| # taz.de -- Musikkonferenz „Acces in Accra“: „Beat the system!“ | |
| > Konzerte und Diskussionen: Auf der Musikkonferenz „Acces in Accra“ in | |
| > Ghana wurde abwechselnd zu Highlife getanzt und auf Panels gestritten. | |
| Bild: Da fliegen die Dreads: Arka'n aus Togo live in Accra | |
| Was ist afrikanisch? Und was ist europäisch oder deutsch? Solche pauschalen | |
| Identitätsformeln werden immer unsinniger. Nehmen wir das | |
| [1][Kuduro]-Bassduo Gato Preto. Sängerin Carmen hat [2][mosambikanische | |
| Wurzeln], ihr Beatschmied Lee Bass ist dagegen Deutsch-Ghanaer. Beide leben | |
| in Düsseldorf, und stehen in engem Kontakt zu ihren Familien in Afrika und | |
| der Diaspora. | |
| Oder die „Wüstenrocker“ von Songhoy Blues. Die Malier sind wegen der | |
| politischen Situation im Land schon vor Jahren ins Exil gegangen. Von den | |
| ghanaischen Rappern Fokn Bois wohnt einer, M3nsa, in Großbritannien, | |
| während sein Partner Wanlov the Kubolor einen ghanaischen Vater und eine | |
| rumänische Mutter hat. Vor Kurzem stieß noch ein Ungar zur Band. | |
| Alle drei Acts spielten bei der Acces-Musikkonferenz im ghanaischen Accra. | |
| Es passt zu dem Netzwerktreffen von Akteuren aus dem Musikgeschäft Afrikas | |
| und Europas, das die Regierung Ghanas 2019 zum „Year of the Return“ erklärt | |
| hat – ansprechen soll das ebenso US-Amerikaner, deren Familien als Sklaven | |
| nach Amerika verschleppt wurden, wie ghanaische Auswanderer, die im 20. | |
| Jahrhundert nach Europa gingen. Innerhalb von drei Monaten sollen so viele | |
| Visa beantragt worden sein wie sonst in einem Jahr. | |
| Musikalisch gesehen regierte in Ghana lange der Highlife. „Für uns steht | |
| der Highlife-Sound am Anfang, so wie vom Blues in den USA alles abgeleitet | |
| werden kann“, erklärt Professor John Collins von der University of Accra | |
| und betont, dass [3][Highlife] Kind des reziproken | |
| Black-Atlantic-Kulturtransfers sei: Es waren von den Briten an der | |
| Goldküste stationierte Soldaten des West-Indian-Regiment aus Trinidad, | |
| welche die nur mit einer akustischen Gitarre und Percussion angestimmte | |
| Palm-Wine Music mit Calypso anreicherten. Dazu kamen etwas Swing, perlende | |
| elektrische Gitarren und viele Bläser – so entstand in den 1950ern | |
| Highlife. | |
| ## Club-affiner Pop | |
| Auf den Straßen Accras ist heute aber anderes zu hören: Afrobeats. | |
| Begrifflich angelehnt an den einst von [4][Fela Kuti] in Nigeria geprägten | |
| Afrobeat (nur mit einem angehängten s), ist es eine Schublade, in die | |
| vieles passt, was in [5][Westafrika] heute an Club-affinem Pop produziert | |
| wird. Tanzbare Beats, rhythmisch vertrackt und vielfältig, die – oft aus | |
| nur wenigen Phrasen bestehenden – Lyrics sind häufig recht seicht. | |
| Entstanden sind die Afrobeats in Nigeria, doch Ghana ist längst big im | |
| Business und hat mit Dancehall-Musikern wie Stonebwoy und Shatta Wale | |
| eigene Stars. | |
| „In Großbritannien und den USA füllen Afrobeats-Größen wie Whizkid und | |
| Burna Boy inzwischen große Stadien“, sagt der in Accra ansässige Promoter | |
| Panji Anoff. Das hätten die afrikanischen Weltmusik-Heroen nie geschafft. | |
| Dass Accra in Bewegung ist, wenn auch in einer der feuchten Hitze | |
| angepassten Verlangsamung, ist überall zu spüren. Viele SUVs sind unterwegs | |
| (nicht wenige davon sollen im Ausland geklaut worden sein), und schicke | |
| Gebäude schnellen auf dem roten Boden in die Höhe (nicht selten um | |
| Drogengelder zu waschen, so heißt es). | |
| Dazwischen sieht man aber auch, wie arm die meisten leben. Wie überall in | |
| den Großstädten Afrikas nervt der Verkehr, dafür kann man sich in Accra und | |
| ganz Ghana sicher allein zu Fuß bewegen. Währenddessen wird das Kulturleben | |
| bunter. Spoken-Word-Künstler Bedwei Kwaku Sonny veranstaltet etwa | |
| wöchentlich einen Abend, wo Dichter und Straßenpoeten – in den vielen | |
| Sprachen Ghanas – von improvisierenden Jazzmusikern begleitet werden. | |
| Die vielleicht wichtigsten Akteure der Alternativszene Accras sind die Fokn | |
| Bois. Bekannt geworden sind sie mit witzigen wie provokanten Pidgin-Raps | |
| und „Gospel Porn“-Videos, in denen sich das Trio etwa für die LGBTQ-Szene | |
| im konservativen Ghana stark macht und die Marketingstrategien der | |
| Handyfirmen ebenso auf den Arm nehmen wie die Heilsversprechen der sich | |
| ausbreitenden evangelikalen Gemeinden. | |
| „Afrobeats LOL“ heißt ihr neues Album. „Oft wird so was gesungen wie:,Ba… | |
| ich kauf dir einen Lamborghini'“, sagt M3nsa. „Dabei kann der MC kaum die | |
| 20 Dollar aufbringen, um den Song aufzunehmen. Wir drehen das um:,Darling, | |
| ich bin leider pleite – lädst du mich ein?'“ | |
| ## Hard und Heavy mit Texten in Ewe | |
| Beim Acces-Showcase konnten viele die Songs des satirischen | |
| Trash-Hip-Hop-Duos mitsingen. Am meisten überzeugte jedoch der Auftritt von | |
| Arka’n aus Togo. Bemalt mit Symbolen wie der ihrer Ahnen verbinden sie | |
| harschen Heavy Metal mit afrikanischer Percussion – und in Ewe gesungenen | |
| Songs, die Respekt im Umgang miteinander und vor Mutter Erde einfordern. | |
| Sie seien die einzige Metal-Band in der Hauptstadt Lomé, erzählt Rasta | |
| Frontmann Rock, aber über den Kontinent verstreut entstehe gerade eine gut | |
| vernetzte Szene. | |
| Zum Tanzen brachten die Zuschauer vor allem die Highlife-Bands aus Ghana. | |
| Der fabelhafte Gitarrist Kyekyeku mit Ghanalogue Highlife, die Band FRA! | |
| mit einem rauerem Sound und nicht zuletzt Santrofi um den charismatischen | |
| Bassisten und Sänger Emmanuel Ofori und ihrem Vintage-Stil. Ohnehin gibt es | |
| eine Renaissance von Highlife – und Bands, die live auftreten. „Viele | |
| lernen in der Kirche ein Instrument“, sagt Panji Anoff. Das sei aber das | |
| einzig Gute, was er über die Institution sagen könne – ihr Einfluss, auch | |
| auf die Politik, wachse ständig. Er verstehe sich lieber als „African | |
| agnostic“. | |
| Panji erzählt auch, wie sich der Highlife im Laufe der Jahre weiter | |
| entwickelt und eine deutsche Note erhalten hat. „Die Militärs haben nach | |
| ihrem Putsch die Clubs geschlossen, und viele Musiker sind darum Anfang der | |
| 1980er ins Ausland gegangen.“ Weil sie unter Margret Thatcher nicht mehr so | |
| leicht nach Großbritannien konnten, landete ein Teil von ihnen in | |
| Deutschland. Und hier entstand mit Einflüssen von Disco, Funk und Kraftwerk | |
| in Städten wie Berlin, Düsseldorf und Hamburg und unter Mithilfe des | |
| Produzenten (und Schauspielers) Bodo Staiger der Rhythmus-betonte Burgher | |
| Highlife. | |
| Inzwischen sind es Afrobeats und andere Clubmusikstile aus Afrika, die von | |
| der Bass-Szene auch in Deutschland goutiert werden. Das Berliner | |
| Partykollektiv „Going through my speakers“ hat etwa dabei geholfen, dass | |
| die südafrikanische Rapperin Sho Madjozi sich künstlerisch entfalten | |
| konnte. Der Speakers-Kollaborateur She´s Drunk hat 2017 mit Madjozi in | |
| Berlin ihre ersten beiden Songs aufgenommen. Mittlerweile ist die Madjozi, | |
| die in der Sprache der marginalisierten Tsonga singt, in ihrer Heimat ein | |
| Superstar. | |
| Bei den drei Tagen der Acces-Konferenz waren die Panels und manchmal | |
| zufälligen Begegnungen – wie mit Panji Anoff – am spannendsten. | |
| Veranstalter ist die Plattform Music in Africa, gegründet von der Siemens | |
| Stiftung, die pro Jahr mehrere Hunderttausend Euro in das ambitionierte | |
| Projekte steckt, sich laut Nachfrage ansonsten aber raushält. Das Music in | |
| Africa Board und alle Mitarbeiter:innen – darunter rund 150 regelmäßige | |
| Autor:innen – in den fünf Regionalbüros sind Afrikaner, und die Homepage | |
| ist heute reichweitenstärkstes Portal für Musik auf dem Kontinent. | |
| ## Wie laufen die Deals? | |
| Ob der [6][Austausch] zwischen Afrika und dem Norden – gerade bei | |
| geschäftlichen Deals – wirklich auf Augenhöhe stattfindet, war eine Frage, | |
| die bei den Panels oft im Hintergrund schwebte. Immer noch wandert ein | |
| erheblicher Teil der Erlöse nach Übersee. Eine Herausforderung für | |
| innerkontinentale Kooperationen bleiben dagegen die hohen Flugkosten. Die | |
| togolesischen Metalheads von Arka’n mussten bereits mehrere | |
| Konzertengagements absagen, weil ihre Reisekosten die Gage gesprengt | |
| hätten. Auch zur Auszeichnung als beste Metal-Newcomer-Band Afrikas konnten | |
| sie dieses Jahr nicht nach Kenia kommen. | |
| Auf dem letzten Panel ging es dann hoch her. Der ghanaische Musikmanager | |
| Okhiogbe Omonblanks Omonhinmin forderte vehement, dass das restriktive | |
| europäische System der [7][Visavergabe] für afrikanische Künstler:innen | |
| liberalisiert werden müsse. „Beat the System! Gebt den Leuten mehrjährige | |
| Visa, damit sie ein- und ausreisen können.“ In der Praxis sei es so, dass | |
| man ein erstes Visum für drei Monate vielleicht erhalte, dann aber oft kein | |
| zweites mehr. | |
| 5 Dec 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ole Schulz | |
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