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# taz.de -- Musikfestival in Monheim: Exzessives Klopfen und Röcheln
> Mit der Monheim Triennale arbeitet die Kleinstadt am Rhein an ihrem Ruf
> als Kulturstandort. Sie präsentiert sich mit Neuer Musik, Jazz und Pop.
Bild: Hibo Elmi, zweite von rechts und die ugandisch-britische Band Nihiloxica …
Gelegen zwischen den Kunst- und Musikmetropolen Düsseldorf und Köln,
arbeitet seit einigen Jahren die Kleinstadt Monheim am Rhein an ihrem Ruf
als Kulturstadt. Möglich machen das sprudelnde Einnahmen einer
Gewerbesteueroase.
Davon profitieren auch rund 2.800 Schüler:innen, die jeweils ein
Instrument gestellt bekommen und an der örtlichen Musikschule etwas über
die Avantgarde lernen, genau wie eine Kneipe inmitten einer
Hochhaussiedlung, die regelmäßig Free-Improv-Konzerte veranstaltet. Und ein
Festival für experimentelle und elektronische Musik richtet der Ort auch
aus: d[1][ie Monheim Triennale,] die am Wochenende ihren Abschluss fand.
Acht Musikerinnen und acht Musiker sind von der Festivalleitung eingeladen,
ein Projekt zu verwirklichen. Dafür laden sie wiederum Künstler:innen
ihrer Wahl ein und spielen gemeinsam in den unterschiedlichsten
Konstellationen. Ein Hauch von Improvisation liegt über dem
Rheintouristenschiff, auf dem ein Großteil der Konzerte stattfindet. So
will die Monheim Triennale die Grenzen aufheben zwischen Neuer Musik, Jazz
und Pop.
„Musik im 21. Jahrhundert so abbilden, wie sie sich uns darstellt“, nennt
Kurator Rainer Michalke das. In der Realität dominiert in Monheim jedoch
Spielfreude über Konzept – beim Auftritt des [2][US-Duos Matmos] gemeinsam
mit Wobbly etwa. Eigentlich hätten die drei Elektronikmusiker gemeinsam mit
der irischen Klangkünstlerin Jennifer Walshe konzertieren sollen. Deren
Coronatest zeigte kurz vor dem Auftritt einen Strich zu viel, also wird das
Quartett zum Trio.
## Aufspüren musikalischer Potenziale in Alltagsgeräuschen
Auf der Suche nach Sound sind die drei jedoch um keine Absurdität verlegen:
Kontaktmikrofone in der Mundhöhle übertragen Gurgelgeräusche an Laptops,
die diese wiederum prozessiert an die Saallautsprecher schicken. Dazu liest
ein Performer einen Text über schädliche Wirkungen von Wasser. Matmos und
Wobbly lüpfen den metaphorischen Hut vor der [3][Musique concrète, dem
Aufspüren musikalischer Potenziale in Alltagsgeräuschen], die ihre
Blütezeit in den 1950ern in den damals sündhaft teuren Studios der
französischen Rundfunkanstalten feierte.
Aber weil den Dreien klar ist, dass diese Klangmöglichkeiten 2022 jedem
Teenager am Laptop offenstehen, machen sie daraus eine campe Performance
mit Subtext: Jeder Mensch ist ein Soundkünstler – solange man nicht
langweilt. Immer wieder gibt es in Monheim solche Momente, in denen
Performer*innen auf eine musikalische Tradition schauen und sich
überlegen, was sie heute damit anstellen können.
Die kanadische Jazzpianistin Kris Davis hat sich für ihren Auftritt vom
Komponisten Olivier Messiaen inspirieren lassen, der in den 1940ern die
Grenzen von musikalischer Transposition formulierte. Davis überträgt diese
Kompositionsregeln auf eine traditionelle Jazzband in der Besetzung Bass,
Flügelhorn, Klavier und Schlagzeug. Ihr Auftritt ist 45 Minuten
konzentrierter Jazz, der gelegentlich den Anschein freier Improvisation
erweckt, jedoch streng durchkomponiert war.
Davis, die Musik in Boston unterrichtet, hatte dafür drei ihrer
Studierenden ausgewählt. Und da sie an ihrem Jazz-Studiengang versucht,
über Revisionen des Kanons und die Besetzung der Ensembles für mehr
Gendergerechtigkeit zu sorgen, besteht auch ihr Ensemble in Monheim aus
zwei Frauen und einem Mann.
## Es wurde sich „der Arsch abgetanzt“
Sofia Jernberg, Stimmperformerin aus Schweden, geht den umgekehrten Weg:
Sie transponiert Folksongs und Jazzklassiker in das Feld der Neuen Musik.
Unterstützt wird sie dabei von Musiker:innen aus der Free-Improv-Szene
und dem Hamburger Streicherensemble Resonanz.
Dessen Musiker:innen bemühen sich, ihren Instrumenten durch Klopfen
oder Zupfen Sounds zu entlocken, während Jernberg ihrer Stimme in Röcheln
und Knurpsen verwandelt und mit plötzlichen Tonwechseln die
klaustrophobische Intensität der Performance aufbricht. Schließlich
performt sie den Jazz-Standard „Lush Life“ und dehnt ihn mit vokalem
Timestretching und Trompetendrones von Peter Evans zu einem kurzen Moment
der Glückseligkeit.
Im Nachhall dieser Monheim Triennale bleiben vor allem jene streng
komponierten Momente hängen. Sobald das Zusammenspiel der Musiker:innen
freier und improvisatorischer wurde, schleichen sich zu schnell Klischees
ein: ein Krautrock-Motorik-Beat, der etwas zu schneidig gerät, eine Wall of
Sound aus Gitarren und Saxofon, die zur Überwältigung neigt.
Musik im 21. Jahrhundert – sie könnte stärker vertreten sein. Denn das
Kurator:innen-Team hat weitgehend darauf verzichtet, Künstler:innen von
der Schnittstelle zwischen Clubmusik und elektronischem Experiment
einzuladen, wie sie etwa auf Labels wie PAN und Hyperdub gepflegt wird.
Ausnahme ist Hibo Elmi, DJ und Produzentin vom ugandischen Kollektiv Nyege
Nyege.
Zusammen mit dem [4][britisch-ugandischen Drumensemble Nihiloxica] mischt
sie elektronische Drones mit prozessiertem Gesang sowie den Sound dreier
Trommler aus der Buganda-Tradition zum 45-minütigen, rhythmischen
Exorzismus. „Ich habe mir den Arsch abgetanzt“, sagte die Moderatorin des
Festivals nach dem gemeinsamen Auftritt. Darauf lässt sich doch aufbauen.
27 Jun 2022
## LINKS
[1] /Experimentelles-Musikfestival-am-Rhein/!5784192
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[4] /Debuetalbum-Kaloli-von-Nihiloxica/!5689432
## AUTOREN
Christian Werthschulte
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