| # taz.de -- Regisseur Peter Kahane: Sein grandioser Flop | |
| > Mit seinem Film „Die Architekten“ wollte Peter Kahane die Kunstfreiheit | |
| > in der DDR testen. Der Mauerfall machte ihm einen Strich durch die | |
| > Rechnung. | |
| Bild: Hier hat sich viel verändert: Peter Kahane 2019 am Brandenburger Tor | |
| Der Mauerfall kommt in einem ungünstigen Moment. Der Drehtag am | |
| Brandenburger Tor steht noch aus. Die Nacktheit, diese quälende Leerstelle | |
| auf dem Pariser Platz, der Blick in den nahen und doch so fernen Tiergarten | |
| soll eine Schlüsselszene für „Die Architekten“ tragen. Und jetzt, im | |
| Dezember 89, sind dort die Massen, Fernsehübertragungswagen aus aller Welt. | |
| Gespanntes Warten darauf, dass Bundeskanzler Helmut Kohl endlich den | |
| deutschen Triumphbogen durchschreitet. | |
| Kameramann Andreas Köfer gelingt es dennoch, in dem Trubel eine Sichtachse | |
| zu finden, die die Illusion der undurchdringlichen Mauer aufrechterhält. | |
| Hauptdarsteller Kurt Naumann winkt hilflos in die Richtung, wo seine Figur | |
| die an den Westen verlorene Tochter vermutet. Regisseur Peter Kahane hat | |
| die Szene im Kasten. | |
| Schon der Abend des 9. November 1989 war für das Filmteam reichlich | |
| surreal. Während nur einige hundert Meter entfernt im Kino International | |
| [1][Heiner Carows „Coming Out“] Premiere hatte, wurde der | |
| „Architekten“-Stab auf dem Alexanderplatz von westlichen Kamerateams zum | |
| Mauerfall befragt. „Wir haben die für verrückt gehalten“, erinnert sich | |
| Peter Kahane an jene Nacht. | |
| Die Filmografie Kahanes ist lang, Fernsehkrimis vor allem, ein paar | |
| Kinofilme, „aber es wollen alle immer nur über ‚Die Architekten‘ reden�… | |
| wie Kahane etwas amüsiert anmerkt. Der Film: ein Abgesang, ein Nachruf | |
| fast, auf die drückende Enge, die unbewegliche, erstickende Realität der | |
| DDR. Gedreht wurde er aber in den hektischsten Wochen des kleinen Landes, | |
| rund um den Mauerfall. | |
| ## Ein Drehbuch als Manifest | |
| Während rundherum alles zusammenbrach, arbeitete sich Kahane durch den | |
| Stoff, für dessen Realisierung er hart hatte kämpfen müssen. „Die Arbeit am | |
| Film hat mir eine Struktur gegeben, meine Gedanken und diese Masse an | |
| Eindrücken geordnet, die da kamen. Es hat sich ja jeden Tag was geändert“, | |
| erklärt Peter Kahane an einem verregneten Oktobertag, 30 Jahre später das | |
| Leben in jener irren Zeit. 70 Jahre ist er alt, geboren im Gründungsjahr | |
| der DDR. | |
| Sein Film erzählt die Geschichte einer Gruppe Architekten, die ein | |
| lebenswertes und menschenfreundliches Umfeld statt der grauen | |
| Plattenbautristesse erschaffen wollen und dabei am erstarrten System | |
| scheitern müssen. Kahane, der an Thomas Knaufs Drehbuch mitgeschrieben | |
| hatte, legte seine ganze Unzufriedenheit mit dem System in diesen Stoff. | |
| Nur kurz zuvor hatte er die erste Version des „Manifests der | |
| Nachwuchsgruppe“ im Verband der Film- und Fernsehschaffenden geschrieben. | |
| Eine Abrechnung mit Zensur und Selbstzensur, ein Appell an künstlerische | |
| Freiheit und den Mut zu abseitigen Positionen. | |
| Der Anlass war ein untersagtes Filmprojekt mit bereits fertigem Buch. Die | |
| Drehorte waren ausgesucht und dann fiel der Hammer vom allmächtigen | |
| Defa-Studio, das Projekt war tot. Im Manifest, für das Kahane sich dann | |
| Verbündete bei den Kollegen seiner Generation suchte, brachte er seinen | |
| Ärger zu Papier. | |
| Doch auch das war nicht das Richtige: „Es wurden dann in den Text Begriffe | |
| reingebracht, wie die Versicherungen, dass wir auf dem Boden des | |
| Sozialismus stehen und so weiter. Das fand ich schnell ziemlich langweilig | |
| und hab mich dann aus dieser Diskussion verabschiedet. Es war klar, ich | |
| muss etwas machen, das wirklich die Kraft hat, die ich brauchte, um die | |
| Entscheidungsfragen zu stellen. Und das war dann eben ‚Architekten.‘“ | |
| Die Entscheidung sollte also in Form eines Drehbuchs herbeigeführt werden. | |
| Kahane beschreibt die Situation heute so: „Das war tatsächlich als | |
| Provokation gedacht. Das war als Frage gedacht, ob ich bleibe oder gehe. | |
| Das, was ich in dem Manifest geschrieben hatte, wollte ich einfach mal | |
| ausprobieren. Ohne Selbstzensur.“ | |
| Und tatsächlich ging das Drehbuch im Dezember 1988 durch. Der Drehbeginn | |
| jedoch verschob sich 1989 immer weiter. Das endgültige Okay kam erst nach | |
| dem Abtritt des langjährigen Defa-Chefs Hans Dieter Mäde im Sommer. Und | |
| dann fiel die Mauer. | |
| „Die Architekten“ hatte im Mai 1990 Premiere, standesgemäß im | |
| International. An der introspektiven Sicht, dem Drama des | |
| realsozialistischen Alltags, der Verzweiflung einer Intelligenzija, die | |
| vergeblich versuchte, das Leben im Lande besser zu machen, hatte niemand | |
| mehr Interesse. An einem Defa-Film sowieso nicht, egal wie kritisch der | |
| auch ausfiel. | |
| Der grandiose Flop war ungewohnt für Kahane, seine beiden vorherigen Filme, | |
| „Vorspiel“ und vor allem „Ete und Ali“ waren richtige Kassenschlager | |
| gewesen, denen es auf humorvolle Art gelang, ein jugendliches Lebensgefühl | |
| jenseits des offiziell sanktionierten Einerleis auf die Leinwand zu | |
| bringen. Und jetzt, beim großen Wurf, waren mit der DDR Objekt und Publikum | |
| der Geschichte verloren gegangen. | |
| ## Zwei Flops in Folge | |
| Für Peter Kahane ging es danach beinahe nahtlos weiter. „Cosimas Lexikon“ | |
| mit Iris Berben in der Hauptrolle sollte sein erster Westfilm werden – und | |
| für eine ganze Weile auch der letzte. Aktiv stellen wollte er sich den | |
| Ereignissen um Wende und Wiedervereinigung, erinnert sich Kahane: „Ich habe | |
| versucht zu beschreiben, was sich damals gleich angedeutet hat. Nämlich, | |
| dass es um Häuser ging, um Besitz und Übernahme.“ | |
| Die Geschichte eines abrissreifen Hauses in Berlin, dessen Bewohner sich | |
| auf die Suche nach dem Alteigentümer machen und diesen, einen verlotterten | |
| Trinker, in Kellerhaft zu einem anständigen Menschen zu erziehen versuchen, | |
| erhielt vernichtende Kritiken und nur wenig Publikum. | |
| Nach zwei Flops in Folge war Kahane als Regisseur zunächst abgemeldet. | |
| „Cosimas Lexikon“ hat er sich nie wieder angeschaut. „Die Architekten“ … | |
| erfuhren über die Jahre wiederholt ihre Rehabilitation. Nicht nur lobte die | |
| Kritik den Film von Anfang an, auch Festivalscreenings und | |
| Fernsehausstrahlungen ergeben sich immer wieder. | |
| ## Kaum Erfolg mit Herzensprojekten | |
| Mit Drehbüchern für Fernsehkrimis entzog sich der Regisseur der | |
| zeitversetzten Wendekrise („spät, aber heftig“) und hielt sich im Geschäf… | |
| Schließlich kam das Angebot, die Krimiserie [2][„Stubbe – Von Fall zu | |
| Fall“] zu entwickeln, was eine jahrelange fruchtbare Zusammenarbeit mit dem | |
| zum Schauspieler gewandelten Kabarettisten Wolfgang Stumph begründete. | |
| Bis heute schreibt und dreht Kahane. Mit seinen Herzensprojekten jedoch | |
| kann er weiterhin kaum landen. „Ich hätte gerne noch Geschichten aus der | |
| DDR erzählt“, sagt er heute. Begründungen für die Ablehnung seiner Stoffe | |
| hat er mehr gehört, als er sich erinnern kann. „Ich glaube, letztlich das | |
| ist eine Vertrauensfrage. Kaum jemand aus der Defa-Nachwuchsgruppe konnte | |
| im Westen als Filmemacher Fuß fassen.“ | |
| Das Misstrauen seiner Generation gegenüber sieht Kahane als Konstante in | |
| seinem Leben. Auch in der DDR zeigte sich die Gründergeneration, die | |
| Kriegsüberlebenden den Auswüchsen ihrer Kinder gegenüber wenig | |
| aufgeschlossen. „Was die schon in meiner Jugend an uns rumgekrittelt haben. | |
| Es ging um Musik, um Haarschnitte, um Klamotten – und zwar immer mit | |
| Verboten.“ | |
| ## Vom Kindergarten ins Altersheim | |
| Peter Kahane gehörte zu den Jungen, die andere Fragen stellten: „Wir haben | |
| ganz naiv gefragt, ob das das Leben ist, das wir führen wollen. Viele haben | |
| nein gesagt. So wurde dann auf allen Gebieten versucht, uns im Zaum zu | |
| halten. Und alle Entscheidungspositionen waren besetzt von diesen Leuten, | |
| die erst in den 80ern und 90ern in die Rente gehen würden.“ | |
| In den 90ern, im neuen Land, aber waren Kahanes Jahrgänge selber schon | |
| nicht mehr jung: „Also wurden wir vom Kindergarten DDR direkt ins | |
| Altersheim abgeschoben.“ Der Mauerfall kam auf so vielen Ebenen in einem | |
| ungünstigen Moment – und in genau dem richtigen. Es war vorbei mit dem | |
| Experiment Sozialismus, das Kahane aus heutiger Sicht ungnädig beurteilt. | |
| So wie die Romantisierung der Idee durch die Westlinke: „Dass Sozialismus | |
| prinzipiell funktioniert und die Leute im Osten ihn nur verkackt haben, | |
| glaube ich nicht.“ | |
| Die Notwendigkeit revolutionärer Gewalt allein beantwortet für Kahane die | |
| Frage nach ihrer Legitimität: „Bei der Vergesellschaftung der | |
| Produktionsmittel gibt doch niemand seine Fabrik freiwillig her. Es braucht | |
| Gewalt. Ist die aber erst einmal installiert, kriegst du sie auch nicht | |
| mehr weg, nach allem, was ich weiß von dieser Welt.“ Sozialismus bleibt für | |
| Kahane trotzdem eine notwendige Idee: „Wir brauchen sie als Maßstab, um die | |
| Distanz zwischen Traum und Realität messen zu können.“ | |
| ## Skandal verpasst | |
| Die kreativitätsfeindliche Realität des sozialistischen deutschen Staates | |
| nimmt Kahane als Bestätigung der These. Und doch hat er Filme dort gemacht, | |
| ist bis zum Ende dageblieben. „Ich habe damals gehofft, dass es einen | |
| wirklich demokratischen Sozialismus geben kann. Daher kam auch die Geduld. | |
| Dieses ‚Wir müssen auf eine liberale Phase warten und dann die Chance | |
| ergreifen.‘ Das war es, was mich gehalten hat, sonst hätte ich da nicht | |
| leben können.“ | |
| Und heute? „Was man hat, weiterentwickeln. Demokratie ist doch wie eine | |
| zarte Pflanze, um die man sich kümmern muss.“ | |
| Eine frühere Premiere der „Architekten“, im Mai 1989 zum Beispiel, hätte | |
| sicher mehr Eindruck gemacht, einen Erfolg, mindestens aber einen Skandal | |
| erzeugt. Das wusste Kahane schon im taz-Interview zum Film 1990. Die Zeit | |
| jedoch lässt sich nicht zurückdrehen. Für einen kleinen illusorischen | |
| Moment vielleicht, auf der Suche nach der richtigen Sichtachse am | |
| Brandenburger Tor, aber nicht im realen Leben. Peter Kahane scheint es | |
| recht zu sein. | |
| 8 Nov 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Homosexueller-Beweis/!5152937 | |
| [2] https://www.zdf.de/filme/stubbe-von-fall-zu-fall-102.html | |
| ## AUTOREN | |
| Daniél Kretschmar | |
| ## TAGS | |
| 30 Jahre friedliche Revolution | |
| Mauerfall | |
| DDR | |
| DVD | |
| Braunschweig | |
| Bildende Kunst | |
| 30 Jahre friedliche Revolution | |
| 9. November 1989 | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Defa-Film „Vorspiel“ auf DVD: Melancholie der späten DDR | |
| In Peter Kahanes Defa-Spielfilm „Vorspiel“ geht es um erste Liebe, Aufbruch | |
| und Abschied von der Herkunft. Der Sozialismus ist kein Versprechen mehr. | |
| Filmfestival Braunschweig: DDR im Programm | |
| Vor 30 Jahren fand in Braunschweig während des Mauerfalls ein Filmfest | |
| statt. Das diesjährige Filmfestival erinnert daran mit einer Filmreihe. | |
| Norbert Bisky in Berlin und Potsdam: Die biskynische Kapelle | |
| Zum 30. Jubiläum des Mauerfalls eröffnen in Berlin und Potsdam gleich zwei | |
| Ausstellungen von Norbert Bisky. Eine davon in einer Kirche. | |
| Kommentar zu Berlins Mauerfall-Feiern: Schluss mit dem Mauern | |
| Berlin erinnert an den Mauerfall – und es geht dabei nicht nur ums Feiern. | |
| Bedrohte Demokratien: Der Geist von 89 | |
| 30 Jahre nach dem Mauerfall fehlt das Verständnis, dass es nicht um Freund | |
| und Feind geht, sondern um Respekt und Kompromisse. | |
| Homosexueller Beweis: Das Jubiläum des Ost-Coming-outs | |
| Ein Schauspieler wird zum Zeitzeugen: Matthias Freihof. Er spielte 1989 in | |
| Heiner Carows Defa-Film "Coming Out. Es war der erste und einzige DDR-Film | |
| über Schwule. |