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# taz.de -- Elektrobeats ausdehnen: Nix für Weicheier
> Kampala, Berlin, Tokio: Die Projeke des stoischen japanischen
> Noiseliebhabers und Kochs Shigeru Ishihara umspannen die Welt. Ein
> Porträt.
Bild: Shigeru Ishihara alias Scotch Egg bei der Arbeit
Shigeru Ishihara ist ein Mann mit vielen Talenten. Auf den Berliner
Wochenmärkten betreibt der japanische Musiker, dessen Alias Scotch Egg auf
die gleichnamige Wurstbrät-Ei-Delikatesse verweist, einen Essensstand. „Ich
verkaufe dort selbst gemachte japanische Pfannkuchen – okunomiyaki.
Normalerweise bin ich mit meinem Stand etwa am Mauerpark- und beim
Nowkölln-Flohmarkt“, erzählt er.
Als Pfannkuchen-Produzent ist Shigeru Ishihara noch ein Geheimtipp, in der
elektronischen Musikszene und im [1][Genre Noise] ist er aber bereits
vielen ein Begriff. Ishihara, ein gemütlicher Typ mit langen schwarzen
Haaren, hoher Stirn und Vollbart, hat gleich mehrere, sehr unterschiedlich
gelagerte Projekte: Unter dem Künstlernamen Scotch Egg vermischt er die
Stile Breakcore, Gabba, Industrial und Noise und findet so Anklang weit
über die elektronische Szene hinaus.
Zudem spielt er bei dem Duo WaqWaq Kingdom (mit Landsfrau Kiki Hitomi), und
auch für die britischen Postrockband Seefeel, die beim Label Warp unter
Vertrag steht, produziert der japanische Künstler seit einiger Zeit die
elektronischen Sounds.
## Neuer Cocktail aus Kampala
Nun kommt auch noch Scotch Rolex dazu. Scotch Rolex ist ein neues Projekt,
das er mit mehreren ugandischen Musiker:innen rund um das Kampalaer
Label Nyege Nyege betreibt. Die elf Stücke des vor Kurzem veröffentlichten
Debütalbums „Tewari“ sind 2019 entstanden, damals war Ishihara im Rahmen
eines Stipendiums in Kampala.
Der Name Scotch Rolex geht einmal mehr auf den kulinarischen Bereich
zurück: Rolex, kurz für „Rolled Eggs“, ist der Street-Food-Klassiker
schlechthin in Uganda. Auf „Tewari“ kollaboriert er unter anderem mit der
kenianisch-ugandischen Rapperin MC Yallah und dem kenianischen Musiker
Martin Khanja (alias Lord Spikeheart) von der Band Duma. Herausgekommen ist
ein einigermaßen wahnsinniger Cocktail aus Hardcore-Techno, [2][Black
Metal], Noise und dem in Uganda und Tansania beliebten elektronischen Stil
Singeli.
„Mit den Künstlern des [3][Labels Nyege Nyege] hatte ich mich zuvor schon
einige Male getroffen“, sagt Ishihara, „die Residency war nun die perfekte
Gelegenheit, nach Uganda zu reisen und Tracks aufzunehmen. Also habe ich
Arlen Dilsizian von Nyege Nyege meine Musik geschickt. Er hat sie den
Musikerinnen und Musikern in Kampala vorgespielt. Einige waren angetan
davon und wollten dann mit mir zusammenarbeiten.“ Was für ihn besonders war
an der Kollaboration? „Wenn du in Europa mit jemandem zusammenarbeitest,
redest du erst mal viel darüber, wie die Musik klingen soll. Dort war die
Mentalität: Lass uns machen, egal was rauskommt!“
So heterogen der Sound der beteiligten Musiker:innen, so heterogen das
ganze Album. Die Stücke mit MC Yallah klingen nach doomigem HipHop mit
brodelnden, tiefen Klangflächen, bei den Tracks mit Lord Spikehart kommen
die Extreme elektronischer Musik (Gabba, Hardcore-Techno) mit den Rändern
der Rockmusik (Black Metal, Grindcore) zusammen. Auch einige Solostücke
finden sich auf „Tewari“, in „Wa Kalebule“ sind etwa finstere Soundscap…
mit Magengrubenbeats und Stolperrhythmen zu hören. Der Titeltrack wiederum
ist ein verspieltes Instrumental mit schleppendem Hiphop-Beat.
## Soundsystem geschrottet
Ishihara hat bereits einige Stationen hinter sich. Aufgewachsen ist er in
Tokio, wo er zunächst in einer Teenager-Coverband spielte („wir haben
Nirvana gecovert“) und später Noisemusik machte. In den nuller Jahren
lebte er in England, begann mit Gameboys Musik zu machen und wurde mit
sogenannter Chiptune-Musik (man denke an den Amiga-Computersound) und Gabba
bekannt. Seine Solo-Auftritte haben aber auch etwas von energetischen
Punkrock-Shows, er ist deshalb zum Beispiel auch gemeinsam mit dem
US-Noise-Doom-Duo Lightning Bolt aufgetreten.
Seit 2012 lebt Ishihara in Berlin, aktuell in Neukölln. Mit der Hauptstadt
verbindet er einen wichtigen frühen Einfluss, die Musik von Atari Teenage
Riot/Alec Empire. „Auf jeden Fall war Atari Teenage Riot wichtig für mich.
Klar, die Neunziger! Ich habe mal als Anheizer für [4][Alec Empire]
gespielt und sein Soundsystem geschrottet, da mussten sie ein neues kaufen.
Aber er war da ganz locker“, erzählt Ishihara.
Oft bringt Ishihara mit seinen Bands zusammen, was auf den ersten Blick
kaum zusammenzubringen scheint. Das beste Beispiel ist WaqWaq Kingdom.
Dabei treffen Elemente aus dem japanischen Folk (Minyo) auf afrikanische
Polyrhythmen, Dancehall auf Techno und Pop. Mit dieser weitaus
zugänglicheren Musik begann er, weil er endlich mal „Musik machen wollte,
die ich während des Kochens hören kann“. Vor der Pandemie machten WaqWaq
Kingdom wegen ihrer abgefahrenen Shows mit jeder Menge Visuals und
Kostümierung von sich reden; man darf gespannt sein, wann der Nachfolger
der jüngsten EP „Dokkoisho“ (2020) erscheint.
Auch die Uganda-Connection soll fortbestehen, Ishihara will ein weiteres
Mal nach Kampala fliegen und dort Musik aufnehmen, sagt er. Und auch auf
sein Comeback an den Bratpfannen freut er sich schon.
20 Jul 2021
## LINKS
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## AUTOREN
Jens Uthoff
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