Puppen und ist mehr als gewillt, | |
| sich zu verlieben. Zwar ist da Floh (Antje Straßburger), die er seit dem | |
| Kindergarten kennt, und gerne hätte sie mehr als nur Freundschaft, er ist | |
| dafür aber zu blöd, jedenfalls vorerst. | |
| Da taucht, aus Berlin kommend, Corinna (Susanne Hoss) auf, mit ihrem Vater | |
| ([3][Hermann Beyer]). Es genügt ein Blick, sehr lang ist er schon, durch | |
| die Windschutzscheibe des Autos, und ihm ist klar: Sie und keine andere | |
| soll es sein. Was folgt, ist Werbung, ist Schnellexpertise in Sachen | |
| japanische Keramik (wegen des Vaters), ist gemeinsames Theaterspiel in | |
| einem zugerümpelten Raum hinter der Leinwand des Kinos. | |
| ## Standardsituationen der Liebe | |
| Corinna nämlich will Schauspielerin werden, wie ihre Mutter, bei der sie | |
| nicht lebt, eine ist. Und Tom hat zwar keine Ambition und erst recht keine | |
| Ahnung. Aber durchaus Talent. Und da steht er nun als Graf vom Strahl, | |
| spricht Sätze von Kleist, auf der Couch liegend, Corinna als Käthchen. Bald | |
| darauf liegen sie dann wirklich gemeinsam im Bett. | |
| Standardsituationen der Liebe sind das, was der Film durchspielt. Das | |
| Drehbuch von Thomas Knauf ist mal deutlich, mal zart, der Titel des Films | |
| bewusst doppeldeutig: Um Sex geht es auch, keine Frage. Aber es geht auch | |
| und vor allem um die Phase des Lebens, in der sich Dinge entscheiden bei | |
| gleichzeitig größter Unsicherheit. Erste Liebe, Aufbruch, aber auch | |
| Abschied von Herkunft und Jugend. Zwar geht die Sache mit Corinna dann | |
| anders aus, als Tom denkt, aber dafür hat er an der Schauspielerei Gefallen | |
| gefunden und bewirbt sich in Berlin an der Ernst Busch. | |
| Die Melancholie der späten DDR liegt über dem Film. Mit dem Sozialismus als | |
| Versprechen ist es vorbei, von den Frustrationen, die das real existierende | |
| Leben an allen Ecken und Enden bereithält, ist in einem längeren Monolog | |
| sehr ausdrücklich die Rede. Es werden aufs Vorspiel vor allem | |
| Enttäuschungen folgen. | |
| Schön ist, wie der Film das junge Paar in einem älteren spiegelt. Corinnas | |
| Vater nämlich kehrt als Museumsleiter an den Ort seiner eigenen Jugend | |
| zurück. Und trifft auf eine Frau, mit der er ganz früher etwas hatte, die | |
| nun im mittleren Alter schon Großmutter ist. So verbinden sich Aufbruch und | |
| Rückkehr, Herkunft und Zukunft, Buch und Regie finden dafür einen sehr | |
| schönen Ton. Und wenn mal die Worte ausgehen, hilft die Musik von Tamás | |
| Kahane, die eher treuherzig als umwerfend ist, aber wunderbar passt. | |
| 19 Nov 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ekkehard Knörer | |
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