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# taz.de -- Musikfestival in Kenia: Wo Kultur als Öl gilt
> Afrika habe sich in der Musik meist an Europa und den USA orientiert,
> sagen viele in Nairobi. Beim Acces-Festival tauschen sich afrikanische
> Künstler aus.
Bild: Begleitet von Geige, Qanun-Zither und Oud-Laute: Siti Amina aus dem tansa…
Welchen Musiker man in Nairobi auch fragt: Alle scheinen zu einem Kollektiv
zu gehören. Zum Beat Collective, das in der Electroafrique-Partyreihe in
Kenia erstmals elektronische Musik und afrikanische Perkussion fusionierte.
Oder die armen Jungs aus Südsudan zur Initiative „Anataban“ („Ich bin
müde“), in der sie im riesigen Kakuma-Flüchtlingslager im Norden Kenias
Hunderte Rapper organisiert haben und nun in der kenianischen Hauptstadt
auf Unterstützung hoffen. Bis hin zum Kollektiv EA Wave, das mit seinem
experimentellen R&B zu den Protagonisten von Nu Nairobi zählt.
Hinter dieser Underground-Bewegung stehe die Philosophie, erklärt Jinku von
EA Wave, „sich gegenseitig zu helfen“ – in einem oft korrupten System, das
junge Künstler kaum unterstützt.
Die Notwendigkeit, als Musiker in Afrika angesichts schwacher staatlicher
Strukturen mit anderen zu kooperieren und sich gegenseitig zu unterstützen,
ist wichtigstes Ergebnis der Acces-Konferenz in Nairobi. Reggaesänger Adam
Ro, der aus Ghana angereist ist, spricht von zwei Formen der Korruption im
Musikgeschäft: Als unabhängiger Künstler müsse man zunächst häufig „Pay…
zahlen, um im Radio und TV überhaupt Airplay zu bekommen. Und dann würden
die Rundfunksender nicht mal Lizenzgebühren ausschütten.
Dabei sind die Möglichkeiten des Musiksektors immens. Afrikas Bevölkerung
ist jung, damit musikaffin, und wächst rasant. Heute kann jeder Musik am PC
produzieren und über Kanäle wie YouTube einfach vermarkten. Die Industrie
hofft in Afrika vor allem auf Musikstreaming, weil das mobile Internet in
Teilen Afrikas gut funktioniert – noch wirft es aber keine Gewinne ab.
## Kleine Subkulturen
Auf der Konferenz erzählt der ghanaisch-nigerianische Afrobeats-MC Mr.
Eazi, wie er in den sozialen Medien populär wurde, bevor seine Songs
überhaupt im Radio liefen. Inzwischen ist er einer jener panafrikanischen
Stars, deren vertrackte Rhythmen von afrikanischen DJs und US-Rap-Größen
goutiert werden.
Chancen und Herausforderungen des afrikanischen Musikmarktes standen bei
der dreitägigen „Africa Conference for Collaborations, Exchange and
Showcases“, kurz Acces, mit Teilnehmern aus über 50 Ländern im
Nationaltheater Nairobis im Mittelpunkt. Hinter der Konferenz steht die
„Music in Africa Foundation“ (MIA). 2013 ist sie von der Münchner Siemens
Stiftung und dem Goethe-Institut gegründet worden, um die bisher wenig
ausgeprägte Vernetzung des afrikanischen Musiksektors logistisch zu
unterstützen – auf einem musikverrückten Kontinent wohl eine sinnvolle
Idee.
In kürzester Zeit sei ihre Internetplattform zur „wichtigsten
Informationsquelle für Musik in Afrika“ geworden, erklärt MIA-Direktor
Eddie Hatitye. Quer über den Kontinent gibt es Korrespondenten und in
bisher fünf afrikanischen Metropolen Büros der Stiftung. Dazu fördere man,
so Hatitye, in einem Mobilitätsprogramm Musiker auf Reisen, in einem
anderen Projekt die Herstellung und Reparatur afrikanischer Instrumente.
Dass die zweite Ausgabe von Acces nach dem Auftakt in Dakar im Vorjahr in
Nairobi stattfand, war eine gute Wahl. Nairobi gilt als Tech-Metropole
Ostafrikas, die Menschen sind warmherzig, ungemein offen und super
informiert. Man sollte sich nicht wundern, wenn man in Gespräche über Bands
wie die Toten Hosen und Wagners Wirken in Bayreuth verwickelt wird. Kleine
Subkulturen entstehen, und in Vierteln wie Uptown und Westlands schießen
glitzernde Bürogebäude in den Himmel. Dazwischen bricht immer wieder die
rote Erde der Savannen-Hochebene hervor, auf der die Stadt gebaut ist.
## Arabische und indische Einflüsse
Währenddessen häufen sich Meldungen, wonach die kenianische Polizei in
Slums wie Kibera und den Armenvierteln des Eastlands willkürlich und
vorsätzlich Jugendliche erschießt. In den Mittelklasse-Vierteln des
Konferenz-Zirkels bekommen wir davon aber ebenso wenig mit wie vom
„Crackdown“ gegen die Matatus: Tausende dieser Taxibusse wurden mit der
absurden Begründung mit Fahrverboten belegt, ihre Graffiti in oft grellen
Farben seien verkehrsgefährdend. Anstrengend ist der sich jeden Tag im
Schneckentempo durch die Drei-Millionen-Metropole schiebende Verkehr aber
in jedem Fall.
Die lange wenig bekannte und unterschätzte ostafrikanische Musik hat
dagegen mehr Beachtung verdient. Durch Einwanderer, die aus Zentralafrika
kamen, ist sie insbesondere durch die kongolesische Musik beeinflusst. So
hat der Benga, Kenias populärster Stil, das eigentümliche Gitarrenpicking
aus dem Kongo übernommen. Dazu kommen arabische und indische Einflüsse.
Junge MCs aus den Slums rappen derweil vor allem im „Shang“-Slang, der
Swahili mit Englisch mischt. Die neuesten Songs und Sounds kann man dann
gerade zuerst in den Matatu-Kleinbussen hören, in denen viele „Nairobians“
täglich Stunden zubringen müssen.
Blinky Bill braucht solche Taxi-Promotion nicht mehr. Früher war er
Mitglied bei Nairobis House-Pionieren Just A Band, nun hat er sein
Solo-Debüt „Everyone’s Just Winging It And Other Fly Tales“ rausgebracht.
Sein feiner Afro-Urban-Pop wird in Kenia das Album des Jahres. Unter
anderem kooperiert er darauf mit dem südafrikanischen Post-Punk-Sänger
Petite Noir, dem Pionier des Genres „Noirwave“. Wie andere, die es
geschafft haben, unterstützt Blinky Bill junge Künstler. Sein Studio stehe
offen, sagt er, und manchmal komme er dort an und kenne so gut wie keinen,
der da ist.
## Glaubwürdigkeit als Grundlage
Wichtiger Geburtshelfer der Nu-Nairobi-Szene war das Berliner
Produzenten-Bruderpaar Andi und Hannes Teichmann. Sie haben vor fast zehn
Jahren mit dem „NRBLN“-Projekt des Goethe-Instituts eine besondere
musikalische Städtepartnerschaft mit Nairobi gestartet. Auf ihrem Label
Noland veröffentlichten sie im Mai das tolle Album „Sacred Groves“ von DJ
Raph.
Im Rahmen des Projekts „Smash Up the Archive“ hatte sich der Musiker aus
Nairobi wochenlang im legendären Afrika-Tonarchiv des Iwalewahauses an der
Universität Bayreuth umgetan. Herausgekommen ist ein Werk, das die
ethnografischen Feldaufnahmen vom ganzen Kontinent nicht ausschlachtet,
sondern mit sanften elektronischen Beats zu etwas Neuem formt – und sich
dabei auch der reichhaltigen Musikgeschichte annähert, die in Afrika lange
verleugnet wurde.
Die Frage, inwieweit man die eigenen Traditionen pflegen und sich
gleichzeitig der Welt öffnen könne, kommt bei der Konferenz sehr oft zur
Sprache. Eine „delikate Balance“ nennt es die kenianische Perkussionistin
Kasiva Mutua, während Mwalimu Gregg Tendwa vom Underground-Netzwerk Santuri
East Africa auf Glaubwürdigkeit als Grundlage setzt: „Unsere Kultur ist
unser Öl.“
Das Feld der afrikanischen Folkmusikkultur ist dabei nicht mehr allein in
der Hand westlicher Sounddigger, so wie noch vor wenigen Jahren. So
präsentierte sich bei Acces das kenianische Label Ketebul: Für das Projekt
„Singing Wells“ reist es mit einem mobilen Studio durch Ostafrika, um Musik
aufzunehmen, die in Gefahr ist, in Vergessenheit zu geraten. Zum Beispiel
die Omutibo-Gitarren-Musik aus dem Westen Kenias, die Jonstone Mukabi mit
einigen älteren Herren beim Auftaktabend auf die Bühne bringt.
## Auf dem Weg zum Panafrikanismus
Insgesamt hätte die Auswahl der auftretenden Bands zwar gerne etwas
experimenteller sein können. Einige Künstler*Innen überzeugen
nichtsdestotrotz – Saad and the Nataal Patchwork aus dem Senegal legen etwa
ein energetisches Set irgendwo zwischen Afrofunk und James Brown hin. Und
beim rasanten Massai-Benga-Mix, den der kenianische Sänger Makadem
präsentiert, bleibt keiner im Saal still sitzen.
Daneben sind es gerade Künstlerinnen – und die sind wie bei uns auch im
Musikbusiness Afrikas unterrepräsentiert –, die beeindrucken; darunter die
kenianische Sängerin Maia, Djénebé aus Mali und nicht zuletzt Siti Amina
und ihre Band aus dem tansanischen Sansibar: Begleitet von Geige,
Qanun-Zither und Oud-Laute verbindet Amina afrikanische und westliche
Einflüsse mit dem Taarab aus dem Indischen Ozean. Die Perkussionistin
Kasiva Mutua erzählt bei Acces aber auch, dass es viele Jahre gedauert
habe, bis sie sich als Musikerin traute, öffentlich aufzutreten –
inzwischen gibt sie selber Workshops für junge Frauen.
Zu lange habe sich Afrika in der Musik und Popkultur an Europa und den USA
orientiert, hört man in Nairobi immer wieder. Doch nun sei der Austausch
zwischen den Musikern und Ländern des Kontinents wichtig – auf dem Weg zu
einem Panafrikanismus, der seinen Namen auch wirklich verdient.
25 Nov 2018
## AUTOREN
Ole Schulz
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