# taz.de -- Neues Album der Dwarfs Of East Agouza: Zwerge, die das Chaos ordnen | |
> Bei den Dwarfs Of East Agouza kommt zusammen, was nicht zusammengehörig | |
> scheint: Punk, Experimentelles und arabische Musik. Ein Bandporträt. | |
Bild: Freunde und Frickler: Sam Shalabi, Alan Bishop und Maurice Louca (v. l.) | |
Alles beginnt in einem Mietshaus in Agouza, einem Stadtteil von Kairo. Im | |
Jahr 2012 treffen hier die drei Musiker Alan Bishop, Sam Shalabi und | |
Maurice Louca aufeinander – sie wohnen alle im selben Haus in dem am | |
westlichen Nilufer gelegenen Viertel. | |
Bishop und Shalabi haben zu diesem Zeitpunkt schon eine Geschichte in der | |
internationalen Musikszene hinter sich: Bishop war Teil [1][der US-Band Sun | |
City Girls], die von Ende der Siebziger an Punk und Psychedelic Rock mit | |
arabischer Musik fusioniert hat, Shalabi spielte in der n[2][ach ihm | |
benannten Experimental-Combo Shalabi Effect] und gründete [3][in den | |
Nullerjahren das „Land Of Kush“-Orchester]. | |
In Agouza machen die beiden vor zehn Jahren mit dem Kairoer Musiker und | |
Komponisten Louca gemeinsame Sache – quasi als Hausband. „Sam hatte die | |
Idee, gemeinsam zu spielen. Wir wohnten im selben Gebäude, waren Freunde. | |
Es fühlte sich einfach gut an, zusammen zu improviseren“, sagt Louca heute. | |
Aus dem guten Gefühl entsteht eine Band: The Dwarfs Of East Agouza („Die | |
Zwerge von Ost-Agouza“). Es soll weit mehr als bloß ein Seitenprojekt der | |
drei werden, im Lauf der Zeit stimmen sie sich immer besser aufeinander ab, | |
komponieren in Echtzeit zusammen. | |
## Die Freiheit, nicht proben zu müssen | |
„Wir spielen nicht nur um des Spielens willen, sondern wir versuchen immer | |
etwas Neues zu kreieren, auch in einem Improv-Kontext“, erklärt Louca. | |
„Mittlerweile haben wir vollständiges Vertrauen zueinander – in dem Sinne, | |
dass wir die Richtungen, die die anderen einschlagen, nachvollziehen und | |
verstehen können.“ Das bislang bekannteste Album der Dwarfs ist ihr | |
Debütalbum „Bes“ (2016). Kürzlich erschien [4][ihr live eingespieltes neu… | |
Album „High Tide in the Lowlands“]. | |
Bishop, Shalabi und Louca sitzen an einem Aprilmorgen in einem Musikstudio | |
in Berlin-Kreuzberg, zwei Tage zuvor haben sie ein gefeiertes Freejazz-Set | |
im Hebbel am Ufer gespielt. Nun feilen sie an neuen Aufnahmen, vorher | |
nehmen sie sich noch Zeit für ein Interview bei (jeweils) zwei, drei | |
Morgenzigaretten. | |
Für Shalabi sind die Dwarfs eine Band aus Freunden, die ein musikalisches | |
Gespür füreinander entwickelt haben: „Ich bin einfach gern mit den Jungs | |
zusammen. Und genieße die Freiheit, eine Gruppe zu haben, mit der man nicht | |
proben muss.“ | |
Bishop sieht auch im Scheitern beim Musikmachen eine Chance: „Wir sind | |
natürlich nicht immer erfolgreich beim Komponieren in Echtzeit. Aber je | |
mehr du im Zusammenspiel riskierst, desto besser lernst du dich kennen.“ | |
Das Besondere an dieser Band liegt wohl in einem Zusammentreffen zweier | |
Welten, die erst einmal nicht zusammengehörig scheinen: Punk und | |
experimenteller Rock auf der einen und arabische Musik auf der anderen | |
Seite. Shalabi und Bishop haben beide einen arabischen Background, sind | |
aber in Kanada bzw. den USA aufgewachsen. | |
„In meinem Elternhaus lief arabische Musik, zum Beispiel die von Mohammed | |
Abdel Wahab und Om Kalsoum“, erzählt Shalabi. „Im Teenager-Alter bin ich | |
dann mit Punkrock in Berührung gekommen, später mit Jazz und Improv.“ | |
Bishop entdeckte Ende der Siebziger Punk und Psychedelic Rock, als er in | |
Phoenix, Arizona lebte. | |
Gemeinsam mit seinem Bruder Richard Bishop gründete er damals die Sun City | |
Girls. Er sei groß geworden mit der Musik des ägyptischen Gitarristen Omar | |
Khorshid oder des syrisch-ägyptischen Sängers Farid el Atrache, erzählt | |
Bishop. | |
## Vitale Szene in Kairo | |
Der Dritte im Bunde, Maurice Louca, ist jünger als die anderen, er ist 1982 | |
in Kairo geboren und lebt dort bis heute. Als Solomusiker ist er mit seinem | |
tollen [5][Album „Salute the Parrot (2014)“] in der experimentellen | |
Musikszene bekannt geworden, darauf verbindet er elektronische Beats mit | |
arabischer Melodik und Rhythmik sowie Rock-Elementen. | |
Die Kairoer Musikszene hat die Dwarfs merklich geprägt, aus der ägyptischen | |
Hauptstadt sind zuletzt etwa auch [6][Maryam Saleh] und [7][Nadah El | |
Shazly] einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. „Der Ort, an dem | |
Musik entsteht, beeinflusst einen immer“, sagt Shalabi. „Kairo ist ein sehr | |
chaotischer Ort, vielleicht versuchen wir in unserer Musik das Chaos ein | |
bisschen zu ordnen.“ | |
Auch in geordneten Bahnen klingt diese Musik noch sehr frei, freejazzig und | |
psychedelisch. Auf „High Tide In The Lowlands“ kreuzen sich die fast | |
rhythmisch eingesetzte Oud von Shalabi mit repetitiven Gitarrenmustern, die | |
Bishop spielt. Letzterer ist auch am Saxofon zu hören, während Louca mit | |
Synthesizern für knisternde, wabernde, flächige Klänge sorgt und völlig | |
andere Muster einbringt. | |
Die drei Zwerge bringen nicht nur Ordnung ins Chaos, sie laufen hier auch | |
zu großer Form auf – wie gut, dass sie einst in Agouza aufeinander trafen. | |
Der Text ist in der taz-Verlagsbeilage „Global Pop“ erschienen | |
18 May 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://suncitygirls.bandcamp.com/album/torch-of-the-mystics | |
[2] https://alien8recordings.bandcamp.com/album/shalabi-effect | |
[3] https://landofkush.bandcamp.com/ | |
[4] https://subrosalabel.bandcamp.com/album/high-tide-in-the-lowlands | |
[5] https://mauricelouca.bandcamp.com/album/benhayyi-al-baghbaghan-salute-the-p… | |
[6] http://www.maryamsaleh.com/ | |
[7] https://nadahelshazly.bandcamp.com/album/ahwar | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
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