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# taz.de -- Kommentar zu Berlins Mauerfall-Feiern: Schluss mit dem Mauern
> Berlin erinnert an den Mauerfall – und es geht dabei nicht nur ums
> Feiern.
Bild: Videoinstallation zum 30. Jahrestag des Mauerfalls auf dem Alex
Gänzlich unerkannt läuft Michael Müller durch die Menge am Alexanderplatz.
Es ist Montagabend, der 4. November. Vor 30 Jahren hat hier die vielleicht
größte Demo der deutschen Geschichte stattgefunden: Rund eine halbe Million
Menschen fordern Meinungsfreiheit und Reformen für die politisch und
wirtschaftlich marode DDR. Fünf Tage später fällt die Mauer, und einige
Monate darauf ist auch der ganze Staat Geschichte.
An diesem 4. November 2019 geht es nicht um Müller, sondern um die jüngste
Vergangenheit und darum, wie sie die Gegenwart prägt. Das ist dem
Regierenden Bürgermeister bewusst, der den rund tausend ZuschauerInnen auf
dem Alex bei der Eröffnung der einwöchigen Feierlichkeiten zum 30.
Jahrestag des Mauerfalls nicht nur viel Spaß, sondern auch viele neue
Erkenntnisse wünscht. Und eine Parallele zieht: Damals wie heute sei es
wichtig, aufzustehen für die Freiheit. „Wir kämpfen gegen jede Form der
Ausgrenzung“, erklärt Müller, und es ist offensichtlich, dass er damit auf
die AfD anspielt und deren jüngste Erfolge bei Landtagswahlen im Osten.
Kurz darauf werden Filmausschnitte von 1989 auf die Hausfassaden am Platz
projiziert: Bilder von Michail Gorbatschow und DemonstrantInnen, von Egon
Krenz und den Feiern auf der Mauer. „Das war schon Wahnsinn damals hier“,
sagt eine Frau im Publikum, sichtlich berührt. Und wer durchs Publikum
streift, hört Geschichten wie die von einem einstigen Theatermacher, den
die Stasi damals daran hinderte, zur Demo auf dem Alex zu kommen, weil
sie die Züge blockierte.
An insgesamt sieben historischen Orten erinnert Berlin an diese
Zeitenwende, mit insgesamt 200 Veranstaltungen. Es gibt die große Sause am
Brandenburger Tor am Abend des 9. November, dem eigentlichen Jahrestag, mit
Daniel Barenboim und Westbam. Aber es gibt vor allem viele kleinere
Angebote an sieben für den Mauerfall historisch bedeutsamen Orten, etwa in
der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg und in der früheren Stasizentrale
in Lichtenberg.
Bei vielen Veranstaltungen geht es um Dialog: zwischen jenen, die dabei
waren, und jenen, die damals vielleicht im Westen der Stadt lebten oder
noch gar nicht geboren waren. Es soll um die Fragen gehen, was erreicht
wurde und warum die Hoffnungen vieler DDR-BürgerInnen letztlich doch
enttäuscht wurden. Es gibt eine App, Workshops, Projektionen,
Filmvorführungen mit Diskussion.
30 Jahre ist der Fall der Berliner Mauer jetzt her, und diese 30 Jahre hat
es auch gedauert, bis Berlin endlich einen angemessenen Umgang mit dem für
die Stadt wichtigsten Ereignis seit 1961 gefunden hat. Viel Zeit. Aber
vielleicht braucht es eine Generation, eine neue Generation, um die
Trunkenheit der Wendezeit nüchtern und analytisch zu betrachten. Und
irgendwie auch zu feiern. Die PolitikerInnen trauen sich dieser Tage nicht
mehr, Versäumnisse und Fehler mit salbungsvollen Phrasen zu übertünchen;
die blöde Frage, ob die „Mauer in den Köpfen“ noch steht, spielt keine
Rolle mehr. Denn vielen ist inzwischen klargeworden: Es ist alles ein
bisschen komplizierter gewesen und geworden mit den Ost- und den
Westdeutschen und ihrer gemeinsamen Gesellschaft.
8 Nov 2019
## AUTOREN
Bert Schulz
## TAGS
30 Jahre friedliche Revolution
Mauerfall
Alexanderplatz
Michael Müller
Wir retten die Welt
Gedenken
30 Jahre friedliche Revolution
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Berliner Mauer
Mauerfall
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