# taz.de -- Filmtipps für Berlin: Nicht ewig Trübsal blasen | |
> Gute-Laune-Filme, interessante Dokus und ein anarchistischer Klassiker: | |
> Die Programmkinos haben endlich ihren Betrieb wieder aufgenommen. | |
Bild: Unterhaltsam: Im Zeughauskino läuft eine Reihe über den Schauspieler Ad… | |
Die Kinos spielen, seit gut einer Woche ist das Filmegucken auf der großen | |
Leinwand nun wieder möglich. Ob sich das bei aufgrund der | |
Corona-Hygienevorschriften deutlich reduziertem Platzangebot für die | |
Kinobetreiber*innen und die Filmverleihe am Ende rechnen wird, ist jetzt | |
noch nicht schlüssig zu beantworten. | |
Wer bislang auf Blockbusterkino und Vollauslastung gesetzt hat, wird wohl | |
Probleme bekommen, wer hingegen schon immer mit „kleineren“ Filmen | |
kalkulierte, mag vielleicht über die Runden kommen. Schwer wird es aber für | |
alle werden. | |
Doch man kann nicht ewig Trübsal blasen. Deshalb gibt es in dieser | |
Kinokolumne zunächst den Hinweis auf einen ausgesprochenen Gute-Laune-Film: | |
Stanely Donens Kriminalkomödie „Charade“ gehört zu den gelungensten | |
Hommagen an die Filme von Alfred Hitchcock und bedient sich dazu eines | |
Konstruktionsprinzips, bei dem alle Szenen stets darauf hinauslaufen, die | |
von Cary Grant gespielte männliche Hauptfigur abwechselnd zu belasten und | |
zu entlasten. | |
Hilft Peter Joshua (Grant) der armen Regina Lampert (Audrey Hepburn) nun | |
ganz uneigennützig, den Verbleib des Geldes ihres vorzeitig und unsanft | |
verblichenen Gatten ausfindig zu machen, oder hat er vielleicht ganz andere | |
Interessen? Und heißt er überhaupt Peter Joshua? „Charade“ lebt von | |
permanenten Stimmungswechseln, die das Komische innerhalb von Sekunden ins | |
Makabere oder das Romantische ins Bedrohliche kippen lassen (12. 7., 15.30 | |
Uhr, [1][Bundesplatz-Kino]). | |
Auch eher lustig und unterhaltsam, dabei aber schöne Beispiele für die | |
große Stilsicherheit deutscher Komödien der frühen 30er-Jahre, sind | |
Reinhold Schünzels leicht subversiver Verwechslungsklassiker „Viktor und | |
Viktoria“ (11. 7.,18 Uhr, [2][Zeughauskino]) und Ludwig Bergers Musikfilm | |
„Walzerkrieg“ (15. 7., 19 Uhr, Zeughauskino). In beiden Filmen wird die | |
Hauptrolle jeweils von dem großen Adolf Wohlbrück verkörpert, dem das | |
Zeughauskino bis September eine umfangreiche [3][Retrospektive] widmet, | |
übrigens überwiegend mit analogen Filmkopien. | |
Wer Sinn für das Anarchische besitzt, der mag sich vielleicht gern noch | |
einmal den unlängst verstorbenen Michel Piccoli in einer seiner | |
markantesten Rollen ansehen: In „Themroc“ (1973) präsentiert Regisseur | |
Claude Faraldo den Schauspieler als modernen Höhlenmenschen, der die | |
Außenwand seiner Wohnung zerstört und Polizisten am Spieß brät. Zu sehen | |
ist dies im [4][Filmmuseum Potsdam] (12. 7., 19 Uhr), dessen Kino momentan | |
bei eingeschränktem Spielbetrieb nur an den Wochenenden öffnet. | |
Ebenfalls kürzlich verstorben ist der bulgarische Künstler Christo. In dem | |
Dokumentarfilm „Christo – Walking on Water“ ist er noch einmal mit seinem | |
Projekt „The Floating Piers“ (2016) zu sehen, bei dem mit gelbem Stoff | |
bespannte Stege den italienischen Iseosee mit seinen Inseln Monte Isola und | |
Isola di San Paulo für 16 Tage begehbar machten. | |
Während zu solchen Großprojekten früher die Überzeugungsarbeit bei | |
Politikern und Vertretern kommunaler Behörden unabdingbar dazugehörte, | |
spielt dies in den späten Jahren von Christos Künstlerkarriere offenbar | |
keine große Rolle mehr. Denn da fanden alle Christo ganz toll – und wenn | |
schon nicht aufgrund von Kunstsachverstand, dann zumindest dank der | |
Touristenströme, die seine Werke anlockten. | |
Also werden andere Dinge wichtiger: etwa die von einem heftigen Sturm | |
behinderten Installationsarbeiten, vor allem aber das Chaos, das die | |
Besuchermassen verursachen und das beinahe zum Abbruch des Projektes führt. | |
Und es gibt die tragikomischen Seiten des Ruhms: der lustlose Christo bei | |
einem Dinner mit der High Society und beim Selfie mit Touristen – wie | |
anstrengend! Der Film von Andrey Paounov blickt liebevoll-ironisch auf den | |
nicht immer einfachen Künstler und den manchmal merkwürdigen Kunstbetrieb, | |
der sich um ihn herum etabliert hatte (13. 7., 14.7., 13 Uhr, [5][IL | |
Kino]). | |
Um Kunst geht es auch in Ulrike Ottingers „Paris Calligrammes“, einem | |
autobiografischen Dokumentarfilm über ihre ersten Wochen im Paris der | |
frühen 60er-Jahre, der schon einmal bei der Berlinale lief, dessen | |
Kinostart im März jedoch wegen Corona abgebrochen werden musste. „Ich | |
interessierte mich für alles“, sagt sie da, „die Straßen, die Cafés, die | |
Museen, die Kinos und die Jazzclubs.“ | |
Mit offenen Augen und wachem Geist die Welt wahrzunehmen, ist zweifellos | |
eine gute Voraussetzung für eine Künstlerin, die sich auch in der | |
Kunstgattung nie festlegen ließ: Ottinger ist Malerin, Grafikerin, | |
Fotografin und Filmemacherin, und die Jahre von 1962-1969 in Paris prägten | |
ihre Entwicklung nachhaltig. | |
Sie verkehrte mit deutschen Emigranten in Fritz Picards „Librairie | |
Calligrammes“, traf Dadaisten und Surrealisten in den künstlerischen | |
Salons, lernte alles über die Radiertechnik im Atelier von Johnny | |
Friedlaender, malte Gemälde im Stil der Nouvelle Figuration, der Pariser | |
Pop Art, und guckte Filme in der Cinémathèque Française. | |
Und bei alledem schwang immer auch die aktuelle politische Entwicklung mit, | |
im Frankreich jener Jahre stark geprägt vom gerade beendeten Algerienkrieg | |
und der noch immer allgegenwärtigen Kolonialzeit. Nicht zuletzt durch | |
Ethnologen wie Claude Lévy-Strauss und Jean Rouch wurde Ottingers Interesse | |
an den außereuropäischen Kulturen befeuert. | |
Ihre Pariser Jahre macht die Regisseurin mit viel Archivmaterial aus | |
Dokumentationen, Spielfilmen, TV-Interviews wieder lebendig, ein paar | |
aktuelle Besuche an damals wichtigen Orten gibt es auch. Was Ottinger dabei | |
gelingt, ist am Ende nicht nur ein lehrreiches Flanieren in der eigenen | |
Biografie, sondern ein Zeitdokument im Sinne von Jean Rouchs Idee eines | |
lebendigen Museums, in dem sich Vergangenes und Gegenwärtiges glücklich | |
verbinden (11. 7., 12. 7., 15 Uhr, [6][fsk-Kino]; 14. 7., 18.45 Uhr, 15. | |
7., 18.30 Uhr, [7][City Kino Wedding]; 15. 7., 15.30 Uhr, | |
Bundesplatz-Kino). | |
Auch wieder am Start ist das [8][Arsenal Kino]: im traditionellen Saal | |
zurzeit mit einer Fortsetzung der Filmreihe „[9][Black Light“], ab 15. 7. | |
dann mit der alljährlichen [10][Andrej-Tarkowskij-Retrospektive] sowie – | |
ganz neu als [11][Arsenal 5] – ab dem 16.7. mit einem Open Air Programm im | |
[12][Haus der Kulturen der Welt]. | |
Da geht es dann 6 Wochen lang unter anderem um den Experimental-Essayisten | |
James Benning, der vier Ecken in Amerika gefilmt hat („Four Corners“, 17. | |
7.) oder um Musik-Idol Ricky Shayne, der in einem Film von Stephan Geene | |
porträtiert wird („Shayne“, 20. 8.) und anlässlich der Filmvorführung au… | |
live auftreten will. Es bleibt in jedem Fall spannend! | |
10 Jul 2020 | |
## LINKS | |
[1] http://www.bundesplatz-kino.de/ | |
[2] https://www.dhm.de/zeughauskino/ | |
[3] https://www.dhm.de/zeughauskino/filmreihen/wohlbrueck-walbrook.html | |
[4] https://www.filmmuseum-potsdam.de/ | |
[5] https://ilkino.de/ | |
[6] https://fsk-kino.peripherfilm.de/ | |
[7] http://citykinowedding.de/ | |
[8] https://www.arsenal-berlin.de/home.html | |
[9] https://www.arsenal-berlin.de/kalender/filmreihe/article/8403/2796.html | |
[10] https://www.arsenal-berlin.de/kalender/filmreihe/calendar/2020/july/15/art… | |
[11] https://www.arsenal-berlin.de/kino-arsenal/programm/einzelansicht/article/… | |
[12] https://www.hkw.de/de/index.php | |
## AUTOREN | |
Lars Penning | |
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