# taz.de -- Waves Festival in Wien: Man mag es entspannter | |
> Das Wiener Musik-Festival „Waves“ präsentiert die besten Popkünstler des | |
> Landes. Es strahlt damit in die weite Welt hinaus. | |
Bild: Sitzt schon so Wienerisch da: Cid Rim | |
Eigentlich sind Showcase-Festivals das Speeddating unter den Konzerten. Für | |
ein verlängertes Wochenende werden Labelleute, Konzertbooker, Musiker und | |
Journalisten in eine Stadt gefahren. Tagsüber sitzt man auf Panels und | |
netzwerkt, abends steht man in Clubs und netzwerkt. | |
Die Aufmerksamkeit ist kurz, das Angebot unüberschaubar, die Auftrittszeit | |
knapp - kurzum: Alles ist mehr Fleischmarkt als Musikfestival. Anders ist | |
es auf dem Wiener „Waves Festival“. Die Debatten sind ruhig und gesittet, | |
die üblichen Pöbeleien gegen die Digitalvertreter fallen aus, der | |
Existenzkampf ist auf andere Podien vertagt. Man mag es halt entspannter in | |
Wien. | |
Auch Franz Wenzl hat die Ruhe weg. Am Samstag, dem letzten Tag des „Waves | |
Vienna“-Festivals, sitzt der makellos angezogene Sänger der Band Kreisky im | |
Wiener Club Flex und plaudert: „Der Verkaufsschlager ist, dem Ausland des | |
zu geben, was es von Österreich erwartet: ’Rock Me Amadeus‘, Kaffeehaus, | |
das Granteln“. Wie ernst er das meint? Man weiß es nicht. | |
In „Österreichisch“ bekommen Kreisky regelmäßig Bestnoten. Nicht nur weil | |
sie sich nach dem legendären SPÖ-Altkanzler Bruno Kreisky benannt haben. | |
Sondern weil sie lange die grantlerische Antithese zum deutschsprachigen | |
Nabelschaupop waren. Über spröde-präzise Post-Punk-Gitarren speiht Wenzl in | |
feinstem Schmäh die ganze Wut von Alltagsfrustrationen, die sich von der | |
Wutbürger-Empörung genau dadurch unterscheidet, dass sie Affekte nicht mit | |
Politik verwechselt. | |
Auf dem „Waves“ stellen sie ihre neue EP „Selbe Stadt, neuer Planet“ vo… | |
die das ziellose Granteln um das kleinteilige Sezieren von | |
Lebensgewohnheiten ergänzt. „Wir wollten weg von der Wut, die ja | |
mittlerweile auch in den deutschen Pop Einzug gehalten hat“, meint Wenzl. | |
Geblieben ist Kreisky aber der Sinn für überzeichnete Theatralik, die große | |
Geste der Rockekstase, die mit dem nötigen Ernst, aber dennoch vollkommen | |
uneigentlich vorgetragen wird. | |
Damit sind sie nicht allein. Egal, ob das Electro-Performance-Kollektiv | |
Fuckhead eine zähe Meditation über den „Zahntechniker“ Hans-Christian | |
Strache und seinen „Vier-Finger-Gruß“ hinlegt oder der Emo-Dubstepper Sohn | |
die Stucksäulen der ehemaligen Getreidebörse mit seinem Falsett erfüllt - | |
auf dem Waves kennt man sämtliche Popgesten bis ins Detail und spielt sie | |
bis zur Plansollübererfüllung aus. | |
## Stilististisches Kopistentum | |
„Es gibt in Wien eine Art stilistisches Kopistentum“, erzählt Gerhard | |
Stöger, Musikredakteur bei der Wochenzeitung Falter. „Das meine ich nicht | |
negativ, das kommt vom Punk. Er hat vor wenigen Wochen das Buch „Wienpop“ | |
herausgebracht, eine Collage aus 130 Interviews, die erzählt wie die | |
Pop-Musik in den späten 1950ern das post-nazistische Wien heimsuchte und | |
seitdem reichlich Biografien durcheinanderwirbelt. „Man hat was riskiert, | |
wenn man sich für Rock‘n‘Roll entschieden hat“, beschreibt Stöger die | |
frühen Jahre von Pop in Österreich, der mit dem Sendestart der Radiosendung | |
„Musicbox“ Ende der 1960er und dem Aufkommen von Austro-Pop in den frühen | |
1970ern langsam in der Öffentlichkeit drang. | |
So oder so ähnlich ist die Pogeschichte in vielen westlichen Ländern | |
abgelaufen - was ist aber das Besondere an der Wiener Variante? „Es ist das | |
für Wien charakteristische, dass man immer wenn etwas völlig Neues gab, man | |
die alten Leute trotzdem mitgenommen hat“, meint Stöger. Falco, zum | |
Beispiel, habe in den 1970ern als langhaariger Bassist Hans Hölzl bei der | |
Rockband Drahdiwaberl gespielt, deren Aufnahmen auf dem ersten Punksampler | |
debütierten. „Wienpop“ ist voll mit solchen Anekdoten, in denen sich die | |
Popgeschichte der österreichischen Hauptstadt verdichtet. | |
Aber es endet auf einem leichten Tiefpunkt - den eher trägen Jahren nach | |
dem großen Hype um den „Sound of Vienna“, als so unterschiedliche | |
Produzenten wie Kruder & Dorfmeister, Patrick Pulsinger und Christian | |
Fennesz Wien auf der Landkarte elektronischer Musik verankert haben. Es war | |
das letzte Mal, dass man Pop aus Wien unter einem Label fassen konnte - | |
obwohl sich mit Produzenten wie dem Synth-Pop-Quartett Ghost Capsules oder | |
dem Live-Elektronikprojekt Electro Guzzi schon einige Anwärter auf die | |
Nachfolge bereithalten. | |
„Heute gibt es ganz viele Parallelszenen, die auf hohem Niveau interessante | |
Sachen machen“, erzählt Gerhard Stöger. Wobei „parallel“ nicht bedeutet, | |
dass man aneinander vorbeilebt, im Gegenteil. | |
## Die Szenen verschmelzen | |
„Die Szenen verschmelzen“, meint Bernhard Kern, Labelmacher von Siluh | |
Records. Am Freitag abend hatte sein Label ins Fluc geladen. Angekündigt | |
war das Juri Landman Ensemble, auf der Bühne standen ein gutes Dutzend | |
Wiener Musiker zwischen Elektronik und Noiserock, die auf selbstgebauten | |
Gitarren eine Ensembleleistung präsentierten, die sich hinter dem Wall of | |
Noise der post-minimalistischen Gitarrenensembles von Glenn Branca und | |
Sonic Youth nicht verstecken musste. | |
Für Siluh sind solche Projekte Normalität. „Wir sind ein Indielabel, aber | |
nicht nur für Indiebuben“, beschreibt Kern sein Label. Begonnen hat er mit | |
Veröffentlichungen der Indieband Gary, dann kamen weitere Bands dazu | |
inklusive Remixprojekte. Heute veröffentlicht Wandl, ein junger Wiener, der | |
seine Old-Schooligen HipHop-Beats mit Gesang und Reverb verhuscht ebenso | |
selbstverständlich wie die Neo-Garage-Band Mozes and the Firstborn, die am | |
Freitag als letzter Act bei ihrem Debüt erst nach zwei Zugaben und | |
reichlich schmachtenden Blicken aus dem eng gefüllten Fluc entlassen | |
werden. Und noch etwas fällt auf. Obwohl kaum plakatiert wird, sind die | |
Veranstaltungen von „Waves Vienna“ gut besucht und die Wiener Acts bekannt. | |
## Bassmusik als Jazzimprovisation | |
„Auf welchem Floor spielt der Cid Rim?“, fragt ein Gast am Freitag an der | |
Kasse der Pratersauna beim Labelabend von Affine Records. Die Antwort: | |
dort, wo die Party tobt. Während sich der Ex-Dubstepper Skream ein paar | |
Meter weiter etwas unelegant an einem House-Set versucht, fliegen die | |
Finger von Clemens Bachem (Cid Rim) über den Midi-Controller seines Laptops | |
und spielen Übersteiger mit seinengebrochenen Beats als wären sie eine | |
Jazz-Improvisation. | |
„Mit 14 habe ich angefangen Schlagzeug zu spielen, erst auf einem | |
selbstgebauten Drumkit aus Büchern und Aschenbechern, später habe ich dann | |
Jazzschlagzeug studiert“, erzählt Bachem. Parallel dazu hat er eine | |
Sequencer-Software gelernt und ist dieser Kombination bis heute treu | |
geblieben. | |
In der Pratersauna geht der Dancefloor bei jeder Schlagzeug-Improvisation | |
von Cid Rims Liveset mit, quittiert Breaks mit Schreien und Pfiffen und | |
verfängt sich nicht in den Haken der verästelten Beatkonstrukte. Da hat | |
sich jemand sein Publikum herangezogen. | |
Affine Records ist Wiens beste Bassmusikadresse. Sein Ruhm begann vor ein | |
paar Jahren, als britische Produzenten ständig den Namen „Dorian Concept“ | |
droppten, der seine Musik ebenfalls dort veröffentlicht. Er und Cid Rim | |
sind Jugendfreunde, Labelchef Jamal Hachem hat man im lokalen Billiardcafé | |
kennengelernt. Heute können sie alle von der Musik leben. | |
Das Internet gleicht die Standortnachteile von Wien aus, „mit Booking und | |
Promotion“ reiche es für den Betrieb eines Labels, meint Labelchef Jamal. | |
Vielleicht haben sie aber auch einfach die Gegenwart auf ihrer Seite - eine | |
ganze Generation junger Produzenten wird gerade mit Bassmusik sozialisiert, | |
das Medieninteresse ist da. Schwieriger ist der Standort in der Wiener | |
Peripherie für andere Stile elektronischer Musik - House zum Beispiel. | |
„Obwohl wir gut verkaufen, landen wir meistens bei Null“, meint Simon | |
Birner, der seit 2011 das Houselabel Luv Shack betreibt. Zu fünft sitzen | |
sie am Tisch eines Kaffeehauses und reden über analoges Equipment, neue | |
Releases und sagenumwobene Vinylschätze, die in Österreichs Caritas-Lagern | |
untergebracht werden sollen - hier sind echte House-Afficionados am Werk. | |
## Im Spannungsfeld von House und Disco | |
Zehn Platten haben Luv Shack veröffentlicht, die Elfte ist in Planung. Sie | |
alle spielen sich im Spannungsfeld zwischen Disco und House ab, versprühen | |
eine gewisse analoge Wärme, obwohl sie in digitalen Heimstudios entstehen. | |
„Ich habe früher immer von Vinyl gesampelt, damit das Rauschen bleibt“, | |
meint Samy Fedy, der als Le Sale feinziselierte Neo-Disco-Tracks | |
produziert. | |
Gebucht werden er und seine Labelfreunde im Ausland - in Berlin, in | |
Amsterdam. Nur Wien scheint momentan eine House-Wüste zu sein. „Es wäre | |
schön, wenn man eine regelmäßige Clubnacht hätte, um ein wenig was für das | |
Label beiseite legen zu können“, beschreibt Simon Birner die Rolle von | |
Veranstaltungen für die Labelarbeit. | |
Trotz Höchstplatzierungen bei den einschlägigen Stores, die Frage nach der | |
wichtigsten Einnahmequelle beantworter Birner mit „Radio“. Gemeint ist FM4, | |
der Jugendsender des ORF mit hohem Anteil an österreichischem Pop im | |
Programm. „Es kann schon mal sein, dass wir Musik direkt aus dem Proberaum | |
im Radio spielen“, erzählt Stephan Trischler, der die Sendung „Soundpark“ | |
moderiert. | |
Jede Woche werden dort Musiker aus Österreich vorgestellt, die ihre Musik | |
auch auf der sendereigenen Homepage veröffentlichen können. Aber trotzdem - | |
wie wichtig ist denn ein Radiosender heute, wo alle ständig Zugriff auf | |
aktuelle Musik haben? „Es hat ja nicht jeder Zeit, jeden Tag hunderte von | |
Internet-Feeds zu hören“, meint Trischler optimistisch. | |
Trotzdem hat FM4 im ORF-Programm keinen leichten Stand, Anfang dieses | |
Jahres machten sogar Gerüchte von einer Schließung die Runde. „Früher hat | |
der ORF für Austropop viel getan“, meint Bernhard Kern von Siluh Records, | |
heute kümmere er sich nicht mehr in gleichem Maße um aktuelle Musik. | |
Stattdessen herrscht auch hier ein wenig postimperiale Melancholie. „Am | |
Hamburger Flughafen ist ein Statemt von Fettes Brot an der Wand“, erzählt | |
Bernhard Kern. „In Wien steht dort etwas von Johann Strauß - aber | |
eigentlich müssten es Kruder & Dorfmeister sein.“ | |
7 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Christian Werthschulte | |
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