| # taz.de -- Film „Führer und Verführer“ im Kino: Opfer der eigenen Inszen… | |
| > „Führer und Verführer“ will hinter die Kulissen der Macht im | |
| > Nationalsozialismus blicken. Doch der Spielfilm verwirrt mehr, als dass | |
| > er aufklärt. | |
| Bild: Adolf Hitler (Fritz Karl) interveniert bei den Eheleuten Magda (Franziska… | |
| Viel höher kann man die Latte nicht hängen. „Führer und Verführer“ will | |
| nicht nur „ins Innere der Macht“ der Nationalsozialisten blicken. Als ob | |
| das nicht schon genug wäre, beansprucht der Film zudem, „die Lügen der | |
| Täter zu durchschauen“ und damit ein Werk gegen die Verführung zu schaffen. | |
| Gäbe es eine bessere Zeit als jetzt, da [1][rechte Populisten in | |
| Deutschland wie in halb Europa] auf dem Vormarsch sind, um die Lügen und | |
| Propagandamärchen eines Joseph Goebbels zu zerlegen? | |
| Tatsächlich haben sich Inszenierung und Sprache des Propagandaministers | |
| tief in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegraben – wer kennt | |
| nicht seinen Ruf „Wollt Ihr den totalen Krieg?“, gefallen 1943 im Berliner | |
| Sportpalast und vom tosenden (und ausgesuchten) Publikum tausendfach mit | |
| einem „Ja!“ beantwortet? Die Nazis mögen den Krieg verloren haben, ihre | |
| Propaganda, wiewohl von späteren Generationen als eher altbacken empfunden, | |
| wirkt bis heute. | |
| ## Goebbels steht im Mittelpunkt | |
| Joseph Goebbels, großartig gespielt von Robert Stadlober, steht denn auch | |
| konsequenterweise im Mittelpunkt des mehr als zweistündigen Streifens über | |
| die NS-Machtzentrale. Hier tauchen sie alle auf, nicht nur Goebbels, | |
| sondern natürlich auch Adolf Hitler (Fritz Karl) und Konsorten. | |
| Der [2][Regisseur Heinrich Breloer] hat mit seinen meisterlichen | |
| Doku-Dramen vorgemacht, was Filme historisch zu leisten imstande sind. In | |
| seinen Fernsehproduktionen wie „Die Manns“ (über die Familie von Thomas | |
| Mann) oder „Wehner – die unerzählte Geschichte“ verband er fiktionale, a… | |
| an der Realität orientierte Szenen mit Zeitzeugen-Interviews. | |
| Zu keiner Sekunde lief der Zuschauer Gefahr, das dramatische Spiel mit der | |
| nicht minder aufrüttelnden Dokumentation zu verwechseln. „Führer und | |
| Verführer“ von Regisseur Joachim A. Lang aber scheitert genau daran. | |
| Das liegt nicht an den Schauspielern, sondern am Konzept. Dieser Film, der | |
| die Perspektive der Täter zum Inhalt hat, treibt ein Spiel mit Zitaten, die | |
| dem Zuschauer undurchschaubar sind. „So oder so ähnlich“ hätte das | |
| Nazi-Führungspersonal tatsächlich gesprochen, heißt es gleich zu Beginn. | |
| Es ist dieses „so ähnlich“, das den Betrachter immer ratloser macht, je | |
| länger der Film dauert. Denn er erfährt an keiner Stelle, welche Zitate | |
| denn nun verbürgt, also durch historische Quellen belegt sind, und welche | |
| lediglich von der Filmcrew als „könnten so gefallen sein“ inszeniert | |
| wurden. Da hilft es auch nicht, dass der renommierte Historiker und | |
| Goebbels-Biograf Peter Longerich zu den Beratern des Films zählte. | |
| ## Nur vermeintlich historische Tatsachen | |
| So produziert „Führer und Verführer“ vermeintlich historische Tatsachen, … | |
| in Wahrheit Historiker seit Jahrzehnten damit beschäftigt sind, der | |
| Realität nachzuspüren. Bis heute ist unklar, ob und wann Hitler jemals | |
| einen schriftlichen oder mündlichen Befehl zur Ermordung der europäischen | |
| Judenheit gegeben hat oder ob der Holocaust ohne diese ausdrückliche | |
| Anweisung in Gang gekommen ist. Im Film aber erklärt Hitler gegenüber | |
| Heinrich Himmler umstandslos: „Ich befehle, alle Juden zu vernichten.“ | |
| Und der Zuschauer mag denken, ach, so ist das also gewesen, obwohl genau | |
| dies unklar ist. Dann folgt die bekannte Posener Rede von Heinrich Himmler, | |
| in der dieser 1943 gegenüber SS-Personal offen den Judenmord anspricht und | |
| glorifiziert. Diese Worte wiederum sind authentisch. Aber welcher Zuschauer | |
| weiß das zu unterscheiden? | |
| So wird „Führer und Verführer“ zum Opfer der eigenen Inszenierung, die auf | |
| pure Authentizität setzt und durch die Verknüpfung von Spielfilmszenen mit | |
| alten Wochenschau-Bildern die eigene Glaubwürdigkeit auch noch veredelt. | |
| Dazu kommen die Kurzauftritte prominenter Überlebender wie Charlotte | |
| Knobloch oder [3][Margot Friedländer], die jeweils in wenigen Sätzen die | |
| Perspektive der Opfer wiedergeben. | |
| Ja, es ist gut und wichtig, gerade diesen Menschen das Wort zu erteilen, wo | |
| immer es möglich ist, weil sie qua ihrer Person deutlich machen, was die | |
| Nazis den Jüdinnen und Juden angetan haben. Aber dennoch wird man beim | |
| Betrachten des Films das Gefühl nicht ganz los, hier würden sie als | |
| Staffage missbraucht. | |
| ## Goebbels über die Schulter geschaut | |
| Inhaltlich verfolgt „Führer und Verführer“ das Leben und Streben von Jose… | |
| Goebbels zwischen 1938 und 1945. Man sieht den Propagandaminister bei der | |
| Inszenierung des Auftritts Hitlers nach dem „Anschluss“ Österreichs an das | |
| Deutsche Reich, beschäftigt mit der exakt geplanten Übergabe eines | |
| Blumenstraußes an den „Führer“. | |
| Man trifft Außenminister Ribbentrop, Goebbels, Hitler und Konsorten bei | |
| einem Treffen zur Zerschlagung der Tschechoslowakei. Man wird in die | |
| Planungen zur Pogromnacht vom 9. November 1938 ebenso einbezogen wie in die | |
| letzten Schritte vor dem Überfall auf Polen, der, wie so ziemlich alles, | |
| mit einer Lüge beginnt („Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen“). | |
| Aber leider wird der Zuschauer darüber nicht aufgeklärt. 1941 kündigt | |
| Hitler gegenüber Goebbels an, Russland anzugreifen, was dieser als „einen | |
| Kraftakt für Propaganda“ einschätzt, aber doch rasch mitteilt: „Ich habe | |
| schon die Idee für eine Fanfare.“ Letztere half bekanntlich eher wenig. | |
| Bei Goebbels naheliegend, kommt auch das Privatleben nicht zu kurz. Da geht | |
| es primär um seine Affäre mit einer Schauspielerin, die von seiner Frau | |
| Magda (gespielt von Franziska Weisz) angedrohte Scheidung und das | |
| Eingreifen Hitlers in die Angelegenheit, der eine offizielle Trennung | |
| verbietet. | |
| Da darf selbstverständlich auch Eva Braun nicht fehlen. Hier wird das Thema | |
| „Verführer des Nationalsozialismus“ zwangsläufig weitestgehend ausgespart | |
| und es entsteht der Verdacht, die Szenen könnten vor allem der Unterhaltung | |
| des Publikums dienen, um den Film nicht zu bleischwer zu machen. Was | |
| durchaus legitim ist. | |
| ## Kein Film gegen die Verführung | |
| Der Film endet, wie könnte es anders sein, 1945 im Bunker der | |
| Reichskanzlei, als Goebbels nicht nur die Ideen ausgehen, sondern er | |
| mitsamt Familie aus dem Leben austritt. Die Szenen erinnern zwangsläufig an | |
| den 20 Jahre alten Film „Der Untergang“ mit Bruno Ganz als Adolf Hitler. | |
| Ohne deshalb dem Schauspieler Fritz Karl zu nahe treten zu wollen: Ganz war | |
| besser. | |
| „Ein Film gegen die Verführung“ ist dieser Film gewiss nicht. Er trägt me… | |
| zur Verwirrung als zum historischen Durchblick bei. Von daher schadet er | |
| auch mehr, als dass er im Streit mit rechten Rattenfängern hilfreich ist. | |
| 11 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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