| # taz.de -- Ugandische Exil-Künstlerin Stella Nyanzi: Radikal unhöflich | |
| > Die Dichterin Stella Nyanzi wurde in Uganda verfolgt, weil sie Präsident | |
| > Museveni als „Arschbacken“ bezeichnete. Nun lebt sie im Exil in | |
| > Deutschland. | |
| Bild: Lässt sich nicht einschüchtern: Stella Nyanzi vor Gericht in Kampala, 2… | |
| Berlin taz | Wenn Stella Nyanzi über die Grausamkeiten des ugandischen | |
| Regimes redet, lacht sie. Es ist kein freudiges, sondern ein verzweifeltes | |
| Lachen – ein Lachen, wie man es auf den Märkten, in den Kneipen und auf den | |
| Straßen Ugandas häufig hört. | |
| Heute aber sitzt die Dissidentin in einem Café in Berlin-Wedding, im | |
| sicheren Exil. Vor ihr auf dem Tisch liegt ihr neuester Gedichtband „Im | |
| Mundexil“, der kürzlich in englischer und deutscher Sprache erschien. Darin | |
| verarbeitet Nyanzi ihre Verzweiflung – mit einer radikalen Unhöflichkeit, | |
| die in Uganda eine lange Geschichte hat. | |
| Die frechen und unverschämten Verse in ihrem nun vierten Buch sprechen vom | |
| Schmerz des ugandischen Alltags, von Korruption, Homophobie und Folter | |
| unter einem Regime, das sich seit fast 40 Jahren an die Macht in dem | |
| ostafrikanischen Staat klammert. [1][Nyanzi schont ihre Leser:innen | |
| nicht]: Detailreich dichtet sie über die eiternden Fleischwunden auf dem | |
| Rücken ihres gefolterten Genossen und die Ermordung des LGBTQ-Aktivisten | |
| David Kato. | |
| ## Weiterhin Rumstochern | |
| Und für dieses Leid will sie Rache: Sie schreibt von Maden, die den | |
| Leichnam der First Lady zerfressen. Oder sie droht Diktator Museveni, ihn | |
| mit einem Bleistift zu penetrieren: „Weit weg von Zuhause […] werde ich Dir | |
| weiterhin im Arsch rumstochern, / Mit scharfen Worten in deinen | |
| Leopardenarsch stechen.“ | |
| Die Szenen sind so anstößig, dass kein autoritärer Machthaber das auf sich | |
| sitzen lassen könnte. „Wenn ich den Präsidenten nicht mehr mit ‚seine | |
| Exzellenz‘, sondern mit ‚ein paar Arschbacken‘ anspreche, durchbreche ich | |
| den Bann seiner Autorität“, sagt die ehemalige Professorin für | |
| Anthropologie. Für Nyanzi sind diese Beleidigungen nicht nur unhöflich, | |
| sondern auch radikal, weil sie die Macht der Herrschenden infrage stellen. | |
| Mit ihrer radikalen Unhöflichkeit schließt die 51-Jährige an eine Form des | |
| Widerstandes an, die bereits zu Zeiten der britischen Kolonialherrschaft | |
| entstand. Die Elite Bugandas – des größten afrikanischen Königreiches im | |
| britischen Protektorat Uganda – gab sich loyal und passte sich britischen | |
| Höflichkeitsregeln an. Dafür erhielt sie Gefälligkeiten und Positionen – | |
| und stützte so das Ausbeutungssystem. | |
| ## Fauliger Kern | |
| Doch nicht alle spielten mit. Als der ugandische Intellektuelle Semakula | |
| Mulumba zu einem Dinner mit dem anglikanischen Bischof von Uganda geladen | |
| wurde, beschimpfte er diesen als „reifen Apfel mit fauligem Kern“. Die | |
| britischen Kolonialherren beleidigte er allesamt als „weiße Schweine“. Er | |
| brach mit den Höflichkeitsregeln und weigerte sich, am Verhandlungstisch | |
| Platz zu nehmen. | |
| Seine Worte verbreiteten sich auf Flugblättern und brachten die Legitimität | |
| der kolonialen Ordnung ins Wanken. Von dieser weitverbreiteten | |
| antikolonialen Praxis der 1940er Jahre wisse heute kaum jemand in Uganda, | |
| so Nyanzi – nicht zuletzt, weil in den Schulen bis heute eher | |
| Kolonialherren glorifiziert als kritisch hinterfragt werden. | |
| „Meine Protestpersönlichkeit ist eine fiese Schlampe, eine Maschine“, sagt | |
| die Autorin. Privat wirkt Nyanzi hingegen herzlich und stellt höflich | |
| Nachfragen. Als Enkelin eines anglikanischen Pfarrers sei sie mit strikten | |
| Benimmregeln aufgewachsen. Im kirchlichen Internat sei sie zu einer | |
| kultivierten Ehefrau erzogen worden. „Frau zu sein, hieß, gesehen, aber | |
| nicht gehört zu werden“, beschreibt Nyanzi ihre Erziehung heute. | |
| ## Keine Medikamente | |
| „Es hieß: Lächle, aber mach deinen großen Mund nicht auf.“ Bis heute | |
| erwarten viele Männer der Baganda, der größten Bevölkerungsgruppe Ugandas, | |
| dass ihre Frauen bei jeder Begrüßung vor ihnen niederknien. Im Jahr 2014 | |
| verlor Nyanzi dann ihren Vater, weil dem Krankenhaus die Medikamente | |
| ausgegangen waren, so erzählt sie. | |
| Ein Jahr später sei ihre Mutter gestorben, während sie vergeblich auf einen | |
| Arzt gewartet habe – das Krankenhaus habe kein Benzin für den Krankenwagen | |
| auftreiben können. Im von Korruption zerstörten Gesundheitswesen Ugandas | |
| sind solche Fälle keine Ausnahme. Für Nyanzi wurde der doppelte Verlust zum | |
| Wendepunkt: Sie brach mit der anerzogenen Höflichkeit. | |
| „Meine Sprache und meine Poesie wurden wütender, unhöflicher“, sagt sie | |
| rückblickend. In den sozialen Medien begann sie, den Präsidenten offen zu | |
| verfluchen – den Mann, dessen korrupte Herrschaft sie für den Tod ihrer | |
| Eltern verantwortlich macht. | |
| 2018 dichtet sie auf Facebook: „Ich wünschte, der stinkende und juckende | |
| cremefarbene Candidapilz, der in Esiteris [der Mutter des Präsidenten] | |
| Fotze eitert, hätte dich bei der Geburt erstickt / Dich erstickt genau wie | |
| du uns mit Unterdrückung, Unterjochung und Repression erstickst!!“ | |
| ## Entblößung vor der Kamera | |
| Als sie dafür wenige Monate später wegen „Cyberbelästigung“ vor einem | |
| ugandischen Gericht stand, zeigte sie: Radikale Unhöflichkeit kann sie | |
| nicht nur mit Worten, sondern mit vollem Körpereinsatz. Sie entblößte ihre | |
| Brüste vor laufender Fernsehkamera. | |
| [2][Das Bild der nackten Professorin, die ihre Mittelfinger in die Höhe | |
| reckt und dem Richter entgegenschreit, ging durchs Land]. „Ich habe | |
| Museveni beleidigt, weil er uns seit über 30 Jahren beleidigt. Wir haben | |
| die Diktatur satt“, erklärte sie nach dem Urteil: 18 Monate Haft im | |
| Luzira-Hochsicherheitsgefängnis. | |
| Nach ihrer Entlassung 2022 gelang Nyanzi die Flucht aus Uganda. Mit | |
| Unterstützung der Schriftstellervereinigung PEN Deutschland erreicht sie | |
| gemeinsam mit ihren drei Kindern München. In ihren nun im Exil | |
| veröffentlichten Gedichten verarbeitet sie die Schrecken von Folter und | |
| Fehlgeburt in Haft ebenso wie die Erfahrung der Flucht – und zeigt, dass | |
| sie sich nicht einschüchtern lässt. | |
| Nyanzi weiß genau, wie sie provoziert und Grenzen überschreitet, um | |
| Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ihre obszöne Sprache machte sie zu einer der | |
| bekanntesten Widersacherinnen des Präsidenten. Eine junge Generation von | |
| Dichter:innen knüpft bereits in den sozialen Medien an ihre radikale | |
| Unhöflichkeit an. Schon ihre Forschung zu queeren Identitäten in Afrika war | |
| ein Tabubruch in einem Land, in dem Homosexualität mit lebenslanger Haft | |
| oder gar dem Tod bestraft wird. | |
| ## Zwischen Korruption und Repression | |
| Zwar sorgt ihre Obszönität für Aufmerksamkeit, doch nicht immer für | |
| Zustimmung. Anstatt ihre Wut über Korruption, Müttersterblichkeit und | |
| politische Repressionen zu teilen, ist die Öffentlichkeit vor allem | |
| entsetzt über eins: dass eine Frau aus der Kultur der Baganda es wagt, | |
| solch schmutzige Wörter in den Mund zu nehmen. Ihre sexualisierte Sprache | |
| wird oft als westlich, als unafrikanisch verstanden. | |
| Die Autorin widerspricht dieser Annahme: „Ich verbinde meine Poesie bewusst | |
| mit indigenen Traditionen.“ Auch hier in Deutschland trägt sie ein | |
| elegantes Kleid aus Kitenge, einem afrikanischen Stoff. Auch ihre | |
| Dreadlocks – ein Symbol afrikanischer Identität – hat sie mit dem blauen | |
| Stoff nach hinten gebunden. Sexualisierte Sprache sei kein westliches | |
| Phänomen, argumentiert Nyanzi: „Auch unsere Großmütter sangen offen über | |
| ihre Vaginas.“ | |
| Sie erinnert auch an die mystische Macht, die einer Frau wie ihr – einer | |
| Nalongo, einer Mutter von Zwillingen – in der Kiganda-Kosmologie | |
| zugeschrieben wird: „Als Frauen mit weiten Vaginas hatten wir die Erlaubnis | |
| zu fluchen, zu beleidigen – sogar dem König zu sagen: Fick dich.“ | |
| Ob sie gerne über den Arsch des Präsidenten schreibe? „Ich würde mit meiner | |
| dichterischen Freiheit lieber über schönere Dinge schreiben“, antwortet | |
| Nyanzi, während sie in der Sonne ein Eis löffelt. | |
| So scharf ihre Kommentare gegen das Museveni-Regime, so zärtlich sind ihre | |
| Gedichte über die Heimat. Weit weg von der Folter der Gefängnisse, findet | |
| Zärtlichkeit wieder Platz in ihrem Werk: die Liebe zu ihren | |
| Zwillingssöhnen, der Geschmack ugandischer Pfannkuchen und die Freude über | |
| ihre Tochter im Dirndl. | |
| 19 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Josefine Rein | |
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