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# taz.de -- Robert Stadlober über das Filmgeschäft: „Kultur ist ein Lebensm…
> Vor 20 Jahren erschien der kontroverse Teenager-Film „Crazy“ mit
> Schauspieler Robert Stadlober. Aktuelle Jugendfilme findet er häufig zu
> gleichförmig.
Bild: Spielte früher oft Rebellen, gilt heute selbst als einer: Schauspieler u…
taz: Herr Stadlober, Ihren Durchbruch hatten Sie vor genau 20 Jahren mit
dem Jugenddrama „Crazy“. Er wurde damals kontrovers diskutiert. Sind
deutsche Zuschauer*innen immer noch so spießig?
Robert Stadlober: „Crazy“ war mehr als nur ein Produkt, um junge
Käuferschichten abzuholen. Der Film hat Dinge über das Leben transportiert,
die jungen Menschen, inklusive mir, geholfen haben, halbwegs vernünftig in
dieses Leben starten zu können. Ich möchte dem deutschen Kino nicht ans
Bein pinkeln, aber ich habe das Gefühl, dass damals bei Jugendfilmen mehr
versucht wurde als jetzt. Mitte und Ende der 90er Jahre wurde viel Geld in
die Hand genommen, um anspruchsvolles Kino für junge Menschen zu machen,
das von ihnen angenommen wurde. Klar, es gibt auch jetzt noch den ein oder
anderen Film, der aus der Masse heraussticht, aber der Mainstream ist
produktorientierter und gleichförmiger geworden. Bei ein paar Filmen von
früher denke ich mir: Wow, dass der so viele Zuschauer hatte.
Was hat sich verändert?
Schon damals wurde der Markt von den immer gleichen Beziehungskomödien
überschwemmt. Aber Ende der 90er Jahre gab es ein Zeitfenster, in dem die
Gleichförmigkeit aufgebrochen wurde. Damals entstand eine neuartige
Jugendkultur, die Inhalte transportiert hat. Mittlerweile wird Kino viel
mehr von den Regeln des Markts bestimmt. Der Mainstream-Film ist eine
Geldmaschine. Vielleicht findet selbstbestimmte Jugendkultur auch woanders
statt. Auch weil Jugendliche inzwischen mehr Möglichkeiten haben und nicht
mehr alle das Gleiche gucken müssen.
Sie meinen digitale Möglichkeiten wie Netflix und Youtube?
Der Monopolismus ist zumindest weg. Jetzt nehmen die Jugendlichen es selbst
in die Hand. Da wird ein neuer Youtube-Channel gegründet, von dem wir noch
nie gehört haben, und siehe da: zwei Millionen Follower. Es braucht keine
Redaktion mehr, um Jugendliche zu Stars zu machen. Das ist vielleicht auch
eine gute Entwicklung.
Wer Sie aktuell sehen möchte, kann sich ja unter anderem „Das Boot“
anschauen. Was unterscheidet die neue Serie von einem gewöhnlichen Sequel
oder Remake des Originalfilms von 1981?
„Das Boot“ ist ja kein Remake des Originals, die Serie setzt dort an, wo
der Film aufhört. Ich denke, es ist eine im besten Sinne kommerzielle
Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit. Man erzählt [1][mit
der Marke „Das Boot“] vor dem Panorama des Films eine epische Geschichte
über den Zweiten Weltkrieg. Es ist auch nicht das Schlechteste, sich im
Mainstream-Fernsehen mit der grauenhaften Ideologie der Nazizeit
auseinanderzusetzen. Kulturpolitisch gesehen ist das vielleicht sogar
sinnvoller als ein allzu anspruchsvolles Machwerk, das am Ende zwölf Leute
im Kino um die Ecke schauen. Das Tolle an populärer Kultur ist, dass es
Leute dazu bringen kann, sich tiefergehend mit einem Thema zu beschäftigen.
„Das Boot“ bringt vielleicht auch Leute zum Nachdenken. Und bestenfalls
hilft die Serie auch, die paar Pfeifen in die Schranken zu weisen, die der
Meinung sind, dass es tatsächlich etwas Gutes an dieser Zeit gab. Wir
wissen ja, dass sie mittlerweile wieder im Parlament sitzen.
Ob man diese Leute noch erreichen kann?
Das nicht, aber man kann junge Menschen erreichen. Die lernen dann
vielleicht, dass es Schwachsinn ist, was ein Gauland sagt. Dass
Nationalstolz und das Beharren auf Blut und Erde genau zu der Scheiße
führt, wegen der Millionen von Menschen umgebracht wurden. Vielleicht
wollen sie dann nichts mehr mit rechten Parteien wie der AfD und ihrem
rückwärtsgewandten Denken zu tun haben. Möglicherweise ist so etwas ist mit
einem Blockbuster einfacher zu bewirken als mit gleichförmigem
Geschichtsunterricht.
Was hat Sie politisiert?
Ich bin Mitte der 90er politisiert worden, da ist auch eine Menge passiert.
Jacques Chirac, Atomtests auf dem Mururoa-Atoll, die brennenden
Asylbewerberheime. In Berlin und Brandenburg waren auch Attacken von
Rechten auf Jugendkultureinrichtungen eine echte Gefahr.
Macht Sie als Linker die Politik manchmal depressiv?
Was heißt als Linker? Als Mensch macht mich die Politik wütend. Und
traurig. Das Absurde an der Coronakrise ist, dass man sieht, auf welcher
Seite Politiker*innen stehen. Wenn eine Gesellschaft es sich leisten kann,
Menschen [2][für die Spargelernte] nach Deutschland zu holen, kann sie es
sich auch leisten, Menschen zu retten, die vor Krieg und Vertreibung
flüchten. Wer etwas anderes sagt, ist Zyniker oder Faschist.
Sie arbeiten an einem Theaterprojekt, mit dem Sie ab Oktober touren wollen.
Wegen des Pandemieschutzes proben Sie virtuell. Wie läuft das so?
Noch nicht so gut. Das Stück ist sehr musikalisch. Die Liedergerüste sind
schon geschrieben und jetzt wollen wir daraus fertige Stücke machen, bei
denen jeder mit seinem Instrument noch etwas hinzufügt. Und das ist
leichter, wenn man sich gegenseitig sieht, spürt und riecht. Über den
Bildschirm ist das abstrakt, eine neue Form des Arbeitens, an die ich mich
noch nicht gewöhnt habe. Es gibt durchaus großartige Platten, die schon
seit Jahren so entstehen. Das heißt, die Zukunft hat schon längst
stattgefunden, nur ich bin ihr noch nicht hinterhergekommen. Es geht [3][um
Stefan Heym], einen jüdischen deutschen Schriftsteller, der noch unter dem
letzten Kaiser geboren wurde und dann vor den Nazis in die USA flüchten
musste. Schließlich ist er in den 1950er Jahren in die DDR gezogen und
einer der genauesten Beobachter des deutsch-deutschen Teilungsprozesses
geworden. Nach der Wende war er bei der PDS auch im wiedervereinigten
Deutschland politisch aktiv und eine laute Stimme gegen das Wiedererstarken
völkischen Denkens. Das Stück wird eine Collage aus seinen frühen
expressionistischen Gedichten, aus denen ich Lieder gemacht habe, und
seinen Prosatexten.
Wie kann man sich am besten mit Kino und Kultur solidarisch zeigen?
Mittlerweile starten ein paar kleine Filme virtuell. Man kauft sich ein
Kinoticket und kann sich den Film im Internet angucken. Zum Beispiel auch
bei einem Film, in dem ich mitwirke – [4][der Musikdoku „Die Liebe frisst
das Leben“] von meinem Freund Oliver Schwabe. Das Geld kommt nicht nur den
Filmmachern, sondern auch den Programmkinos zugute. Das fühlt sich gut an,
weil es so wahrscheinlicher wird, dass es auch in einem Jahr noch ein Kino
geben wird, in das man gehen kann. Es ist schön zu sehen, dass es eine
Sehnsucht nach Kultur gibt. Die Leute wollen sich nicht nur zu Hause
irgendwelche Konservenprodukte anschauen, sondern sie haben Sehnsucht nach
einem Live-Erlebnis. Live-Streaming funktioniert so gut, weil die Zuschauer
etwas haben möchten, mit dem sie sich auseinandersetzen können. Sie
brauchen anscheinend Theater und Konzerte. Das müssen jetzt nur noch ein
paar Entscheider an den Geldtöpfen sehen. Kultur ist ein Lebensmittel wie
Brot. Ohne Theater kann man nicht leben.
13 May 2020
## LINKS
[1] /TV-Serie-Das-Boot/!5548888
[2] /Tod-des-coronainfizierten-Erntehelfers/!5680825
[3] /!1135177/
[4] https://mindjazz-pictures.de/filme/die-liebe-frisst-das-leben/
## AUTOREN
Matej Snethlage
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