| # taz.de -- Debütalbum von Awori: Die letzte Königin | |
| > „Ranavalona“, das Debüt von Awori aus Genf und Twani aus Lyon, mischt | |
| > gekonnt Afrobeats und R&B. Die Songs appellieren an panafrikanische | |
| > Solidarität. | |
| Bild: Geschichte und Gegenwart sprechen aus ihrem Sound: Awori | |
| Warum ich Texte schreibe? Um mir selbst zu versichern, dass Sprache ein | |
| Werkzeug ist, das mir zur freien Verfügung steht. Dieses Werkzeug schärfe | |
| ich jeden Tag. Letztendlich schreibe ich Songtexte, um an etwas anderes zu | |
| denken als ans Ende der Welt. Ich schreibe, um das Unheil abzuwenden, das | |
| sich durch meine unsichere Zukunft verschärft.“ Das Zitat stammt von der | |
| schweizerischugandischen Sängerin Awori Cynthia Othieno. Wer die | |
| Weiterverbreitung von schlauer Popmusik und entlegenem Wissen fördern und | |
| der grassierenden Weltverdunkelung helles Licht entgegensetzen möchte, | |
| sollte Awori und ihrer Musik Aufmerksamkeit schenken. Denn die 32-jährige | |
| Künstlerin liefert damit Stoff für aktuelle Debatten. | |
| Konzipiert ist Aworis Debütalbum mit dem 33-jährigen französischen | |
| Produzenten Mikael Touanen, genannt Twani, der mit Awori zusammen | |
| komponiert und arrangiert hat. Seit 2019 machen sie zusammen Musik. Die | |
| Idee für ein Album ist vergangenes Jahr im ersten Lockdown gereift. | |
| Zwischen Lyon, wo Twani lebt, und Genf, Aworis Heimat, sind acht Songs | |
| entstanden, die der Welt empowernde Botschaften vermitteln. Die Musik von | |
| „Ranavalona“ dosiert die Energie in ihrem Sound sehr exakt. Awori moduliert | |
| ihre Stimme, phrasiert, lässt aber auch mal Hallfahnen Größe suggerieren. | |
| Mal dominiert Aworis Gesang wie im Titelsong, in dem Awori singt, dass ihr | |
| die Zukunft gehört: „Way head. Futuristic / Whose future’s this? Pick a | |
| script, Flesh it out / Make a Print.“ Mal bekommen Subwoofer-Basssound und | |
| Hi-Hats die Hauptrollen und ermöglichen Awori wie in „Cortex Iuxta“, mit | |
| ihrem Gesang darunter wegzurollen. Mal erinnert sie sich an ihre | |
| Migrationsgeschichte wie im Song „Nkomawo“, dem die Drumprogrammierung in | |
| einem Call and Response antwortet. | |
| ## Verheißungsvoller Auftakt | |
| Obwohl sich gleich im Intro [1][Afrobeats] verheißungsvoll in die | |
| fanfarenhafte Synthesizermelodie schrauben, ist „Ranavalona“ kein | |
| linientreues Genrealbum. Man kann mit den Fingern zu den Songs schnippen, | |
| die R&B-Schlagseite haben und erkennbar an US-Vorbildern wie Erykah Badu | |
| und Janelle Monáe geschult sind, aber niemals zu epigonal wirken. Anders | |
| als ihre Vorbilder ist Awori auch keine Diva, sie sieht sich als | |
| Aktivistin. | |
| „Ranavalona“ ist benannt nach Ranavalona III. (1861–1917), der letzten | |
| Königin von Madagaskar, die 1897 von den Franzosen ins Exil zunächst nach | |
| La Réunion verbannt wurde und schließlich in Algier starb. Ihre Krone wurde | |
| erst letztes Jahr von Frankreich an Madagaskar zurückgegeben. Zwischen der | |
| ugandischen Hauptstadt Kampala, in der Awori bei ihrem Großvater | |
| aufgewachsen ist, bis sie mit elf Jahren zu ihrer Mutter nach Genf kam, bis | |
| nach Antananarivo, wo Ranavalona im königlichen Palast herrschte, liegen | |
| immerhin 2.673 Kilometer. | |
| Wie kommt eine Uganderin in der Diaspora auf die Idee, ihr Debüt nach einer | |
| Herrscherin aus Madagaskar zu benennen? „Aus rein feministischen Erwägungen | |
| eher nicht. Panafrikanische Solidarität schwingt sicher mit. Ich will die | |
| Leute unterhalten, hoffe aber, dass sie sich durch meine Musik auch mit | |
| panafrikanischen Ideen befassen. Mein Bestreben war, selbst etwas über die | |
| Geschichte von Madagaskar zu erfahren, die wiederum mit der Geschichte des | |
| ganzen Kontinents zu tun hat.“ | |
| ## Musik stiftet Gemeinschaft | |
| Awori ist auf die Königin gestoßen, als sie sich mit Heroen der | |
| antikolonialen Kämpfe Afrikas beschäftigt hat. „Figuren wie Thomas Sankara | |
| und Kwame Nkrumah sind allseits bekannt, über die Frauen weiß man viel | |
| weniger.“ Awori stiftet mit ihren Songs Gemeinschaft, Solidarität ist für | |
| sie kein leerer Begriff: „Let me be loud and clear / Just wanna hold you | |
| near“, singt sie in „Cortex Iuxta“, dem Finale des Albums. „Viele | |
| afrikanische Politiker:Innen halten sich zu lange an der Macht, ihre | |
| Amtszeiten sind von Korruption geprägt. Internationale Hilfe kommt nicht | |
| der eigenen Bevölkerung zugute, sondern verschwindet irgendwo, obwohl damit | |
| Bildung und Infrastruktur dringend verbessert werden müssten. Wenn ich an | |
| Ranavalona III. denke, dann fallen mir auch solche gegenwärtigen Probleme | |
| ein.“ | |
| Ecken und Kanten von Aworis und Twanis Sound sind zwar abgeschmirgelt, aber | |
| ein Echoraum entsteht trotzdem, eine Art Zentrifuge, die alles beschleunigt | |
| und Platz für Widersprüche lässt. Das macht „Ranavalona“ zu einem Juwel. | |
| Zugleich ist es das Dokument einer multikulturellen Realität, wie sie | |
| Millionen Menschen in der Diaspora erleben. Erreichen will Awori mit ihren | |
| Songs auch die ugandische Exilgemeinde, die vor allem in Großbritannien | |
| lebt. Sie kennt auch das ugandische Label Nyege Nyege und dessen | |
| [2][schlagzeuggetriebene Musik], Awori hat allerdings eine andere | |
| Musiksozialisation und spielte in Genf zunächst in einer Bluesband. | |
| Die Rückkoppelungen, die durch Musik, Texte und Ästhetik auf „Ranavalona“ | |
| ausgelöst werden, bezeichnet die simbabwische Anglistin Tsitsi Ella Jaji | |
| als „Stereomodernism“. Dekolonialisierung sei ein Prozess, der noch lange | |
| nicht abgeschlossen ist, schreibt Jaji in ihrem Buch „Africa in Stereo“ und | |
| denkt die geografische Distanz zwischen [3][Afrika und der Diaspora] als | |
| „akustischen Raum, in dem die Verbreitung von Klangspuren zwischen Afrika, | |
| Europa und den USA schwarzes Selbstbewusstsein stärkt“. Im Zeitalter der | |
| elektronischen Medien hat sich dieser Stereomodernismus nochmals | |
| beschleunigt. „Die afromoderne Erfahrung ist kollaborativ, gleichzeitig und | |
| geht ständig weiter.“ | |
| ## Afrikanische Stereomoderne | |
| Wie Jaji überzeugend darstellt, hat der Austausch von Afrika mit | |
| afroamerikanischer Musik und US-Kultur nicht erst in den 1960er Jahren nach | |
| der Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten begonnen, sondern Ende des 19. | |
| Jahrhunderts, als die ersten südafrikanischen Missionar:Innen in den | |
| USA studierten und von dort Gospelsongs und anderes Gedankengut nach Afrika | |
| importierten. Afroamerikanische Musik genießt auch heute in Afrika hohes | |
| kulturelles Ansehen, sie schafft Vergnügen und macht zugleich vor, wie | |
| kreativ Widerstand gegen die Mehrheitsgesellschaft klingen kann. „Wie sich | |
| Musik verbreitet und als Ausdruck von transnationalen schwarzen Gefühlen | |
| steht, haben Massenmedien und technologische Neuerungen ermöglicht.“ Die | |
| Stereomoderne hat panafrikanische Ideen weltweit bekannt gemacht. | |
| Awori sieht es so: „Erst die Diaspora hat die panafrikanische Bewegung | |
| popularisiert. Es geht darum, afrikanische Solidarität auch jenseits des | |
| Kontinents zu schaffen, politisches Bewusstsein für die Herkunftsländer | |
| sollte man nicht vergessen. Es geht nie nur um Afrika an sich, es geht | |
| darum, dafür einen Platz im Leben zu finden, auch wenn wir nicht mehr dort | |
| leben.“ | |
| Awori idealisiert ihr Geburtsland keineswegs. Über den seit 1986 nonstop | |
| herrschenden ugandischen Präsidenten Museveni hat sie nichts Gutes zu | |
| sagen: „Vor der letzten Wahl im Januar zensierte er Medien und Internet. Er | |
| drangsaliert immer wieder die Opposition mit Polizei- und Militärgewalt. | |
| Auch darum sind die Stimmen aus der Diaspora so wichtig: Sie dokumentieren | |
| die schlimmen Zustände in Uganda über ihre Accounts. Und deshalb: | |
| Panafrikanische Solidarität ist nicht nur ein Begriff, sie ist ein | |
| Werkzeug, um Druck auszuüben etwa auf ugandische Politiker:Innen, wenn sie | |
| die Menschenrechte mit Füßen treten.“ | |
| Genf, Aworis Heimatstadt, ist der europäische Hauptsitz der Vereinten | |
| Nationen. Von hier aus orientiert sie sich nach Frankreich und will die | |
| frankofone und die anglofone Welt Afrikas durch ihre Musik näher | |
| zusammenbringen. | |
| 15 Apr 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Musikfestival-in-der-Elfenbeinkueste/!5589354 | |
| [2] /Afrobeat-Schlagzeuger-aus-Nigeria/!5015861 | |
| [3] /Album-African-Paradigm-von-Mr-Raoul-K/!5650634 | |
| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
| ## TAGS | |
| Uganda | |
| Genf | |
| Lyon | |
| Solidarität | |
| Neues Album | |
| Afrobeat | |
| Rhythm & Blues | |
| Musikfestival | |
| Buch | |
| Afrikanische Musik | |
| Ghana | |
| Michael E.Veal | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Musikfestival Nyege Nyege in Uganda: Heavy Bass an den Gestaden des Nils | |
| 2015 als Underground-Veranstaltung entstanden, war das diesjährige Nyege | |
| Nyege-Festival in Uganda eine ebenso denkwürdige wie strapaziöse Erfahrung. | |
| Buch über Andrew Weatherall: Den Schrullen verpflichtet | |
| Leidenschaft für musikalisches Außenseitertum: Das Buch „Andrew Weatherall. | |
| A Jockey Slut Tribute“ ist eine Verneigung vor dem britischen DJ. | |
| Debütalbum „Kaloli“ von Nihiloxica: Marabu auf dem Müll | |
| Schlagzeuggetriebene Power: „Kaloli“, das Debütalbum der | |
| ugandisch-britischen Band Nihiloxica, zeichnet ein Bild von Ostafrika | |
| jenseits von Klischees. | |
| Musikkonferenz „Acces in Accra“: „Beat the system!“ | |
| Konzerte und Diskussionen: Auf der Musikkonferenz „Acces in Accra“ in Ghana | |
| wurde abwechselnd zu Highlife getanzt und auf Panels gestritten. | |
| Ethnologe zur Bewahrung von Musik: „Der Kontext ist wichtig“ | |
| Musik vor dem Vergessen retten: Der US-Musikethnologe Michael Veal über die | |
| Forschung in Archiven und Wiederveröffentlichungen afrikanischer Alben. |