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# taz.de -- Debütalbum „Kaloli“ von Nihiloxica: Marabu auf dem Müll
> Schlagzeuggetriebene Power: „Kaloli“, das Debütalbum der
> ugandisch-britischen Band Nihiloxica, zeichnet ein Bild von Ostafrika
> jenseits von Klischees.
Bild: Nihiloxica veröffentlicht „Kaloli“. In der Luganda-Sprache heißt da…
Kommen wir gleich zum Punkt: [1][„Kaloli“, das Debütalbum von Nihiloxica
aus Kampala], Uganda, ist so überwältigend originell und unverhofft
grandios, dass ein Schwärmen im Übermaß erlaubt sein muss. Auch wenn man
generell vorsichtig mit Superlativen umgehen sollte, diese 50 Minuten
ungezügelter musikalischer Freiheit und Innovationslust klingen wirklich
einzigartig.
Bislang war auffallend wenig über [2][das ugandisch-britische Kollektiv
Nihiloxica] zu erfahren. Was auch an der Veröffentlichungspolitik seines
bisherigen Labels Nyege Nyege Tapes liegen mag, wo neue Werke häufig auf
Kassette veröffentlicht werden. Dadurch konnten die beiden EPs „Nihiloxica“
und „Biiri“ (2017 respektive 2019) nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die
sie verdient hätten.
Nun also kümmert sich das in der Kollaboration mit afrikanischen
KünstlerInnen sehr erfahrene Brüsseler Label Crammed Discs um die Promotion
und veröffentlicht das Meisterwerk von Nihiloxica endlich auf Vinyl und CD.
Die sieben Mitglieder des Nilotika Cultural Ensembles versammelten sich ab
2013 mit einer Reihe weiterer Kulturschaffender rund um die Boutiq
Community Center & Studios in der ugandischen Hauptstadt.
## Hybrid aus Folk und Techno
Während sie zunächst in ihrem Sound vor allem die Stile der
ugandisch-nilotischen Tradition ausprobiert und abgewandelt haben – ein
Album mit frühen Tracks soll dieses Jahr auf dem Kölner Label Switchstance
Recordings erscheinen –, widmete sich Nihiloxica ab 2017 konkret einer
synthetischen Mischung aus den eher folkigeren musikalischen Wurzeln und
technoideren Klängen.
Diese Fusionierung entstand gemeinsam mit den beiden britischen Produzenten
Spooky-J und pq. So entstand die erste EP in rohen Jamsessions im Boutiq
Studio, an dem Ort, der sich in der Zwischenzeit zu einem der wichtigsten
Kulturzentren in der Region Ostafrika gemausert hatte.
Der Sound von Nihiloxica ist schlagzeuggetrieben, Drums und Percussion sind
die Leadinstrumente, sie erzeugen nicht nur Rhythmus, sondern auch
Melodien. Diese klingen roh, groovy und sehr energiegeladen. Die Kritik war
begeistert von diesem harten Sound, Festivaleinladungen, über den Globus
verteilt, folgten. Auch auf der Bühne präsentiert sich Nihiloxica als
neunköpfige Gruppe wuchtig und brachial, mitreißend tanzbar, hingebungsvoll
und psychedelisch.
## Starker Drang zum Tanzen
Nihiloxica sind glücklicherweise die Antithese zu anderen
afrikanisch-europäischen Kollaborationen, die stets ein Auge auf die
internationale Vermarktbarkeit als „Global Pop“ behalten. Die Band steht,
genauso wie die [3][anderen Projekte des Kulturkollektivs „Nyege Nyege“]
(Swahili für: starker Drang, zu tanzen), für einen selbstbewussten Umgang
mit traditionellen ugandischen Stilen und möchte vor allen Dingen den
Eindruck vermeiden, die KünstlerInnen seien bloß Verzierung für
europäisches Produktions-Knowhow.
Ihr Hauptaugenmerkt liegt weiterhin auf der Unterstützung und Stärkung der
lokalen ugandischen Szene, die man vornehmlich adressiert. Entsprechend
klingen Nihiloxica nie nach „Techno mit Trommeln“. Ganz im Gegenteil: Die
Band bricht gezielt mit rassistisch gefärbten Diskursen über „fröhliche
Percussion trifft europäische Klangstruktur“, die etwa auch beim Hype um
die südafrikanische Bass-Techno-Spielart „Gqom“ immer wieder bemüht
wurden.
Darüber hinaus beweist man, dass die Sample-Projekte von europäischen
Soundtüftlern zwar ganz nett klingen, aber nie den Malus mangelnder
Integration afrikanischer Künstler*innen ablegen können. Dem kulturellen
Raubbau wird so ein Riegel vorgeschoben. Bei Nihiloxica geben die
polyrhythmischen Trommeln des Nilotika Cultural Ensembles den Ton und die
Richtung vor, während die massiven Bassläufe und die technoiden
Analog-Synths-Sounds gebührend unterstreichen und ausmalen dürfen.
Diese vollständige Synthese der Sounds lässt sich nun endlich auch auf dem
Debütalbum „Kaloli“ begutachten. Wer nicht sogleich weggeblasen werden
möchte, sollte sich vorher anschnallen. Dafür bleiben etwa 60 Sekunden. So
viel Zeit gewähren Nihiloxica ihren Hörerinnen, bis [4][beim Auftakt
„Supuki“] ein kataklystisches Inferno losbricht, das bis zum Ende der elf
Stücke kaum mehr aufzuhalten sein wird.
## Nach dem aasfressenden Vogel benannt
Der Titel des Albums ist nach dem Marabu benannt, jenem müllfressenden
Vogel, der in Kampala die Rolle von Tauben übernimmt; nur dass er größer
und hässlicher ist. So inszenieren sich die Mitglieder von Nihiloxica
selbst: Aas verzehrend und tumorgeplagt ziehen sie rastlos durch die
Straßen der Millionenstadt, die immer noch von den Wundmalen der
Schreckensherrschaft des berüchtigten Diktators Idi Amin und dem damals
einsetzenden wirtschaftlichen Untergang der einst reichsten britischen
Kolonie geprägt ist.
Trotz aller klanglichen Klarheit wird man so auch in einen Sumpf aus Schutt
und Geröll, aus Dreck und Kadavern gezogen, in dessen Mitte sich über die
Jahre ein musikalisches Deliquententum entwickeln konnte, das
seinesgleichen sucht. Hier schmettern die Snares mal brachial, dort
grantelt ein Bass und fährt selbst bei angenehmen Lautstärken in die
Magengrube, über allem liegen diese massiven Trommeln und verteilen sich im
Raum.
An so mancher Stelle stolpern sie links vor sich hin, während sie rechts
stur geradeaus ohne Unterlass voranschreiten. So und nicht anders klingt
womöglich das wahre Klopfen an die Himmelstür: wie sich immer weiter
verschränkende Trommelarrangements.
Covid-19 wird für längere Zeit verhindern, dass man die Chance hat,
Nihiloxica auch bei Konzerten zu erleben – doch so lange bleibt dieses
denkwürdige Album aus dem Herzen von Ugandas Finsternis ein willkommenes
Geschenk.
13 Jun 2020
## LINKS
[1] https://nihiloxica.bandcamp.com/album/kaloli
[2] http://nihiloxica.com/
[3] https://nyegenyegetapes.bandcamp.com/
[4] https://nihiloxica.bandcamp.com/track/supuki
## AUTOREN
Lars Fleischmann
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