| # taz.de -- Indielabel-Porträt Siluh Records: Die Crème de la Crème der Wien… | |
| > In der österreichischen Hauptstadt hat das umtriebige Indielabel Siluh | |
| > Records seine Zentrale und fördert Perlen. Ein Ortsbesuch im 20. Bezirk. | |
| Bild: Jangle und Twee an der Donau so schee: Laundromat Chicks | |
| Wien taz | Kein Zweifel: Überall spukt das Gespenst der Nostalgie, ganz | |
| bestimmt auch in Wien an der schönen Donau. „Man war halt in diesem | |
| Musik-Dings drinnen, was blieb einem anderes übrig, als irgendwann selbst | |
| ein Label zu gründen.“ | |
| Die Tendenz zur Verklärung liegt ebenso in den lockeren Sprüchen und den | |
| von adoleszentem Übermut handelnden Erzählungen, die uns der Kopf hinter | |
| dem österreichischen Indie-Label Siluh Records, Bernhard Kern, 45, beim | |
| Gespräch in seinem Plattenladen präsentiert. Zum Plattenladen später mehr. | |
| Bernhard Kern hat sich das Schwelgen wahrlich verdient. Er hat einen | |
| umfangreichen Katalog mit aktuell 132 Veröffentlichungen beisammen. So | |
| tolle Bands wie das Wiener Trio Dives (Dora de Goederen, Tamara | |
| Leichtfried und Viktoria Kirner): Ihr unkorrumpierbarer Garagenindierock | |
| hat Grunge-Anleihen, kommt aber ohne nervige Breitbeinigkeit aus und weist | |
| [1][neben der ansteckenden Aufbruchstimmung der Riot Grrrls], auch eine | |
| gewisse Wiener Morbidität auf. | |
| ## Einfach nur drei | |
| Über Dives spricht Kern mit der gleichen Warmherzigkeit wie über die vielen | |
| anderen Bands, die er in nun zwei Dekaden der Öffentlichkeit präsentiert | |
| hat. Siluh, „das heißt in der Sprache der Rapa Nui, der Osterinsulaner, | |
| einfach nur drei“, das Label ist seit Tag eins ein Herzensprojekt, das sich | |
| gegen die Widerstände der korporativen Musikwelt behauptet. | |
| 2005, im Gründungsjahr von Siluh, war man in den Ausläufern der ersten | |
| großen Krise der Musikindustrie, was zur Folge hatte, dass gerade | |
| Indielabels sich schwerer taten, wirtschaftlich zu arbeiten. Es fehlte an | |
| Werbebudgets, was wiederum zu weniger Berichterstattung führte. Alle | |
| [2][schrieben damals Titelstorys über die schottische Indie-Combo Franz | |
| Ferdinand], aber niemand beachtete die Band Gschu aus St. Pölten. | |
| ## Schnappsidee mit Bier | |
| Damit sich das ändert und seine Jugendfreunde ihr Stück „Electricity“, ein | |
| eifriger Indiesong, der an Großtaten von The Notwist erinnert, auf | |
| Tonträger veröffentlichen können, gründet Bernhard Kern in einer | |
| nächtlichen Parallelaktion Siluh. Da die Domäne der Nacht ist, Schnapsideen | |
| zu produzieren und rein zufällig gerade ein Bausparvertrag ausläuft, | |
| besiegelt Kern mit seinem alten Kumpel, [3][dem Schauspieler Robert | |
| Stadlobe]r, den Entschluss mit einer Reihe an Bieren. | |
| Doch anders als bei anderen ehernen Gelöbnissen zu fortgeschrittener | |
| Stunde, geht man das Versprechen Siluh tags darauf tatsächlich an. | |
| Zugegeben, unbedarft oder naiv waren weder Kern noch Stadlober: Letzterer | |
| hatte durch seine Rollen in Kinokassenschlagern bereits einen Majordeal mit | |
| der Band Gary abstauben können. | |
| Stadlobers Durchbruch in der Verfilmung von Benjamin Leberts | |
| Coming-of-Age-Roman „Crazy“ lag damals erst kurz zurück. Neben weiteren | |
| Filmprojekten wurde dann die eigene Band lanciert: Gary, deutlich vom | |
| Garagerock-Revival der New Yorker Strokes beeinflusst, kam (nicht nur) | |
| wegen des guten Rufs des Frontmanns gut an. | |
| [4][Kerns Erfahrungswelt war da schon klandestiner.] Auch wenn man es ihm | |
| im Gespräch nicht anmerkt, ist Kern nämlich ein Getriebener, der teils | |
| durch das Ethos von Do-it-Yourself, halb aus einer tiefverwurzelten | |
| Leidenschaft zur Gitarrenmusik schon als Jugendlicher „machen“ wollte. | |
| Seine ersten Erfolge gelangen ihm entsprechend aus dem Jugendzimmer heraus. | |
| ## Der Microbauchladen | |
| Hier gründete er unbedarft einen Mailorder-Vertrieb, „Microbauchladen“ | |
| genannt, der sich großer Beliebtheit in der deutschsprachigen Indie-Szene | |
| erfreute. Kern erkannte 1999, dass die Zukunft im Internet liegt und setzte | |
| auf die damals (nicht nur) in Indiekreisen misstrauisch beäugte digitale | |
| Technik. Es zog ihn schon im Herbst 2000 in die (Kultur-)Metropole Wien. | |
| Zwischendrin versucht er es selbst mit Musik, seine Band Jugendstil | |
| feierte zwar keine großen Erfolge – ihren Sound beschreibt er heute als | |
| „grauslich“ –, immerhin machte sie ihn zu einer Nachwuchsgröße der Szen… | |
| Die Bekanntschaft mit Stadlober ist Ergebnis eines Wiener | |
| Indie-Bohemien-Lebens. | |
| „Wir machten anfangs Babysteps: Wie wendet man sich ans Presswerk? | |
| Anschreiben und schauen! Auf welche Weise vertreibt man die Platten? | |
| Kontakte nutzen. Einen professionellen Vertrieb, Broken Silence, hatten wir | |
| dann erst, als wir angefangen haben, Vinyl zu produzieren.“ | |
| ## Prominenz sorgt für Cashflow | |
| Es klingt in der Rückschau unkompliziert, in der Realität half Stadlobers | |
| Prominenz: „Das Label von Robert Stadlober will man im Vertrieb haben. | |
| Roberts Name war anfangs oft mehr wert als der Cashflow, den man hatte.“ | |
| Nach etwas mehr als drei Jahren änderte sich die Situation, denn Stadlober | |
| zog es zurück nach Deutschland und so legte der Schauspielstar die Zügel in | |
| die Hände Kerns. | |
| Der war in der Zwischenzeit eh zum programmatischen Fixpunkt geworden – | |
| sein Nebenjob half ihm dabei. „Ich arbeitete als Fahrer für ein Labor und | |
| hörte, während ich am Steuer saß, ein Demotape nach dem nächsten. Das war | |
| praktisch.“ Sitzt man mit Kern in seinem pragmatisch mit Industrieregalen | |
| eingerichteten Büro im 20. Wiener Bezirk, dem südlichen Brigittenau, | |
| inmitten von Hunderten Vinylexemplaren. | |
| ## Mehr Heavy Rotation, aber dalli | |
| Dann trügt der Eindruck aber doch, denn Kern ist kein emotionsloser | |
| Zweckmäßler, sondern brennt für die Sache. Das merkt man besonders, wenn er | |
| sich ärgert: Darüber, dass die Bands von Siluh Records verhältnismäßig | |
| selten in die Heavy Rotation von öffentlich-rechtlichen Radiosendern kommen | |
| – was den Bands und ihm freilich etwas mehr Honorar bescheren würde. | |
| Sein Unverständnis ist nachvollziehbar, denkt man an die vortrefflichen | |
| Shoegazer von Culk, die sinistren Gitarrensound feilbieten. Eigentlich ein | |
| Geschenk für deutschsprachige Radiosender. Man spürt, dass er sich gefreut | |
| hätte, wenn sich die große Austropop-Welle im Jahr 2015 nicht auf die | |
| beiden krachledernen Bands Wanda und Bilderbuch kapriziert hätte, sondern | |
| die gesamte Szene erfasst hätte, als „in Wien seinerzeit an jeder Ecke eine | |
| neue, super Band entstanden“ sei. | |
| Die Freude über das eigene Schaffen überwiegt am Ende aber doch. Nachgerade | |
| stolz spricht Bernhard Kern davon, wie Siluh Records mit Bands wie Francis | |
| International Airport und Dives inzwischen ausreichend positives Feedback, | |
| Meriten und auch Einnahmen zurückbekommen hat. Davon kann Kern mittlerweile | |
| sogar leben und das Konto trotzdem im Plus halten. | |
| Nichtsdestotrotz passt zum Macher Bernhard Kern, dass er nicht nur | |
| weitermacht, sondern sogar expandiert. Mittlerweile gibt es, als | |
| Nebenprodukt der Coronazeit in gewisser Weise, einen Plattenladen, „Siluh | |
| Laden“, der gleichzeitig Firmenzentrale ist; hier pflegt Kern einen | |
| kleinen, aber wirklich feinen Bestand an Vinylalben, der sich | |
| zeitgenössisch zwischen Indierock und interessanten | |
| Wiederveröffentlichungen aus dem Global-Pop entlangschlängelt. Jetzt kann | |
| man hier Platten durchwühlen und, das ist Kern sogar am liebsten, mit | |
| Kundschaft über Musik philosophieren. | |
| Denn dieser Austausch ist, was ihn auch nach 20 Jahren nicht müde werden | |
| lässt: „Wenn mir die jungen Leute von der Band Laundromat Chicks von ihren | |
| Neuentdeckungen erzählen – und dann sind das so superinteressante Bands aus | |
| den Achtzigern, von denen ich noch nie gehört habe –, weiß ich sofort | |
| wieder, warum ich das mache.“ Vielleicht hilft aber auch, dass die | |
| Laundromat Chicks mit ihrem Jangle- und Twee-Sound durchaus an die 1990er | |
| und integre Bands wie die Schotten von Belle & Sebastian erinnern. | |
| Wir drücken auf jeden Fall die Daumen, dass es noch mal mindestens 20 Jahre | |
| so weitergehen kann. | |
| 12 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Lars Fleischmann | |
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