| # taz.de -- Musikfestival Femua in Elfenbeinküste: Beats, Businesspläne und M… | |
| > Die Stars von Magic System spielen, der Präsident kommt. Musik ist ein | |
| > Wirtschaftsfaktor in Côte d’Ivoire. Eindrücke vom Femua-Festival in | |
| > Abidjan. | |
| Bild: „Je suis Rrrocky“: Rocky Gold auf der Bühne des Festivals FEMUA in A… | |
| Magie ist in Abidjan fast greifbar, nur wäre es keine Magie, wenn man | |
| wüsste, wann genau sie auftaucht und in welcher Form. Oft zaubert sie in | |
| den schönsten Momenten der Verwirrung ein Lächeln auf Gesichter, das | |
| überaus entspannend wirkt. Mir spendiert sie einen Running Gag. | |
| Den Weg zum Hotel im Viertel Riviera Deux und seinen Namen wissen die | |
| Taxifahrer nicht, Straßennamen gibt es keine in Abidjan, aber die | |
| Chauffeure kennen die große Werbetafel von Voodoo Communication – so heißt | |
| eine TV-Produktionsfirma –, und in der Nähe dieser Tafel findet sich die | |
| Route zum Hotel. | |
| Von der Bedeutung der Magie in ganz Afrika spannt die | |
| algerisch-französische Philosophin Seloua Luste Boulbina in ihrem | |
| wunderbaren Essay „Den Überblick verlieren“ einen Bogen zur ungerechten | |
| Verteilung von Wissen hin zu einem Zustand von Orientierungslosigkeit. | |
| Dieser sei für sie erstrebenswert, da „Orientierung immer an eine Bewertung | |
| anknüpft und an die Kolonisierung von Raum“. Desorientierung will Boulbina | |
| nicht als Versagen verstehen, sondern „als Handlung und Geste“. Sich in | |
| einer Stadt zu verlaufen sei schließlich ein Gewinn. | |
| ## Der Platz wird eng | |
| Nur werden die Zonen zum Verlaufen auch in Abidjan immer enger. Die | |
| Einwohnerzahl steigt durch Zuzug vom Land und afrikanische Binnenmigration | |
| nach Côte d’Ivoire weiter an. Der Verkehr hat drastisch zugenommen, seit | |
| ich 2017 das erste Mal in die inzwischen Fünf-Millionen-Einwohner-Metropole | |
| gekommen bin; nun quälen sich die Blechlawinen bis in die Abendstunden im | |
| Stop-and-go über die Straßen, an Spurverengungen kommt es zu | |
| haarsträubendem Gedrängel. Pkws rasen los, bevor Ampeln auf Grün springen. | |
| Während von oben hinter einem Dunstschleier die Äquatorsonne wie Grillkohle | |
| in einem Dampfbad glüht, scheint es bis zum Verkehrsinfarkt nicht mehr | |
| weit. Abhilfe lässt noch auf sich warten: 2024 soll die erste U-Bahnlinie | |
| in Betrieb gehen, die seit 2018 mithilfe des französischen Konzerns Alstom | |
| in der Lagunenstadt gebaut wird. Sie allein wird aber nicht reichen, um den | |
| Verkehr so zu reduzieren, dass der Alltag lebenswert bleibt. | |
| In Abidjan findet wieder das [1][Femua] statt, eines der größten | |
| afrikanischen Musikfestivals mit Live-Übertragungen im frankofonen | |
| Fernsehen auf der ganzen Welt und einem [2][sozialgesellschaftlichen | |
| Begleitprogramm], das mindestens so viel zählt wie die auftretenden Acts. | |
| Dieses Jahr steht es im Zeichen von „Entrepreneuriat et Employabilité des | |
| Jeunes“ – Unternehmergeist und Jobs für Berufsanfänger. | |
| Dazu muss man wissen, dass drei Viertel der Ivorer:innen jünger sind als | |
| 35 Jahre. Jedes Jahr drängen zwischen 100.000 und 200.000 Berufsanfänger | |
| auf den Arbeitsmarkt, ein kaum zu bewältigender Andrang, in der ganzen | |
| Region Westafrika sollen es gar an die 12 Millionen seien, wobei nur 3 | |
| Millionen von ihnen auch Jobs finden, oftmals prekärer Art. | |
| Eingestellt werden am häufigsten Bekannte und Verwandte. Selbst gut | |
| ausgebildete [3][Junge] haben keine Chance, bei den Banken im Lande Kredite | |
| zu erhalten, weil sie ihre Ideen – angeblich – nicht gut verkaufen können. | |
| Dringend benötigte Coachingprogramme lassen auf sich warten. Es fehle | |
| manchmal an den Basics: Businesspläne schreiben, Kostenkalkulationen | |
| anwenden. Aber: Die Kreditvergabe beruhe ohnehin auf undurchsichtigen | |
| Kriterien. Bei den Debatten auf dem Gelände werden | |
| Regierungsvertreter:innen geradezu mit Fragen dazu bestürmt. | |
| Der Ton bleibt dennoch sachlich. Teilnehmer:innen beklagen nicht nur | |
| den schlechten Zustand der berufsbegleitenden Ausbildung in den | |
| Berufsfachschulen, sondern auch die mangelnde Disziplin. Schulbildung in | |
| Côte d’Ivoire beruhe immer noch auf einer alten, teils noch aus | |
| Kolonialzeiten stammenden paternalistischen Autoritätskultur, erklärt | |
| der Gewerkschafter Thierry Emat. | |
| Das bestätigt auch der deutsche Migrant Stefan H. W. Meisel. Meisel, der | |
| eine kleine Konfitürefabrik betreibt, in der er faire Löhne bezahlt, | |
| verzweifelt manchmal an der Transformation: Er hat jetzt zwar fähige | |
| Marmeladen-Magier, aber es existieren weder Kartonagefabriken für die | |
| Verpackung noch Glasmanufakturen in Côte d’Ivoire. So muss er etwa Gläser | |
| aus China importieren. Die Preise sind durch die Pandemie durch die Decke | |
| gegangen: Kostete der Container vorher 1.500 Euro, sind es nun bereits | |
| 9.500 Euro. | |
| ## Export only | |
| Meisel und seine Leute sammeln nun Altglas, um es zu recyceln. Der Aufwand | |
| ist erheblich. Im Kakaoanbau und bei Cashewkernen ist Côte d’Ivoire | |
| weltführend, aber – die Weiterverarbeitung erfolgt im Ausland. Ivorische | |
| Cashewkerne wandern erst nach Vietnam, bevor sie dann auf den europäischen | |
| Markt gelangen. Auch der Krieg in der Ukraine zeigt bereits Auswirkungen: | |
| Die Benzinpreise sind so angestiegen, dass die Regierung die Steuern senken | |
| musste. | |
| Wenn die Musik spricht, ist von den Sorgen und Nöten keine Rede mehr, dann | |
| wird frenetisch gefeiert. Beim Femua ist das Publikum der wahre Star. Der | |
| Eintritt ist frei, und die Bewohner aus dem Viertel Macory in der | |
| Nachbarschaft nehmen das Angebot auch massenweise an. Tausende kommen aufs | |
| Gelände oder lassen sich ringsum in den Freilichtbars des Viertels nieder | |
| und hören von dort aus zu. | |
| Der technische Aufwand auf dem Festivalgelände ist enorm und trotzdem, es | |
| fällt zwischendurch der Strom aus. Was dann wiederum durch die elegante | |
| Gelassenheit der Menschen aufgefangen wird, die Ruhe, die sie ausstrahlen, | |
| wenn etwas nicht klappt, irgendwann wird der Strom schließlich wieder da | |
| sein. Das muss an Magie liegen. | |
| ## Traditionell und trotzdem modern | |
| Oder an Magic System. Weil der Präsident Alassane Ouattara persönlich | |
| vorbeischaut, zieht Magic System, die Band um Festivalleiter Salif Traore | |
| alias A’Salvo, ihren Auftritt am Samstag vor. In großer Besetzung, mit | |
| dreiköpfiger Bläsersektion, Gitarre, Bass, Drums und zwei Synthesizern, | |
| klingen sie dann wie die westafrikanische Band, die der langen Tradition | |
| von Afrobeat mit ivorischen Regionaleinflüssen noch mal eine andere, | |
| modernere Ausrichtung gibt. Chorgesang und an High-Life-Sound erinnernde, | |
| melodiös perlende Gitarrenmelodien geben den Ton an. | |
| In Frankreich sind Magic System zuerst zu Starruhm gekommen und seit Langem | |
| in den Charts, auch in Deutschland wurde ihr Ballermannsong „Magic in the | |
| Air“ Titelmelodie einer ZDF-Show. Das Konzert war etwas völlig anderes, | |
| traditionsbewusst und amtlich zugleich, mit zauberhaften Hooklines statt | |
| Gröl-Refrains. Magic System geben der Stadt, dem ganzen Land und der | |
| Diaspora, egal ob sie in Montreal oder Paris lebt, mit diesem Festival | |
| etwas von ihrem Mega-Erfolg zurück. | |
| Im Gespräch mit der taz sagt A’Salvo sehr bestimmt: Ein neues Album, das | |
| sei ja schön und gut, wichtiger sind Jobs und Ausbildungsmöglichkeiten für | |
| junge Leute. Von der Bühne wird er verkünden, dass die Regierung 150 | |
| Millionen CFA (umgerechnet 23 Millionen Euro) an Kulturgeldern lockermacht. | |
| ## Ein Haus für Manu | |
| Musik, das zeigt dieses Festival, ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in | |
| Côte d’Ivoire. Abidjan war schon nach der Unabhängigkeit 1960 Drehkreuz und | |
| dank guter Studios bevorzugter Aufenthaltsort für Künstler:innen aus der | |
| Region. Die Politik mischt kräftig mit. So bekam der kamerunische Star Manu | |
| Dibango in den 1980ern auf Geheiß von Präsident Félix Houphouët-Boigny ein | |
| Haus in Abidjan zur Verfügung gestellt. | |
| Auch A’Salvo nutzt seine Kontakte nach oben. Diesmal ist die Demokratische | |
| Republik Kongo das Gastland und bringt die kongolesische Rumba mit. Wobei | |
| es trotz einer schönen Ansprache der Kulturministerin und einem | |
| anschaulichen Erklärbild im Gastpavillon auf dem Gelände bei | |
| Lippenbekenntnissen bleibt, die Band Kitoko Maison aus Kinshasa spielt | |
| relativ gesichtslosen afrikanischen Charts-Pop, von Rumba keine Spur. | |
| Am letzten Festivaltag wandert Femua in die Hafenstadt San Pedro, 400 | |
| Kilometer von Abidjan entfernt, nahe der Grenze zu Liberia gelegen. Hier | |
| ist der Umschlagplatz für Kakao, Holz, Zement und Sand, all das exportiert | |
| Côte d’Ivoire in die Welt. Kilometerlang geht es an Lagerhäusern vorbei, | |
| bis wir zum Festivalgelände kommen. Wieder sind einige tausend | |
| Zuschauer:innen gekommen. | |
| ## Je suis Rrrocky | |
| Die Sängerin Rocky Gold aus Abidjan zieht die Menge sofort in den Bann. Wie | |
| eine Seeräuber-Jenny, weniger Jenny und mehr Seeräuber, rollt und dehnt sie | |
| das R ihres Namens: „Je suis Rrrocky“ und mischt ein mächtiges Cocktail aus | |
| Zouglou und Coupé-Décalé-Dance-Sound, zu dem niemand stillsteht. | |
| Die Backingband überlässt ihr und den vier Tänzerinnen, die sich die Seelen | |
| aus dem Arsch twerken, allen Raum, und trotzdem legt sie das | |
| zeitgenössische Dancebett so routiniert an, dass Rocky Gold bequem fällt. | |
| Ein feierlicher Abschluss. Ganz zum Schluss mischt auch noch mal Magie mit: | |
| Bei der Ausreise am Flughafen bittet mich ein Zollbeamter in einen | |
| fensterlosen Raum und möchte Geld sehen, aber ich reagiere so authentisch | |
| verwirrt, dass er entnervt aufgibt. | |
| Die Recherche zu diesem Text wurde von der Unesco unterstützt. | |
| 21 May 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Julian Weber | |
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