# taz.de -- Homosexueller Beweis: Das Jubiläum des Ost-Coming-outs | |
> Ein Schauspieler wird zum Zeitzeugen: Matthias Freihof. Er spielte 1989 | |
> in Heiner Carows Defa-Film "Coming Out. Es war der erste und einzige | |
> DDR-Film über Schwule. | |
Bild: Die Rolle seines Lebens: Matthias Freihof spielt Philipp (rechts), der au… | |
Für Schwule aus dem Osten Deutschlands ist der Defa-Film "Coming Out" von | |
Heiner Carow, der erste und einzige DDR-Film zum Thema Homosexualität, der | |
Beweis, dass es sie gab. Nicht wenige von ihnen haben sogar mitgespielt, | |
als Statisten - und wenn "Coming Out" mal wieder im dritten Programm läuft | |
oder in einem Programmkino gezeigt wird, warten sie mit einer Mischung aus | |
Stolz, Freude und Trauer auf die ein bis zwei Sekunden, in denen sie zu | |
sehen sind. Tanzend im "Burgfrieden", ein Glas Bier in der Hand haltend in | |
der "Schoppenstube", jenen legendären, heute von der Zeit überholten | |
Homoläden im Stadtteil Prenzlauer Berg. | |
Am Tag der Premiere des Films im Ostberliner Kino International fiel die | |
Mauer. Ganz Ostdeutschland hatte sein Coming-out; ein befreiender, zum Teil | |
schmerzhafter, eigentlich lebenslanger Prozess: Wer bin ich wirklich? Was | |
möchte ich wirklich - und bin ich bereit, eben dafür einzustehen? Freiheit | |
kann verdammt anstrengend sein. | |
Der Schauspieler Matthias Freihof war im November 1989 28 Jahre alt, und | |
die Premiere von "Coming Out" fiel mit seinem öffentlichen Coming-out als | |
Schwuler zusammen. Und so, wie sich jeder Schwule immer und immer wieder an | |
den Urknall seiner persönlichen Lebenserzählung, das Coming-out, erinnert, | |
muss sich Matthias Freihof immer wieder fragen lassen, wie das denn nun | |
damals war. Und die Geschichte ist so schön, dass man sie guten Herzens | |
immer wieder erzählen kann: "Wir haben unsere Premierenfeier im Burgfrieden | |
gemacht. Und plötzlich stand da ein Freund, den ich kurz zuvor unter Tränen | |
verabschiedet hatte, weil sein Ausreiseantrag genehmigt worden war. Er war | |
schon wieder zurück", erzählt Freihof. | |
Erst mal ins Bett | |
Er selbst ist an diesem Abend nur bis zum Grenzübergang an der Bornholmer | |
Brücke gegangen - und dann wieder zurück, ins Bett, "ich war einfach zu | |
müde". Als Absolvent der renommierten Ernst-Busch-Schauspielschule war er | |
zusammen mit der Truppe schon vorher im Westen gewesen, in Westberlin, in | |
Bochum. Er durfte sogar während der Dreharbeiten zu "Coming Out" einen | |
Onkel in Frankfurt am Main zu Grabe tragen. | |
Freihof ist mit und dank der Hauptrolle in diesem Film um die ganze Welt | |
gekommen. Es begann mit dem Silbernen Bären der Berlinale aus dem Jahr | |
1990, und jetzt, in Jahr 2009 in einem eher gesichtslosen Café in der | |
Sophienstraße in Berlin-Mitte, erzählt er vom Filmfestival 2005 in Toronto, | |
vom Festival in Turin. Der Film läuft und läuft und läuft. Er ist einer der | |
wenigen Filme, die dem Namen des ehemaligen Premierenkinos der DDR, dem | |
Kino International, gerecht werden. Freihofs Mobiltelefon klingelt, er | |
erklärt einem Freund, dass ihm die Presseabteilung anlässlich des Jubiläums | |
von "Coming Out" einen Interviewtermin nach dem anderen aufgedrückt hat und | |
er diese jetzt abarbeiten muss. Bevor er nach Klagenfurt abreist, wo er | |
gerade ein Theaterstück inszeniert. | |
Freihof hat es geschafft. Er hat es geschafft, sich als Schauspieler zu | |
behaupten, kann anders als viele Künstler aus der ehemaligen DDR, viele | |
Schauspieler überhaupt, noch immer sein Brot mit seinem Beruf verdienen. Er | |
macht Theater, er singt, er hat in Krimiserien gespielt, im "Tatort", in | |
diversen TV-Produktionen, bekam sogar eine Rolle in der | |
Hollywood-Produktion "Valkyrie", wo er Heinrich Himmler verkörpern sollte: | |
"Nunmehr bin ich ja in dem Film gar nicht mehr zu sehen. Aber ich hatte | |
auch nur zwei kurze Szenen, sechzig Sekunden. Da hast du keine Chance, | |
außer die Verkörperung des Bösen zu sein. Ein Machwerk." Bryan Singer hatte | |
ihn beim Casting auserwählt, ohne zu erkennen, wen er vor sich hatte - erst | |
danach hatte Freihof ihm eine DVD von "Coming Out" übergeben. Der | |
Oscar-prämierte Regisseur Bryan Singer kannte den Film von Heiner Carow. | |
Der seinerzeit wichtigste Regisseur der DDR ist schon seit 1997 tot. Nach | |
der Wende musste Carow Vorabendserien in den einstigen Ufa- und späteren | |
Defa-Studios Babelsberg drehen. | |
Sehnsuchtsort Berlin | |
Doch "Coming Out" ist geblieben. Und Matthias Freihof, der den schwulen | |
Lehrer Philipp gespielt hat, der allmählich lernt, sich mit seiner | |
homosexuellen Identität auseinanderzusetzen - und zu ihr zu stehen. Der | |
aufrechte Gang. Carows Film, sieben Jahre lang hatte er für dessen | |
Umsetzung gekämpft, zeigt nicht nur den Alltag in der DDR der Achtziger, | |
sondern auch jene Zeit des Umbruchs und der Veränderung, die später zum | |
Fall der Mauer führte. Er zeigt Menschen, die sich ermächtigen, sie selbst | |
zu sein. Er zeigt eine DDR, wie sie hätte sein können, wenn sie | |
reformierbar gewesen wäre - war sie aber nicht, denn genau diese | |
allmähliche Ermächtigung ihrer Bürger hat die kleine DDR schließlich | |
zerbersten lassen. | |
Coming Out als lebenslanger Prozess? "Man steht immer wieder vor | |
Situationen, wo man sich fragt: Sag ich das jetzt oder nicht? Man weiß aber | |
irgendwann zumindest, was man nicht mehr will", sagt Freihof. Er will zum | |
Beispiel kein Fotoshooting am Kino International. Das ist ihm zu | |
abgedroschen. | |
Die ganze Welt hat den Film "Coming Out" gesehen. Vielleicht hat er sogar | |
dazu beigetragen, das Nachwende-Berlin zu einem internationalen | |
Sehnsuchtsort zu machen. "Coming Out" war auch eine Art Nachfolgeprojekt | |
von "Cabaret", der Verfilmung von Isherwoods "Goodbye to Berlin". In den | |
Neunzigerjahren erwachte die Stadt zu neuem Leben - und wurde im Laufe der | |
Zeit wieder zu dem, was sie in den Zwanzigern schon einmal war, nämlich | |
eine der wichtigsten - wenn nicht sogar die wichtigste - Metropolen | |
schwul-lesbischen Lebens. | |
Internationalisierung der Homoszene | |
Schon die Wiedervereinigung der Homoszenen hatte eine solche | |
Internationalisierung vorweggenommen. Die Ostberliner Szene wurde nach der | |
Wende nicht von Westdeutschland dominiert, sondern von den Ausdrucksformen, | |
Moden und Gepflogenheiten einer schwulen Subkultur, die weltweit | |
Verbreitung findet. In Prenzlauer Berg gab es nun Bars mit angeschlossenem | |
Darkroom, Pornokinos wurden eröffnet, eine schwule Sauna. Man feierte | |
Sexpartys in Kellergewölben - später dann, natürlich im Osten der Stadt, | |
unweit des ehemaligen Hauptbahnhofs Ostberlins, eröffnete das Ostgut seine | |
Pforten, jener legendäre Vorläufer des Berghain, zu dem heute alle Welt | |
pilgert: "Ich war seinerzeit oft im Ostgut. Ich fand das einzigartig, ein | |
Club mit Darkrooms für alle, ganz egal ob hetero, homo oder lesbisch. | |
Eigentlich ist das dann doch so, wie es alle am liebsten hätten: dass es | |
ganz einfach egal ist." | |
Im Berghain ist es ihm heute zu laut. Wenn überhaupt, dann geht er zu | |
Veranstaltungen "von Bob". Er meint Bob Young, den legendären Berliner | |
Partyveranstalter, der auch für das "GMF" verantwortlich zeichnet, jeden | |
Sonntag im Club WMF. "Man kann dort auf der Terrasse stehen, auf die Stadt | |
schauen, wird nicht so beschallt", erzählt Freihof. Von dieser Terrasse aus | |
blickt man vom obersten Stock eines Hochhauses am Alexanderplatz auf | |
Berlin. | |
Matthias Freihof bekennt, dass viele Ostschwule, und eben nicht nur diese, | |
die Gemütlichkeit, das Familiäre, jener kleinen, überschaubaren Homoszene | |
vermissen, das in "Coming Out" festgehalten ist: "Diese kuschelige | |
Atmosphäre, man saß in Kneipen, quatschte. Natürlich ging es auch um Sex, | |
aber nicht nur. Heute hängen alle im Internet rum", sagt Freihof und | |
ergänzt, dass er selbst dies nicht tue. Er geht gern in "die Betty", | |
gemeint ist das Betty F. in Berlin-Mitte, unweit von jenem Ort, an dem sich | |
einst die legendäre Mulackritze befand, in der sich in den Zwanzigern | |
Marlene Dietrich gleichgeschlechtlich amüsierte. Hier geht es gemütlich zu, | |
der Laden ist winzig, plüschig. Mag auch die ganze Welt in Berlin sein, | |
hier kommt sie nicht rein. Viel zu voll. | |
Am Montag, den 9. November, feiern Defa-Stiftung, Progress Film-Verleih, | |
Icestorm Entertainment und das Kino International das 20-jährige Jubiläum | |
der Premiere, mit dabei Matthias Freihof, Dirk Kummer und Dagmar Manzel | |
sowie Thomas Gumpert, Walfriede Schmitt u. v. m. Im Kino International in | |
Berlin, ab 19 Uhr | |
9 Nov 2009 | |
## AUTOREN | |
Martin Reichert | |
Martin Reichert | |
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30 Jahre friedliche Revolution | |
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