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# taz.de -- Auftakt Festival CTM Berlin: Etwas Wärme für Cyberia
> Am Mittwoch startet das elektronische Musikfestival CTM in Berlin – als
> Onlineversion. Was ist möglich und was nicht?
Bild: Kommt wenigstens virtuell zum CTM-Festival: die Künstlerin Object Blue
Ewig her kommt es einem vor, das CTM-Festival in Berlin vor einem Jahr.
Covid-19 war im Januar 2020 scheinbar noch weit entfernt, irgendeine
Epidemie in China. Ihrem Motto „Liminal“ folgend, versetzte die
letztjährige Ausgabe [1][des Festivals für abenteuerliche Musik und Kunst
seine Besucher*innen in einen ungemütlichen Schwellenzustand].
„Liminal“ wurde als Begriff von dem Anthropologen Victor Turner in den
1960ern geprägt: Er beschrieb damit sowohl rituelle Initiationsriten in
archaischen Kulturen wie auch Revolutionen in modernen Gesellschaften, so
oder so also aufreibende Übergänge in etwas Neues, noch Unbekanntes.
Fast schon prophetisch klingt das im Nachhinein. Und was kommt nach so
einer unruhigen Zwischenphase? Richtig, die große Veränderung, die
„Transformation“. Folgerichtig lautet das Oberthema der diesjährigen
Ausgabe, die heute startet und in der pandemiebedingt zwangsläufig alles
etwas anders vonstatten geht, exakt so. Jene Transformation bezieht sich
freilich nicht nur auf Covid-19 selbst und die Schieflage im
Gesundheitssektor, die Corona bloßlegte.
Tatsächlich stand das Thema schon vorher fest. So sind genauso auch die
Folgen einer definitiv zu transformierenden, komplexen Gemengelage unguter
Entwicklungen gemeint, soziale Ungleichheit, Klimakrise, politische
Spannungen, die sich im vergangenen Jahr so massiv nach vorne drängten,
dass sie nicht mehr länger ignoriert werden konnten. Beziehungsweise, wie
es auf der Website des Festivals geschrieben steht: „Wir fürchten, dass die
Welt, wie wir sie kannten, auf dramatische Weise untergehen könnte, wir
wissen nur nicht wann und wie genau das passiert.“
## Was ein Festival bewirken kann
Was die [2][Transformation der CTM] selbst betrifft, so stand diese wie
jede kulturelle Großveranstaltung vor der Frage, wie ein Festival in der
Pandemie überhaupt aussehen kann. Und, wie Co-Direktor Oliver Baurhenn
ergänzt, was ein solches Festival bewirken kann und in welcher Haltung man
es macht. Dass die CTM dennoch stattfinden sollte, aber eben [3][den
Umständen entsprechend im Virtuellen], stand bald fest und damit neue
Herausforderungen im Raum: „Wir mussten uns“, so drückt es Baurhenn aus,
„für die unbekannte Welt des Online-Agierens schulen.“ Auch die CTM hatte
Streamingformate zuvor nicht wirklich im Repertoire.
Überhaupt das Streamen. Immer scheint es darauf hinauszulaufen, doch einen
adäquaten Ersatz für das Bühnengeschehen kann es kaum sein. Möglicherweise
sogar eher das Gegenteil davon: Viele monieren mittlerweile, Streaming
deprimiere sie zu sehr, lege den Finger in die Wunde, weil damit noch
deutlicher werde, was gerade fehlt.
Das nämlich, was die CTM auch ausmachte. Nie ging es dort nur um die Musik
und die Performance, sondern auch um das Erleben, das Dabeisein und um
Begegnungen. Um die physische Erfahrung einer Clubnacht: Wie es ist, Sound
über die großen Lautsprecher zu hören, den Bass, der in den Körper dringt
und auf die Tanzfläche drängt, um den sozialen Austausch in all seinen
Facetten, um das daraus resultierende Gemeinschaftsgefühl. Eigentlich sei
es unmöglich, das eins zu eins online zu übertragen, erklärt Baurhenn.
## Aus dem Gaming-Kontext
Lösungen, die die CTM gefunden hat, um dem wenigstens ein bisschen näher zu
kommen, stammen vielfach aus dem Gaming-Kontext. Der philippinische Club
Matryoshka arbeitet schon länger mit der Open-World-Spielewelt Minecraft.
Club Matryoshka wurde im Juli 2019 von einem Netzwerk von Menschen aus der
Gaming-, Kunst- und Musikszene gegründet und wird von diesem seitdem
regelmäßig für Partys genutzt.
In Zusammenarbeit mit dem Amazed Festival wiederum wurde eine
Multiplayer-3D-Umgebung namens Cyberia erschaffen, durch die man sich als
Avatar*a bewegen kann, um unterschiedliche Klangkunstarbeiten zu erleben.
Eben das funktionierte zu Beginn aber nicht. Von unvorhergesehenen
technischen Problemen ist die Rede. Wann Cyberia eröffnet werden kann,
stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest.
Interessant könnten außerdem die „Trans/local Performances“ werden, die a…
der Betonhalle im Wedding gestreamt werden. Das Besondere: Mindestens
eine*r der beteiligten Künstler*innen sendet von einem anderen Ort auf
der Welt. Die Berliner Künstlerin Isabel Lewis trifft dabei etwa auf die
Londoner Musikerin Loraine James. Der Elektronikexperimentator Mark Fell
aus Sheffield wiederum veranstaltet eine Art digitale Jamsession mit
Kolleg*innen in Japan und Berlin. Die Reihe ist der Versuch, für
Künstler*innen auch in der Pandemie über Entfernungen hinweg
zusammenarbeiten zu können.
## Kostenlos zugänglich
Für das Festivalpublikum sind die Entfernungen indes geschrumpft. Musste
man sich früher quer durch den kalten berliner Winter schlagen, geht der
Ortswechsel nun ganz bequem vom Sofa aus. Noch ein Vorteil für
Besucher*innen: Anders als sonst ist das ganze Programm der CTM kostenlos
zugänglich. Unrealistisch erscheint es bislang noch für digitale
Performances, falls es sich nicht um einen ganz großen Namen handelt,
Eintritt zu verlangen, was ein solches digitales Festival [4][selbst für
die langfristig geförderte CTM zum finanziellen Kraftakt] macht.
Auf seiner Website weist das Festival auf die Möglichkeit hin, zu spenden.
Hauptsächlich soll das den Künstler*innen zugute kommen. Ihr reguläres
Honorar erhalten sie freilich trotzdem.
20 Jan 2021
## LINKS
[1] /Abschluss-der-CTM-2020-in-Berlin/!5657958
[2] /Elektronikproduzent-ueber-Lage-der-USA/!5739260
[3] /CTM-Festival-in-Berlin/!5567841
[4] /Kuratoren-des-Club-Transmediale/!5273016
## AUTOREN
Beate Scheder
## TAGS
Streaming
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CTM Festival Berlin
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