| # taz.de -- Junge Wiener Musikszene: Krach gegen Klassik-Crossover | |
| > Bands wie Shake Stew, Elektro Guzzi und die junge Künstlerin Mira Lu | |
| > Kovacs sprengen Grenzen zwischen Noise, Pop und Jazz. | |
| Bild: Rollt bei dem Namen „Falco“ mit den Augen: Mira Lu Kovacs | |
| Kaum ein Durchkommen in der City von Wien am Freitagnachmittag. Die Zeit | |
| drängt – es warten die neuen Helden der lokalen Pop- und Jazzszene. Hat man | |
| sich an Chinesen mit Selfie-Sticks und Russen in Fiakern vorbeigezwängt, | |
| erreicht man leicht abgekämpft die Riemergasse, 500 Meter vom Stephansdom | |
| entfernt. | |
| Hier liegt das „Porgy & Bess“, seit 1993 wichtigster Jazzclub der | |
| österreichischen Hauptstadt. Das Foyer mutet an wie eine schnieke Galerie: | |
| unverputzter Beton, große Oberlichter. Im Saal zwei Etagen tiefer – | |
| rotplüschig, aber kitschfrei – treten auch mal US-Größen wie Christian | |
| McBride und John Scofield auf. Platz für Pop ist auch: kürzlich spielten | |
| die vier Lokalhelden von Bilderbuch, zurzeit eine der tightesten | |
| Discofunkrockbands der Welt, ein Überraschungskonzert. Und das in | |
| unmittelbarer Nähe der österreichischen Hochkultur-Tempel: Mozarthaus, | |
| Staatsoper, Burgtheater. | |
| Draußen auf der Treppe blinzelt Mira Lu Kovacs in die warme Sonne und sagt: | |
| „Wenn man durchs Zentrum läuft, merkt man sofort, wie sehr Wien den Mozart | |
| herauskehrt.“ Die 27-Jährige mit den kinnlangen blonden Haaren setzt dem | |
| allgegenwärtigen Klassik-Crossover unversöhnlichen Noise, gepfefferten Pop | |
| und crispe Elektronik entgegen. Kovacs, Sängerin der beiden Indiebands | |
| Schmieds Puls und 5K HD, berichtet von den leidigen Schubladen, in die | |
| KünstlerInnen wie sie zuweilen gesteckt werden. „Wer weiß schon, was Jazz | |
| ist? Da kennt sich doch niemand genau aus. Beim Pop ist’s ja nicht anders: | |
| das kann alles sein, Rufus Wainwright genauso wie Falco.“ Kovacs rollt mit | |
| den Augen, als sie den Namen des großen Untoten des Austro-Pop ausspricht, | |
| der noch 20 Jahre nach seinem Unfalltod in Form von Musicals und | |
| Wiederveröffentlichungen herumgeistert. „Ich wurde gefragt, ob ich einen | |
| Song von Falco covern möchte, aber seine Texte sind scheußlich. Und die | |
| Musik – das sind halt zwei Akkorde. Das ist uninteressant.“ | |
| Die Sounds der Mira Lu Kovacs sind da schon fordernder. Schmieds Puls wurde | |
| als „Avant-Folk mit depressiven Schattierungen und glockenheller Stimme“ | |
| bezeichnet. Erfolgreicher noch ist Kovacs’ Band 5K HD, die bei einer | |
| einmaligen Zusammenarbeit mit der Band Kompost 3 entstand. Aus einer | |
| instrumentalen Elektronik/Jazz-Basis wurde eine Avantgarde-Pop-Formation | |
| mit einer Sängerin „wie aus einem präraffaelitischen Gemälde“ (O-Ton Rad… | |
| ORF). 5K HD reiten mit Vorliebe elektronisch angehauchte Jazz- und | |
| Gitarren-Attacken, die zuweilen an den ausgefeilten Dance-Pop von Bands wie | |
| Little Dragon erinnern. „Wir haben einen Jazz-Background, aber wir mögen | |
| auch Soul, R&B und HipHop“, sagt Kovacs über ihre Einflüsse. „Unser | |
| Publikum hat Bock auf die Zerstörung von Grenzen. Das merken wir bei jedem | |
| Konzert.“ | |
| ## Die Wiener Szene braucht Platz und Geld | |
| Zwei Etagen tiefer steht Lukas Kranzelbinder auf der Bühne des „Porgy & | |
| Bess“ und stimmt seine Band beim Soundcheck ein. Der Bassist mit Vollbart | |
| ist der unumstrittene Bandleader von Shake Stew. 2016 rief Kranzelbinder | |
| das Septett eigens für das Eröffnungskonzert des renommierten Jazzfestivals | |
| Saalfelden ins Leben. Während der Proben für den Auftritt nahmen Shake | |
| Stew, zwei Schlagzeuger, zwei Bassisten, drei Bläser, dort ihr Debütalbum | |
| auf, an einem einzigen heißen Nachmittag. | |
| „In Saalfelden haben früher alle großen Jazzer gespielt, vom Art Ensemble | |
| of Chicago bis zu Sun Ra“, erzählt der Kontrabassist. „Diesen Spirit | |
| wollten wir einfangen. Von dem Free-Jazz-Ansatz sind wir inzwischen etwas | |
| abgerückt. Aber: Wir bieten Nahrung für Körper und Seele.“ Kranzelbinder | |
| ist keine Floskelmaschine. „Rise and Rise Again“, das kürzlich erschienene | |
| zweite Album seiner Band, ist tatsächlich enorm gehaltvoll. Ihr Sound hat | |
| bei aller Verwurzelung im Modern Jazz die Wucht und Melodik einer Rockband | |
| und verströmt gleichzeitig Energien, die den Musiktraditionen ferner | |
| Länder entsprechen: den Gnawa-Ritualen in Marokko, dem Ethio-Jazz aus | |
| Äthiopien und dem Afrobeat aus Nigeria. | |
| Abends spielen Shake Stew ein zweistündiges Konzert im Porgy & Bess. Die | |
| sieben Musiker, bis auf den Berliner Saxofonisten Johannes Schleiermacher | |
| alle aus Wien, entwickeln auf der Bühne einen hypnotischen Sog, dem sich | |
| schwer zu entziehen ist. Die komplexen Rhythmen von „Get Up Eight“ werden | |
| mit virtuos gezupftem Bass-Intro eingeleitet, auf das hymnische | |
| mehrstimmige Bläser folgen. Kranzelbinder nennt seine Musik, die sich kaum | |
| in aktuelle Strömungen einordnen lässt, „Post-Jazz“. Um Produktion, | |
| Management und Booking kümmert er sich selbst. Laub Records hieß das Label, | |
| das der heute 29-Jährige 2010 mit den Mitgliedern von Kompost 3 gründete, | |
| der Band, aus der dann 5K HD hervorging. In beiden Bands sowie bei Shake | |
| Stew spielt Manu Mayr. | |
| „In Wien entsteht alles immer aus der Vergangenheit. Die Stadt ist ein | |
| einziges lebendiges Museum“, sagt Mayr, der einzige gebürtige Wiener unter | |
| den sieben Künstlern von Shake Stew, gerade mal 28 Jahre alt, die Haare zum | |
| „Man Bun“ hochgebunden. Als Mayr, Kontra- und E-Bassist, mit der Musik | |
| anfing, hatte die Subkultur in der Stadt gerade einen schweren Stand. 2004 | |
| gründete sich dann das Label und Veranstaltungskollektiv Jazzwerkstatt. | |
| Ohne lange Planungszeit stürzte man sich in ein 24-tägiges Festival: jeden | |
| Abend zwei bis drei Konzerte in einer alten Fabrik, bei freiem Eintritt. | |
| Die Message der Festivalmacher: die Wiener Szene braucht Platz und Geld. | |
| „Es grenzt an ein Wunder, dass die Jazzwerkstatt dann in den | |
| Musikförderungskatalog aufgenommen wurde“, bekundet Mayr, inzwischen Teil | |
| des Kollektivs. Selbst Musicals würden in der Stadt subventioniert, „dabei | |
| gibt es viele international agierende Ensembles, die seit Jahrzehnten mit | |
| Almosen abgespeist werden. Die hohen Summen bekommen die großen Tanker, die | |
| nur dem Tourismus dienen und eigentlich nichts im Kulturbudget verloren | |
| haben.“ Während die Wiener Symphoniker allein von der Stadt im Jahr 2016 | |
| mehr als 15 Millionen Euro erhielten, wurde die Jazzwerkstatt mit einer | |
| mittleren fünfstelligen Summe gefördert. | |
| ## Straighter Techno | |
| Nächster Tag, anderer Ort: der neunte Bezirk nördlich des Zentrums. Berni | |
| Hammer, Bomberjacke und grüngelb lackierte Fingernägel, sieht frisch aus, | |
| dabei verbringt er gerade den Großteil seiner Zeit im abgedunkelten | |
| Tonstudio. Hammer ist Teil von Elektro Guzzi, einer der fleißigsten | |
| elektronischen Bands der Stadt, die seit 2010 beinahe jedes Jahr ein Album | |
| veröffentlicht. Das Trio, bekannt für straighten Techno ohne | |
| Schnickschnack, kombiniert raue Club-Sets mit live gespielten Instrumenten. | |
| Im Oktober wird das neue Album „Elektro Guzzi and Polybrass“ erscheinen, | |
| zusammen mit drei Posaunisten. | |
| Der neue Sound des Trios ist sanfter, minimalistischer, jazzaffiner. Eine | |
| Rückkehr zu den Wurzeln, denn kennengelernt haben sich Elektro Guzzi | |
| während des Jazzstudiums. „Ich habe das studiert, weil ich es können | |
| wollte“, sagt Hammer beim Mittagessen in der Servitengasse, einen Steinwurf | |
| entfernt vom Wohnhaus von Sigmund Freud. „Ich wollte darüber zu Neuer Musik | |
| und zu Minimal kommen.“ Elektro Guzzi waren in Zeiten, in denen sie 80 | |
| Konzerte im Jahr gaben, nicht von öffentlicher Förderung abhängig. Nun wird | |
| es auch für sie als Techno-Band enger, doch Hammer sieht, bei aller Kritik | |
| am Kurs der neuen rechtskonservativen Bundesregierung, auch Chancen: „Die | |
| Szene muss enger zusammenrücken. Wir müssen eben noch mehr auf uns | |
| aufmerksam machen!“ | |
| Kurz vor Mitternacht im „Porgy & Bess“, die sieben maßgeschneiderten | |
| schwarz-goldenen Hemden von Shake Stew sind nach dem Konzert | |
| durchgeschwitzt. Lukas Kranzelbinder steht an der Bar. Was die künftige | |
| Kulturpolitik der österreichischen Regierung betrifft, ist er gelassen. Er | |
| meint, auch die Londoner Szene war von Kürzungen bedroht, habe diese aber | |
| überstanden: „Die Einschnitte bei der britischen Kulturförderung hatten | |
| wenigstens einen positiven Effekt: Alle Künstler mussten nun selbst dafür | |
| sorgen, dass das Publikum kam. Man sollte nicht allen gefallen wollen. | |
| Wichtig ist, einen Spirit auf die Leute zu übertragen. Wenn ein Abend | |
| perfekt verläuft, sehe ich so etwas wie einen Schimmer über den | |
| Zuschauern.“ Entrückte Stimmungen im Schatten des Stephansdoms – die Wiener | |
| Szene packt das ganz ohne Falco und Mozart. | |
| 4 Jun 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Paersch | |
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