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# taz.de -- Kurator über Musikfestival CTM in Berlin: „Eine Geschichte der B…
> Jan Rohlf ist Kurator des Berliner Musikfestivals CTM. Über die Lehren
> aus der Coronapandemie, Engagement für die Ukraine und die Clubkultur in
> Berlin.
Bild: Präsentieren Singeli-Sound am 3. Februar in Berlin: Rehema Tajiri und Qu…
taz: Jan Rohlf, heute Abend beginnt das CTM-Festival – erstmals seit 2020
ohne Einschränkungen. Wie hat Ihr Team die Pandemie überstanden?
Jan Rohlf: Wir hatten das Glück, dass wir Ende 2019 vom Kultursenat Berlin
erstmals eine auf vier Jahre angelegte Förderung erhalten haben. Sie hat
uns ermöglicht, dass wir in dieser schwierigen Zeit die Arbeit fortsetzen
und das Team aufrecht halten konnten. Alles in allem sind wir gut
durchgekommen, obwohl es für alle Beteiligten eine riesige Energieleistung
war, die auch Wunden hinterlassen hat.
Durch Corona haben sich Bedürfnisse beim Ausgehen geändert, wie wirkt sich
das aufs Festival aus?
Menschen, die arbeiten, legen sehr viel mehr Wert auf die Qualität ihrer
Arbeitsbedingungen. Das ist auch im Nachtleben so. Diese Entwicklung ist an
sich richtig, aber sie führt dazu, dass die kulturelle Arbeit und das
Veranstalten deutlich teurer geworden sind. Wir schauen derzeit auf
Kostensteigerungen von bis zu 35 Prozent, vor allem im Bereich Personal,
Technik, Betriebskosten und Mieten von Spielorten. Diese Kosten können
nicht Eins zu Eins weitergegeben werden an Ticketkäufer:innen, auch sie
verfügen über weniger im Geldbeutel.
Als Ihr Festival Ende der 1990er angefangen hat, war das, was man
„elektronische Lebensaspekte“ nennt, in der Embryonalphase. Dem Projekt
Elektronische Musik war eine gewisse Progressivität inhärent. Leidet dieser
Fortschritt unter der krisenhaften Weltlage?
Die Geschichte der elektronischen Musik ist eine Geschichte der Befreiung
von Begrenzungen, von Demokratisierung, von Austausch und neuen
Verbindungen und von Selbstermächtigung. Es ist wichtig, diese Aspekte zu
beleuchten. Aber natürlich finden sich in elektronischer Musik und darin,
wie ihre Geschichten geschrieben werden, blinde Flecke: Auslassungen,
falsche Hierarchien und Diskriminierung. Diese Dinge müssen reflektiert
werden, wenn wir wollen, dass elektronische Musikkultur zu einer besseren
Welt beiträgt.
Am Anfang ging es vor allem darum, überhaupt die elektronischen Subkulturen
mit den Experimenten der historischen Avantgarden zu verbinden. Dann galt
es zu erkennen, dass es an Anerkennung bei der Rolle von Frauen und queeren
Stimmen fehlt. Die Aufarbeitung ist im Gange. Dadurch ergeben sich neue
Perspektiven, die Hand in Hand gehen mit einem Aufbrechen der männlichen
Dominanz in elektronischer Musikkultur. Nur wenn wir als Musik-Community
hier weiterkommen, können wir zu einem fruchtbaren Miteinander finden.
CTM hat zuletzt mit Veranstaltungen vergangenen Mai und dann im November
mit der von Taïca Replansky kuratierten Veranstaltung „Territory Disrupt“
auf den russischen Angriffskrieg reagiert und Vertreter:innen der
ukrainischen Diaspora nach Berlin gebracht, auch jetzt wird die Ukraine
vertreten sein.
Die paradoxe Gleichzeitigkeit von progressiven Entwicklungen und
reaktionärem Backlash hat sich 2022 nochmals zugespitzt. Angesichts des
Versuchs Russlands die Ukraine zu zerstören wollen wir diese Situation
reflektieren: [1][Was bedeutet es in so einer Bedrohungslage, in einer
existenziellen Krisensituation als Künstler:in zu arbeiten.] Wie
verändert diese Situation das künstlerische Selbstverständnis, wie die
Praxis.
Berlin liegt geographisch an der Schwelle zu Osteuropa, müsste sich dies
nicht noch mehr auf Ihr Programm auswirken?
Wir haben schon vor 20 Jahren mit Themenschwerpunkten versucht, Beziehungen
aufzubauen [2][zu für uns damals unbekannten Akteuren im östlichen und
südöstlichen Europa.] Heute muss es darum gehen, Menschen aus Ost- und
Südosteuropa in die Programmentwicklung direkt einzubeziehen. Dort gibt es
sehr viel Enttäuschung.
Warum?
Vor 20 Jahren gab es begründete Hoffnungen, dass sich zwischen Ost und West
schneller ein Gleichgewicht einstellt, auch auf dem Feld der elektronischen
Musik. Die Realität ist, dass der Musikmarkt von Großbritannien und den USA
dominiert wird. Stimmen aus Osteuropa bleiben marginal. Sie haben nicht den
gleichen Zugang zu Festivals und zur medialen Aufmerksamkeit. Das hat
nichts damit zu tun, was tatsächlich an ästhetischer Produktion
stattfindet, sondern mit mangelnder Anerkennung und festgezurrten
Stereotypen.
Sie verzichten auf große Namen und laden dafür Talente ein wie Queen Asher
aus Tansania. Wie sind Sie auf die Künstlerin gestoßen?
Wir führen beständige Arbeitsbeziehungen mit Partnern in Ostafrika wie etwa
Nyege Nyege in Uganda. [3][Das ist ein kreativer Hub mit Festival], eigenem
Label und Residenzort mit Studios, in denen sich Künstler:innen aus ganz
Afrika und anderen Teilen der Welt begegnen. Nun sind wir Teil des Projekts
„Afropollination“. Hier geht es darum, Musiker:innen aus Deutschland
mit solchen aus Afrika zusammenzubringen, um neue Musik zu entwickeln. 2022
war mein Kollege Michail Stangl in Daressalam und hat dort Queen Asher und
ihre Mutter kennengelernt.
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Gäste keine reaktionären Weltanschauungen
verbreiten?
Öffnet man ein Festival gegenüber Perspektiven aus verschiedenen Teilen der
Welt, gehört dazu, dass unterschiedliche Meinungen miteinander in einen
Dialog treten. Es kann nicht darum gehen, dass wir uns in einem engen
Meinungskorridor bewegen, der Kritik von vorneherein ausschließt. Klar ist,
dass jede Form von Hass und Diskriminierung bei uns keinen Platz hat. Am
Ende ist es so, dass wir als Kuratoren verantwortlich sind für unser
Programm.
Zuletzt haben Gerüchte um eine Schließung des Berghain, einer Ihrer
Veranstaltungsorte, gezeigt, dass die Berliner Ausgehkultur auf tönernen
Füßen steht. Wie muss Ihr Festival auf Stadtentwicklung und Verdrängung
reagieren?
Lebendige Musikkultur braucht unterschiedliche Orte. Berlin braucht selbst
organisierte Orte, also solche, die sich finanzieren lassen, ohne
staatliche Förderung und kommerzielle Sponsoren. Nur dort ist ein freies
Experimentieren möglich. Und das ist immer eine der großen Qualitäten von
Berlin gewesen. Hier habe ich am meisten Sorge, solche Orte sind am
stärksten gefährdet.
Die Stadt muss dabei helfen, Orte abzusichern, die trotzdem so frei wie
möglich sein müssen. Es wäre ungut, wenn wir nur noch staatlich finanzierte
Häuser als öffentliche Einrichtungen hätten, aber auch solche braucht es.
Dann muss man auch sagen, es fehlt ein Haus für experimentelle
Musikkulturen und Klangkunst in Berlin, das städtisch oder staatlich
finanziert ist. Das ist eine große Lücke!
26 Jan 2023
## LINKS
[1] /Musik-fuer-die-Ukraine/!5908749
[2] /Neue-Musik-aus-Georgien/!5878574
[3] /Musikfestival-Nyege-Nyege-in-Uganda/!5881416
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Elektronik
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Ukraine
Experimentelle Musik
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