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# taz.de -- Frisch gesichtet: Überlebensort Kino
> Wann die Berliner Kinos wieder öffnen bleibt ungewiss. Solidarische
> Verleihe, Archive und Bibliotheken zelebrieren in der Zwischenzeit die
> Filmkultur.
Bild: On the Beach at Night Alone, R: Hong Sang-soo, Südkorea 2017
Berlin taz | Wann können die im Rahmen der Corona-Pandemie seit gut zwei
Monaten geschlossenen Kinos wieder eröffnen? Eine eindeutige Antwort gibt
es im föderalen Deutschland darauf nicht. In Hessen dürfen sie bereits,
einige wenige andere Bundesländer wollen in den kommenden Tagen nachziehen.
Was genau die Kinos dort allerdings überhaupt spielen könnten, wenn sie
denn wollten, ist genauso unklar. Denn gerade erst tröpfeln von Seiten der
Filmverleiher erste neue Starttermin herein, die meisten davon frühestens
Mitte bis Ende Juni angesiedelt – und immer mit dem vorsichtigen Hinweis,
dass ja vielleicht doch noch alles anders kommen wird.
In Berlin bleiben die Kinos erst mal zu, in jedem Fall bis zum 5. Juni, und
das gilt auch für die Freiluftkinos. Im Übrigen bedeutet dieser Termin
nicht, dass die Kinos anschließend öffnen könnten. Sondern nur, dass man
dann noch einmal neu darüber nachdenkt. Als Kulturorte gelten Kinos ja
rechtlich sowieso nicht: Sie sind „Vergnügungsstätten“ und befinden sich
als solche in der guten Gesellschaft von Bordellen und Spielhallen. Nun ja.
Das alles bedeutet, dass die kleine Auswahl von Highlights aus dem Berliner
Repertoirekinoprogramm, die ich im Rahmen meiner Kolumne im taz Plan sonst
wöchentlich vornehme, diesmal zwangsläufig anders ausfallen muss. Streaming
und Video-On-Demand sind momentan das Gebot der Stunde. In der
Vergangenheit haben Untersuchungen zumindest gezeigt, dass die
Streaming-Dienste den Kinos keine Zuschauer wegnehmen: Wer sich gern Filme
ansieht, nutzt dafür einfach alle verfügbaren Medien. Ob die
augenblickliche, sehr spezielle Situation daran nun etwas ändert, wird man
später analysieren müssen.
## Verleih und Filmarchive aktiv für den Kulturort Kino
Aber es gibt ja auch prima Aktionen, wie die des Filmverleihs
[1][Grandfilm], der die Einnahmen aus seiner VoD-Plattform zur Hälfte mit
jenen Kinos teilt, mit denen der Verleih regelmäßig zusammenarbeitet.
Darunter sind auch Berliner Kinos wie das fsk, das Kino in der Brotfabrik,
das Wolf, die Hackeschen Höfe und der Filmrauschpalast zu finden.
Im Angebot hat Grandfilm beispielsweise die schöne leise Komödie [2][„On
the Beach at Night Alone“ (2017)] des koreanischen Regisseurs Hong
Sang-soo, die von einer jungen Schauspielerin erzählt, die gerade eine
Affäre mit einem verheirateten Regisseur beendet hat und Abstand bei einem
Aufenthalt in Hamburg sucht. Später reist sie zurück nach Korea und trifft
alte Freunde. Ein absolut typischer Film des Regisseurs, der seine Werke
regelmäßig bei der Berlinale zeigt: eine wortreiche Geschichte über ein
Leben voller Optionen, die seine entscheidungsschwachen Protagonisten
letztlich nie wahrnehmen, weil es viel zu viele davon gibt.
Einen Streamingbereich hat auch das Kino Arsenal geschaffen: Als
[3][Arsenal 3] bereits seit letzten Herbst als Angebot für Mitglieder in
Betrieb, ist die Plattform nun offen für alle Zuschauer. Alle zwei Wochen
wechselt das Programm, bis 15.5. sind hier Filme zum Thema Arbeit zu sehen,
darunter Ute Aurands Dokumentation „In die Erde gebaut“ (2008), in der sie
die Errichtung des Erweiterungsbaus des Museums Rietberg in Zürich filmisch
begleitet, sowie Harun Farockis kommentarloser Film-Essay „Zum Vergleich“
(2009), der am Beispiel der Produktion von Ziegelsteinen die
unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in Europa, Afrika und dem indischen
Subkontinent beleuchtet.
Im Arsenal 3 sind die Filme kostenlos abzurufen, das Kino bittet das
Publikum jedoch um Spenden, um den Filmemacher*innen und Lizenzgeber*innen
später angemessene Lizenzgebühren zahlen zu können. Nutzername und Passwort
sind auf der Webseite des Arsenal einzusehen, ebenso wie das jeweils
aktuelle Programm.
## Gut sortierte Filmauswahl in öffentlichen Bibliotheken
Ebenfalls kostenfrei kommt das Streaming-Angebot der Öffentlichen
Bibliotheken Berlins für Inhaber eines gültigen Bibliotheksausweises daher.
Man muss sich lediglich mit der Benutzernummer auf der Webseite
[4][voebb.filmfriend.de] anmelden, dann steht eine durchaus ansprechende
Auswahl zur Verfügung: deutsche und internationale Spielfilme, viele
Dokumentarformate und auch Kinderfilme. Thematische Sortierungen bieten
einen guten Überblick, zum Beispiel über Musikfilme.
Dazu gehört etwa der attraktive spanische Animationsfilm „Chico & Rita“
(2010), ein Melodram um das Auf und Ab einer (Nicht-)Beziehung zwischen der
kubanischen Sängerin Rita und dem Pianisten und Komponisten Chico, das sich
vor dem Hintergrund des präkommunistischen Havanna und der Bebop-Jazzära in
New York entwickelt. Dabei setzen die Regisseure Fernando Trueba und Javier
Mariscal auf eine klare Abgrenzung zum Computeranimationsfilm: Die
handgezeichneten Figuren sind eher flächig als realistisch angelegt, eine
zurückgenommene Farbpalette aus Braun-, Grau- und Gelbtönen stilisiert die
Schauplätze des Geschehens noch zusätzlich und verleiht ihnen die Patina
der Erinnerung an vergangene Zeiten.
Ebenfalls im Programm findet sich mit „Ex Libris“ (2017) ein wunderbarer
Dokumentarfilm des großen amerikanischen Regisseurs Frederick Wiseman über
die Arbeit der [5][New York Public Library], einer öffentlichen Bibliothek
mit über 90 Zweigstellen. In einer Zeit, in der die amerikanische
Gesellschaft gespalten wie nie zuvor ist, erzählt „Ex Libris“ von der
Teilhabe: an Bildung, am Internet, an kulturellen Veranstaltungen. Ein
Gegenentwurf zum Trump-Amerika, ein Film über das Miteinander, über soziale
Verantwortung und Solidarität. Und das passt dann ja auch ganz gut zu den
außergewöhnlichen Zeiten, in denen wir uns momentan gerade befinden.
14 May 2020
## LINKS
[1] https://grandfilm.de/
[2] https://grandfilm.de/on-the-beach-at-night-alone/
[3] https://www.arsenal-berlin.de/en/join/arsenal-3/login.html
[4] https://voebb.filmfriend.de/en/home
[5] https://www.nypl.org/
## AUTOREN
Lars Penning
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