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# taz.de -- Musikfestival Nyege Nyege in Uganda: Heavy Bass an den Gestaden des…
> 2015 als Underground-Veranstaltung entstanden, war das diesjährige Nyege
> Nyege-Festival in Uganda eine ebenso denkwürdige wie strapaziöse
> Erfahrung.
Bild: Alles erlaubt? Abenddämmerung bei Nyege Nyege am Nil
Promiskuität, Drogenmissbrauch und „Transgender-Umerziehung“: Fast wäre d…
Festival Nyege Nyege in Uganda [1][rechter Propaganda] zum Opfer gefallen.
Eine Reihe von Politiker:innen trachtete danach, es aus diesen Gründen
noch kurz vor Beginn verbieten zu lassen. „Wir können unsere Moral nicht
opfern, nur weil so viele Tickets verkauft wurden“, hieß es in einem
Statement.
Doch der ugandische Tourismusminister Martin Mugarra Bahinduka verteidigte
die Veranstaltung sogleich mit dem Hinweis, dass sie viele ausländische
Gäste und damit auch Bares ins Land bringe – Tausende Eintrittskarten
wurden vorab verkauft. Am Ende steigt das Festival also dennoch; der Streit
um Nyege Nyege zeigt allerdings, wie groß der Einfluss der von US-Sekten
geförderten Evangelikalen auch in Ostafrika ist.
Die vier Tage an den Gestaden des Nils werden, alles in allem, zu einer so
denkwürdigen wie strapaziösen Erfahrung. Das Gelände des Festivals ist
traumhaft gelegen: Direkt vor den Stromschnellen der Itanda-Wasserfälle, wo
der Nil eine fast kreisrunde Bucht bildet, liegt das neue riesige
Festivalareal im satten Grün auf Hügeln, unweit der Quelle des Nils im
Victoriasee. Das gemeinsame morgendliche Bad im Fluss wird zum Ritual
(obwohl mir ein Tropenmediziner wegen Bilharziose-Gefahr noch davon
abgeraten hat).
Nach zwei Starkregentagen unmittelbar vor dem Start wird das Festival
jedoch auch geprägt von organisatorischen Schwierigkeiten: Viele der
Gästeunterkünfte sind nicht rechtzeitig fertig geworden, es fehlt an
Toiletten, Duschen und Mülleimern und zunächst gibt es kein fließend Wasser
(darum das Bad im Nil). Die Sicherheitsvorkehrungen sind unzureichend, auf
dem Gelände kommt es zu [2][zahllosen Diebstählen] und einigen
gewalttätigen Überfällen.
Es macht den Eindruck, als ob dem 2015 vom Label [3][Nyege Nyege Tapes]
gegründeten Underground-Festival, das sich experimenteller elektronischer
Musik, vornehmlich aus Ostafrika, verschrieben hat, nach zwei Coronajahren
der Sprung in die nächste Dimension noch nicht richtig gelungen ist;
gleichzeitig sind die meisten Ugander:innen, die man auf dem Festival
kennenlernt, ungemein freundlich.
Vielleicht kann man es im Nachhinein auch einfach so entspannt sehen wie
Kevin aus dem Produktionsteam des Festivals: „The mess brought fun“, sagt
er und lacht. Ohnehin muss man sich als aus dem reichen Norden angereister
Besucher fragen, ob es nicht vermessen ist, sich gleich zu beschweren, wenn
nicht alles sofort dem Standard entspricht, wie wir ihn bei uns gewöhnt
sind.
## Künstlerischer Austausch
Immerhin sind alle von den Komplikationen betroffen, gleich, ob von fern
angereiste Weißbrote, afrikanische Gäste aus Nachbarländern oder
eingeladene Künstler:innen aus aller Welt. Darunter rund 30
Musiker:innen und Tänzer:innen, die am [4][„Afropollination“-Projekt]
beteiligt sind.
Bei dieser Kooperation geht es um gegenseitige künstlerische Befruchtung:
Deutsche Künstler:innen und solche aus zahlreichen afrikanischen Ländern
sind vor und nach dem Festival zu Gast in der Nyege Nyege-„Villa“ der
Hauptstadt Kampala. Die ist ein ständig überfülltes Community-Haus mit
Patio, zwei kleinen Studios und schlichten Gästezimmern mit Stockbetten.
Wer einen Eindruck vom Spirit des offenen Hauses bekommen will, muss dort
nur einen Abend rund um das Festival verbringen: Während Maiko aus Dar es
Salaam auf der Terrasse in der ersten Etage unveröffentlichte Songs
vorspielt, deren Rasanz und Verspieltheit einem die Schuhe ausziehen,
improvisieren der in Berlin lebende Footwork-Bewahrer [5][DJ Paypal] aus
den USA und der japanische Drum-Machine-Magier KΣITO vom [6][TYO
Gqom]-Kollektiv zusammen im Studio im Erdgeschoss.
Finanziert wird Afropollination mit Mitteln aus dem [7][Turn-Fonds] der
Kulturstiftung des Bundes, der Projekte zwischen Deutschland und Afrika
fördert. Dabei kooperieren Piranha Arts aus Berlin, Musiklabel und
-veranstalter in einem, und Nyege Nyege aus Kampala miteinander; das aus
einem Partykollektiv entstandene Label aus Uganda hat mit seinen
Veröffentlichungen abenteuerlicher [8][afrofuturistischer] elektronischer
Sounds längst Kultstatus – und die eigene Villa in Kampala ist eine der
wenigen sicheren Orte für die LGBTQ-Szene des Landes.
Einer, der das Haus so gut kennt wie kaum ein Zweiter, ist [9][Don Zilla].
Sechs Jahre lang hat er die Nyege Nyege-Studios geleitet. Es seien
wichtige, aber auch „herausfordernde“ Lehrjahre gewesen, sagt er heute.
Denn er habe ununterbrochen mit sehr unterschiedlichen Menschen zu tun
gehabt und immer auf Harmonie geachtet.
In seiner Musik lässt Don Zilla unheimliche Industrial-Klänge mit
schlingernden Bässen und ostafrikanischen Rhythmen verschmelzen.
„Multidimensionale Musik“ nennt er das; er sei ein Medium und mache Musik
nicht nur für die Menschen, sondern auch für Aliens und die Natur, sagt Don
Zilla in bester Lee Perry-Manier. „Was ich mache, ist nicht aus dieser
Dimension, ich schnappe es irgendwo anders auf und bringe es zu uns.“
Während des Festivals geht diese freigeistige, rebellische Attitüde
allerdings etwas verloren. Viel Fläche wird Sponsoren wie Smirnoff,
Coca-Cola und der ugandischen Brauerei Bell eingeräumt – ihre Soundsystems
sind zudem fetter (und lauter) als die vom Nyege Nyege-Kollektiv
betriebenen. Der Spagat zwischen Kommerz und Subkultur gelingt bei der
[10][diesjährigen Ausgabe] von Nyege Nyege nicht wirklich, finde ich. Die
meisten ugandischen Fans des Festivals stört das allerdings [11][überhaupt
nicht].
## Möglichst sozial inklusiv
[12][Derek Debru], einer der beiden Nyege Nyege-Gründer, freut sich vor
allem, dass alles „ohne größere Katastrophen“ abgelaufen sei, und betont:
„Der Eintrittspreis für die lokale Bevölkerung ist absichtlich niedrig,
damit ihn sich alle leisten können.“ Ein Teil der Tickets sei sogar
verschenkt worden, um eine möglichst sozial inklusive Veranstaltung zu
ermöglichen; in einem Land wie Uganda mit seinen extremen
Klassenunterschieden gebe es das sonst nicht.
Musikalisch sind viele magische Momente zu erleben. Die spannendsten – und
düstersten – Auftritte finden auf der versteckten „Dark Star“-Bühne mit…
im Wald statt. Das Genre Gqom aus Südafrika, das wie ein ewiges, scheinbar
direkt ins Inferno führendes Keuchen klingt, wird nicht nur vom famosen
[13][DJ MP3] aus Durban dargeboten, sondern auch vom japanischen Kollektiv
TYO Gqom.
Ein gutes Beispiel dafür, wie schnell Sounds inzwischen um die Welt
wandern. Der Nyege Nyege-Künstler [14][Chrisman] aus dem Kongo spielt
wiederum ein Set, in dem er brasilianischen Baile Funk ebenso
selbstverständlich aufgreift wie angolanischen Tarraxinha, der Kizomba mit
Trap verbindet.
Zu Recht begeistert sind alle Besucher:innen von den Jungs aus
Tansania: [15][Sisso], Maiko und [16][DJ Travella] spielen
[17][Singeli]-Hochgeschwindigkeitssongs in Endlosloops auf billigen
Laptops und PC-Tastaturen. Ihre Musik hat eine treibende punkige Energie,
die Euro-Gabba geradezu altbacken aussehen lässt. Auf einer ähnlich hohen
BPM-Zahl bewegen sich interessanterweise die gesampleten
[18][Balafon-Kaskaden] von [19][DJ Diaki] aus Mali von [20][der westlichen
Seite] des riesigen Kontinents.
## Interesse an Noise
Das wachsende Interesse afrikanischer Künstler:innen an Metal, Noise und
anderen drastischen Spielarten ist eine Entwicklung, die auf den ersten
Blick überraschen mag. Derek Debru sagt: „Überall in Afrika gibt es Kids,
die verstanden haben, dass ihre musikalische Identität einen
internationalen Wert hat und dass es möglich ist, auch als musikalischer
Außenseiter seinen Lebensunterhalt zu verdienen.“
Wen man beim Festival wann zu sehen bekommt, ist oft dem Zufall überlassen,
ständig wird das Programm umgeschmissen. Frustrierend ist das für jene, die
dabei vergessen werden. [21][Haxan] hat Glück: Der Auftritt des jungen
Berliners aus dem Afropollination-Projekt wird nach einem heftigen
Regenschauer zunächst abgesagt, dann aber auf Mitternacht des letzten
Festivaltages verlegt. Mit Industrial- und Hardcore-Rap kriegt der
headbangende Haxan die Leute, und das mit deutschen Texten, aus denen Wut
und Dringlichkeit sprechen.
Danach übernimmt eine Legende: [22][Yamataka Eye], Mitbegründer der
japanischen Noise-Band Boredoms, legt ein verzinktes, vom Singeli-Sound
beeinflusstes Drum-’n’-Bass-Set hin, das einem das Gefühl gibt, man werde
auseinandergeschraubt, wieder zusammengesetzt und neu geboren – ein Akt der
Reinigung zum Abschluss, der einen die Anstrengungen der vorherigen Tage
vergessen lässt.
Und die künstlerischen Kooperationen des Afropollination-Projekts werden
weitergehen – und 2023 in Deutschland fortgeführt: zunächst im Januar auf
dem Schiff [23][MS Stubnitz] in Hamburg, wo erneut Künstler:innen zu
Residenzen eingeladen werden, und beim [24][CTM-Festival] in Berlin. Danach
an einem Juni-Wochenende im [25][Festsaal Kreuzberg] und schließlich bei
einer Veranstaltung von [26][COSMO-Radio] im Juli in Dortmund.
Mehr Infos: [27][nyegenyege.com/afropollination]
Die Reise wurde z.T. vom Afropollination-Projekt finanziert.
25 Sep 2022
## LINKS
[1] https://www.bbc.com/news/world-africa-62945974
[2] https://www.sqoop.co.ug/202209/news/events/nyege-nyege-thieves-target-revel…
[3] https://nyegenyegetapes.bandcamp.com/
[4] https://nyegenyege.com/afropollination/
[5] https://djpaypal.bandcamp.com/
[6] https://usikuvo.bandcamp.com/album/tyo-gqom-compilation-vol-1-2
[7] https://www.kulturstiftung-des-bundes.de/de/projekte/musik_und_klang/detail…
[8] /Afrofuturismus-Schau-in-Dortmund/!5493592
[9] https://hakunakulala.bandcamp.com/album/from-the-cave-to-the-world
[10] https://pan-african-music.com/en/report-nyege-nyege-2022/
[11] https://www.thecitizen.co.tz/tanzania/news/africa/how-nyege-nyege-festival…
[12] https://www.musicinafrica.net/directory/derek-debru
[13] https://nyegenyege.com/artist/dj-mp3/
[14] https://hakunakulala.bandcamp.com/album/ku-mwezi
[15] https://nyegenyege.com/artist/sisso/
[16] https://www.youtube.com/watch?v=T-nMcLuBc2Y
[17] https://djmag.com/news/documentary-high-speed-tanzanian-dance-music-sound-…
[18] /!5682946/
[19] https://www.youtube.com/watch?v=ufTBUGIh4FQ
[20] /Musikfestival-Femua-in-Elfenbeinkueste/!5853901
[21] https://aufewigwinter.bandcamp.com/album/raw-ep
[22] https://www.youtube.com/watch?v=tN0CRD9MV8o
[23] https://www.stubnitz.com/
[24] https://www.ctm-festival.de/festival-2023/welcome
[25] https://festsaal-kreuzberg.de/
[26] https://www1.wdr.de/radio/cosmo/index.html
[27] https://nyegenyege.com/afropollination/
## AUTOREN
Ole Schulz
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